Zukunftsthemen bieten Chancen für Ingenieure

Prof. Dr.-Ing. Katharina Löwe vom Lehrstuhl für Prozess- und Anlagentechnik über die spannenden Aufgaben des Ingenieurs sowie den gesellschaftlichen und sicherheitstechnischen Wandel in der Technologie

VON UWE BLASS

„Wenn junge Leute etwas mit Zukunftsthemen wie z.B. Umwelttechnik oder Energietechnik zu tun haben wollen“, sagt die Sicherheitstechnikerin Katharina Löwe, „und wenn sie etwas in der Welt ändern wollen, dann ist es das Richtige, Ingenieur zu werden.“ Deutschland braucht in den kommenden Jahren so viele Ingenieure wie möglich, weiß die Wissenschaftlerin, die an der Bergischen Universität den Lehrstuhl für Prozess- und Anlagensicherheit leitet. Das große Problem dabei sei die Tatsache, dass Technik in den Schulen zu wenig gefördert werde und dadurch die Kinder und Jugendlichen zu wenig Zugang zu ingenieurswissenschaftlichen Themen haben. Hochschulprogramme wie MINT-Wochen (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) oder die Schülerinfotage würden zwar regelmäßig angeboten und stoßen auf großes Interesse bei den Schülern, es muss aber zukünftig noch mehr getan werden, um Schüler an diese Themen heranzuführen.

Prozesstechnik und Anlagensicherheit

Seit 2020 leitet Löwe den Fachbereich Prozess- und Anlagensicherheit an der Bergischen Universität. „Die Prozesstechnik beschäftigt sich mit energie- und stoffumwandelnden Prozessen. So fällt in den Bereich z.B. die Umwelttechnik, die Chemietechnik, die Petrochemie, die Lebensmittelchemie, aber auch die Energietechnik und der Anlagenbau. Was wir in der Prozesstechnik unter anderem lehren, sind grundlegende Verfahren, mit denen Stoffe hergestellt und aufbereitet werden können.“ Das kann sowohl ein Orangensaft sein, aus dem ein Konzentrat hergestellt wird, oder auch Erdöl, welches in der Industrie in die verschiedenen Produkte Benzin, Schweröl, Heizöl usw. aufgeteilt wird. „Es gibt eine große Menge unterschiedlicher Verfahren, welche in den verschiedenen Industriebereichen im Prinzip die gleichen sind, die Randbedingungen unterscheiden sich nur. Somit ist die methodische Ausbildung für die unterschiedlichen Industrien relevant“, sagt Löwe. Der Vorteil für die Studierenden bei dieser Ausbildung sei die große Auswahl an Berufsmöglichkeiten und Aufgabengebieten in den verschiedenen Industriezweigen, bei sehr guten Berufschancen.

Ansätze, die Industrie nachhaltig zu gestalten

Die Prozesstechnik ist zum einen durch ein hohes Risikopotential und zum anderen meist durch einen hohen Energiebedarf gekennzeichnet. Ziel unserer Forschung ist, Lösungsansätze zu entwickeln, um die Anlagen und Verfahren gleichzeitig sicher und nachhaltig zu gestalten und zu betreiben. „Was wir jetzt gerade sehen, dieser extreme Anstieg von Energiepreisen, zwingt uns, notwendige Änderungen und Erneuerungen in der Industrie zügiger voranzutreiben.“ Die vermehrte Integration von erneuerbaren Energien und ein schonender Umgang mit Ressourcen seien dabei Themen, die man vorher auch schon hätte bearbeiten können. „Der Umbau jetzt ist teuer, weil wir zu lange gewartet haben“, betont die Fachfrau.

Kreislaufwirtschaft am Beispiel der Elektroauto-Batterie

Auch das Recycling von Wertstoffen aus Abfällen fällt in den Aufgabenbereich der Prozesstechnik, wobei Löwe den Gedanken der Kreislaufwirtschaft betont. „Recycling ist streng genommen nur der letzte Schritt. Wir müssen hin zu einer richtigen Kreislaufwirtschaft mit Ansätzen wie beispielsweise Re-Use und Re-Purpose (Umfunktionieren). Erst wenn diese Methoden ausgereizt sind, sollte konsequent recycelt werden. Ein aktuelles Beispiel sei die Debatte um die nachhaltige Nutzung der Elektroauto-Batterien. „Diese Batterien nehmen alterungsbedingt an Kapazität ab und irgendwann ist die Anwendung im Auto nicht mehr sinnvoll oder nicht mehr akzeptabel.

gebrauchte E- Auto-Batterie

Wenn die Batterie nach dem Ende des Einsatzes im Auto direkt entsorgt wird, ist die Nachhaltigkeit des E-Autos nur begrenzt. Es müssen daher neue Ansätze für ein Second Life der Batterien entwickelt werden.“ Eine Möglichkeit wäre z.B. die stationäre Anwendung in der Industrie. Dort, wo das Gewicht der Batterien nicht entscheidend ist, können mehrere Batterien gekoppelt werden. „Diese Batterien beinhalten teilweise teure Rohstoffe, sind aufwändig hergestellt worden und können in anderer Verwendung langfristiger eingesetzt werden.“ Es ist Ziel in der Verfahrenstechnik für neue Prozesse von Anfang an den gesamten Kreislauf mitzubedenken und vorhandene Verfahren nachhaltiger zu gestalten. Die Nachhaltigkeit einer Anlage wird dabei durch verschiedene Parameter der ökonomischen, ökologischen und gesellschaftlichen Bereiche bestimmt. „Wo wir hinmüssen – und das versuchen wir auch hier auszubilden -, ist der ganzheitliche Blick auf die Anlagen und deren Optimierung.“

Berufsbild: Ingenieur, Foto: ZIM

Moderne Themen in der Technologie

„Wir erleben zurzeit starke gesellschaftliche Veränderungen und technologische Entwicklungen“, erklärt Löwe. Die Erarbeitung von Lösungen zur Steigerung der Sicherheit und Nachhaltigkeit sei eine der wichtigen Aufgaben ihres Fachgebietes. Dabei müssen neue sicherheitstechnische Herausforderungen berücksichtigt und Sicherheitsanalysen dementsprechend weiterentwickelt werden. „Jede neue Entwicklung hat wieder Auswirkungen auf die Sicherheit“, erklärt sie.

Aktuelle Themen seien beispielsweise Cyberattacken in Form von Hackerangriffen auf Anlagen oder die Umstellung auf klimaneutrale Energieträger, wie z.B. Wasserstoff.

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Wasserstoff besitzt andere physikalische und chemische Eigenschaften als Erdgas, wie ein erhöhtes Explosionsrisiko. Bei der Umstellung von Erdgas auf Wasserstoff müssen somit auch die sicherheitstechnischen Anforderungen neu berücksichtigt werden. Hauptaugenmerk ist für Löwe immer die praktische Anwendbarkeit, was durch enge Zusammenarbeit von Forschung und Wirtschaft erreicht werden kann. Um neue Erkenntnisse auch umsetzen zu können, bedarf es der Zusammenarbeit mit Behörden und Politik. Löwe selbst ist Mitglied in der Kommission für Anlagensicherheit, einem unabhängigen Gremium zur Beratung der Bundesregierung in Fragen der Anlagensicherheit und sagt: „Wir entwickeln u.a. Richtlinien mit der Frage: Wie können neue Erkenntnisse und Erfahrungen praktisch umgesetzt werden und in die Gesetze einfließen?“

Vom Labor zum Einsatz in der Industrie

„Unsere Hauptaufgabe ist, neben völlig neuen Entwicklungen, Erkenntnisse aus dem Labor in größere Maßstäbe in die Industrie zu bringen“, sagt Löwe und nennt, hinsichtlich des Nachhaltigkeitsaspektes, das Beispiel der Trinkwassergewinnung aus Meerwasser. Die bisherigen thermischen Verfahren seien sehr energieintensiv, weil das Meerwasser verdampft werde. Eine neue Methode nutzt nun die Membrantechnologie.

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„Mit dem Fokus auf Energieeffizienz, brauchen diese Membranen keine thermische Energie mehr, sondern Strom zum Antrieb der Pumpen. Nutzt man dazu Photovoltaiktechnik, um den Strom aus dem Sonnenlicht zu generieren, kann dieses sehr energieintensive Verfahren umgestellt werden auf ein nachhaltigeres Verfahren.“ Das Beispiel der Entwicklung dieser Membranen zeige sehr schön das Aufgabenspektrum der Verfahrenstechniker, dass von der Berechnung über die Optimierung und das Design bis in die Anwendung im Betrieb reicht.

Aktuelle Themen werden in die Forschungen der Sicherheitstechniker immer eingebunden. Neben den schon genannten Aufgaben gehört auch die Digitalisierung von Anlagen dazu, denn „als Schnittstelle zwischen der Maschine und dem Menschen kommt dem Thema Sicherheit eine neue Bedeutung zu.“

Tausende Ingenieure in den nächsten Jahren gebraucht

Der Geschäftsführer des Verbandes Deutscher Maschinen- und Anlagenbau Richard Clemens sagt: ´Wir brauchen in den nächsten Jahren tausende von Ingenieuren. „Sogar wahrscheinlich noch mehr“, bekräftigt die Wissenschaftlerin diese These und fährt fort: „Wir haben unheimlich viele technische und gesellschaftliche Aufgaben. Das geht vom Klimawandel hin bis zu der Energiesicherheit, und wir haben ganz klar zu wenige Ingenieure. Es ist mir auch ein Anliegen, immer wieder junge Menschen zu begeistern.“ Der Fachkräftemangel müsse ganzheitlich betrachtet werden. „Von der Kita über die Schule bis zu den Universitäten. Wir können nur auf das aufbauen, was die Schule mitgegeben hat, und das wird immer weniger.“ Als Fazit appelliert Löwe daher eindringlich an die Politik: „Um die Probleme der Zukunft zu lösen, brauchen wir intelligente, junge Menschen, die auch gut ausgebildet sind.“


Katharina Löwe studierte Energie- und Verfahrenstechnik an der TU Berlin und promovierte ebenda. Von 2009 bis 2020 lehrte sie als Professorin an der TH Brandenburg für das Fachgebiet Energie- und Verfahrenstechnik. Seit 2020 ist Löwe Universitätsprofessorin an der Bergischen Universität Wuppertal und Leiterin des Fachgebietes Prozess- und Anlagensicherheit.

Beitragsfoto: Prof. Dr.-Ing. Katharina Löwe / Prozess- und Anlagentechnik
Foto: Paul Nick

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