Erinnerung an die “Zigeuner”-Deportation nach Auschwitz

Den Beitrag von Hans Jürgen Roth übernehmen wir aus dem Waterbölles, dem kommunalpolitischen Forum für Remscheid:

VON HANS JÜRGEN ROTH

Man nannte sie damals „Zigeuner“. Gut 80 Jahre ist es jetzt her, da marschierten 30 „Zigeuner“, Männer, Frauen und Kinder, unter polizeilicher Bewachung über die Freiheitstraße zum Hauptbahnhof, von wo aus sie dann mit dem Zug ins Konzentrationslager Birkenau (Auschwitz) deportiert wurden. Das war am 3. März 1943.

Fünf Jahre später berichten zwei „Zigeuner“ aus Lüttringhausen, die das Lager überlebt hatten, über die Folter, die sie dort erlebt hatten. Friedel M. kam schon im Januar 1943 nach Birkenau und später von dort nach Auschwitz in den Block 7a. Er hatte fürchterliche Marter zu erdulden, z.B. 25 Schläge auf dem Bock, danach drei Tage in den Stehbunker im Block 11. Dort mussten sie in einer Zelle von 80 mal 80 Zentimetern zu Viert drei Tage lang stehen. Zu den Misshandlungen und Folterungen gehörte auch die kalte Dusche bei 30 Grad Kälte. (Das Zigeunerlager Auschwitz-Birkenau existierte 17 Monate. 20.000 der 23.000 Eingelieferten aus Deutschland und Österreich fanden dort den Tod. 13.614 starben aufgrund elender Lebensbedingungen, 32 wurden bei Fluchtversuchen erschossen, 6.432 vergast.)

„Zigeuner“ tauchten in Deutschland erstmals um das Jahr 1400 auf. „Zieh-Gauner“ nannte man diese Menschen ohne festen Wohnsitz damals. Im 19. Jahrhundert wurden sie romantisch verklärt. Doch ihre Lebensbedingungen waren – schon vor dem Nationalsozialismus – alles andere als romantisch: keine bunt bemalten Wagen, kein Lagerfeuer. Und in der Sozial-, Gesundheits- und Rassenpolitik des Nationalsozialismus wurde der „Zigeuner“ dann zum asoziale Antityp gegenüber dem produktiv wertvollen „Volksgenossen“ – ohne festen Wohnsitz und ohne geregelte Arbeit („arbeitsscheu“). Solch eine „asoziale Unterschichtfamilie“ war eugenisch minderwertig, bedurfte der Disziplinierung, war auszuhungern.

Dieses „dem deutschen Volkstum fremde Zigeunervolk“ galt als gefährlicher Feind im Inneren des „Volkskörpers“. Es war nicht „artverwandten Blutes (…), geeignet, in Treue dem Deutschen Volk zu dienen“, sondern ein „rassehygienischer Störenfried“, zudem ethnisch minderwertig, dem alle Lebensbedingungen abgesprochen wurden. Ihn galt es aus“ rassenhygienischen Gründen“ auszumerzen.

Bei keiner anderen Gruppe war die Schwelle für Verhaftung so niedrig angesetzt. Zur KZ-Verschleppung genügte schon fehlender „Wille zur geregelten Arbeit“. Die Behandlung der „Zigeuner“ war allerdings in den einzelnen Städten uneinheitlich geregelt. Ende der 1920er Jahre gab es die erste allgemeine Erhebung – auch in Remscheid. Im Gegensatz zu anderen Städten gab es in Remscheid aber wohl keine Probleme mit „Zigeunern“. Ein Augenzeuge berichtet über das Jahr 1933: Sie kamen mit Wagen, kauften ein, rochen merkwürdig. Im September 1933 gab es dann eine landesweite „Bettelrazzia“. Dabei wurden auch in Remscheid Bettler verhaftet, wahrscheinlich auch „Zigeuner“.

Das Reichsbürgergesetz (15.9.1935) klassifizierte die „Zigeuner“ dann – neben Juden – als „artfremden Blutes“. Am 8. Dezember 1938 folgte der Erlass zur „Bekämpfung der Zigeunerplage“: Himmler ordnete die Erfassung aller sesshaften und nicht-sesshaften Zigeuner an. Auch in Remscheider gab es Polizeimaßnahmen gegen die Landplage: Ausweiskontrollen, Anforderung von Führungszeugnisse, Hinterlegung von „Sicherheitsgeld“.

In Solingen erinnert seit einigen Jahren ein Mahnmal an die Deportation von Sinti und Roma. Foto: Harald Neumann.

Den „Zigeunern“ wurden bestimmte Standorte zugewiesen. In Großstädten gab es das bereits ab 1935. Auch wie lange sie dort lagern durften, wurde bestimmt. Das war in Remscheid nicht anders – wohl spätestens seit Mitte 1939. Da gab es ein „Zigeunerlager“ in Lüttringhausen an der Klausener Straße. Ansonsten scheint sich die Stadt wenig um die „Zigeuner“ gekümmert zu haben, wie ein Brief des damaligen Oberbürgermeisters vom 14. April 1942 belegt. Man beließ sie in ihrer materiellen Not, in ihren Wohnwagen auf notdürftigen Stellplätzen oder in selbstgebauten Bretterbuden. Damit war die Gemeinde der Sorge entbunden, Unterkünfte für sie zu schaffen oder anzumieten. Man schluckte sogar die Unsauberkeit in der Umgebung der Lager. Es gab keine entsprechende Polizei-Verordnung zu deren Verhinderung.

Am 1. März 1939 folgen weitere Reglementierungen und Polizeischikanen. „Neue Zigeunerausweise“ mit „rassischer Einstufung“ werden ausgegeben: braun für „rassereine Zigeuner“, braun mit hellblauem Querstreifen für „Zigeuner-Mischlinge“ und grau für „nach Zigeunerart Umherziehende“. Aus dieser rassenhygienischen Erfassung entstand bis Februar 1941 eine reichsweite Kartei zur Verhinderung weiterer Vermischung mit „Deutschblütigen“. So wurden „Zigeuner“ vom Volksschulbesuch ausgeschlossen. So ließ sich dann später leichter „angeborener Schwachsinn“ diagnostizieren.

Im Oktober 1942 wurden die Remscheider „Zigeuner“ von der Klausener Straße ins „Zigeunerlager Gründerhammer“, ein Ghetto ganz abseits der Straße, mitten im Wald, abgeschoben. Fünf Monate später folgte die Deportation.

Deportationszug mit Polizeibewachung auf der Freiheitstraße an der Einmündung der Stachelhauser Straße am 3. März 1943.

Der „Auschwitz-Erlass“ (16.12.1942) sah vor, „Zigeuner“ nach bestimmten Kriterien auszuwählen, um sie dann in einer Aktion von wenigen Wochen in Konzentrationslager zu deportieren.Nach einem Schnellbrief des Reichssicherheitshauptamtes (29.1.1943) sollten schließlich alle in Frage kommenden Personen „ohne Rücksicht auf den Mischlingsgrad“ familienweise eingewiesen und ins Zigeunerlager Auschwitz deportiert werden. Vier Wochen später wurde dieser Erlass auch in Remscheid umgesetzt. Zwei Korbflechter aus Lüttringhausen, Johann D. und Friedel M., die seit Juli 1940 dort als Zwangsarbeiter eingesetzt waren, wurden auf ihrer Arbeitsstelle durch einen Polizeimeister in Begleitung eines Kripobeamten verhaftet. Man brachte sie vermutlich ins Polizeigefängnis Uhlandstraße, einen Tag später nach Auschwitz. (Erstmals im Waterbölles veröffentlicht am 25.3.2013 und nun voiegetragen)

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