Rechter Antikapitalismus? Streitschrift veröffentlicht

„Lechts und rinks kann man nicht velwechsern“, dichtete einst Ernst Jandl und traf mit seinem Scherz ein ernstes Problem. Seit dem historischen Faschismus, seit Mussolinis Plädoyer für einen starken Staat als „sittliche Einheit“ jenseits von Klassengegensätzen, seit Hitlers Gründung einer „Arbeiterpartei“, die „national“ und „sozialistisch“ sein wollte, stiftet Kapitalismuskritik, die von rechts kommt, einige Verwirrung. Gibt es hier aber wirklich eine Verbindung von radikalen Rechten und Linken, wie die Totalitarismustheorie behauptet und wie sie bei den Querdenker-Protesten als Phänomen einer „Querfront“ in Erscheinung getreten sein soll? Oder wie sie neuerdings den Kritikern des westlichen „leading from behind“ im Ukrainekrieg unterstellt wird?

Dass rechte Parteien wie die AfD antimilitaristisch seien, glaubt wohl keiner ernsthaft. Aber wie steht es mit der Opposi- tion gegen die Klassengesellschaft? Droht hier etwa eine antikapitalistische „Revolution von rechts“? Norbert Wohlfahrt, Professor für Sozialmanagement an der Evangelischen Fachhoch- schule im Rheinland, hat Anfang 2022 eine Streitschrift über den „Antikapitalismus der Neuen Rechten und seine radikalpatriotische Moral“ vorgelegt, die sich mit diesen Fragen befasst. Er konstatiert, dass es bei den radikalen bis popu- listischen Rechten eine „Hinwendung zu kapitalismuskritischen Tönen“ (S. 11) gibt. Einzelne Wortführer, die der Szene einen intellektuellen Anstrich geben wollen, berufen sich sogar auf Marx, Lenin oder Luxemburg.

Was ist davon ernstzunehmen? Wohlfahrts kurz gefasste, prägnante Schrift, die als aktuelle Einführung ins Thema, aber auch für die pädagogische Auseinandersetzung mit dem Rechtstrend zu empfehlen ist, gibt hier eine doppelte Antwort: Einerseits lassen sich solche Positionsbestimmungen, die in dem Buch auch im Blick auf ihre historische Dimension („Konservative Revo- lution“, NS-Zeit…) beleuchtet werden, nicht einfach als eine Täuschung abtun, die auf Stimmenfang berechnet ist; andererseits kann aber von einem rechtsradikalen Projekt, das den Ka- pitalismus abschaffen will, keine Rede sein.

Im rechten Lager werden Elemente aus der Kritik der Politischen Ökonomie dafür benutzt, den Tatbestand einer in Klassen gespaltenen Gesellschaft gegen Marx – gegen den Gehalt seiner Analyse wie gegen deren politische Perspektive – in einen moralischen Auftrag umzudeuten. Der Klassengegensatz wird nämlich vom politische Idealismus einer durch die Kultur (früher: durch Blut und Boden) determinierten Volksgemeinschaft als eine definitive Herausforderung, als Notwendigkeit eines Säuberungs-und Kampfprogramms aufgenommen, das sich gegen antinationale Elemente und die Volksverräter an der Macht wendet.

In 20 Kapiteln mit einigen Exkursen (Populismusbegriff, „Wir sind das Volk“) handelt der Autor das an den zentralen Kategorien Volk, Nation, Staat, Familie, Europa, Verhältnis von Politik und Ökonomie ab. Hinzu kommen wichtige Themen der rechten Agitation wie Flucht und Migration, (Neo-)Liberalismuskritik, Identitätspolitik, weiße Suprematie, aber auch strategische Konzepte wie „Metapolitik“ und der Kampf um „kulturelle Hegemonie“. Immer wird deutlich, dass hier der Gegensatz von Kapital und Arbeit, der seit Marx im Fokus linker Kritik steht, gar nicht wirklich interessiert, sondern nur mit diversen theoretischen Versatzstücken zitiert wird, um die nationale Identität hochleben zu lassen. Zielpunkt ist dabei eine „Befreiung des Staates“ (S. 14), der rücksichtslos gegen alles Partikulare vorgehen soll, das sich dem völkischen Zusam- menschluss – wirklich oder nur aus ausländerfeindlichem Blickwinkel – entgegenstellt.

In seinem Fazit schreibt der Autor: „Was die Neue Rechte an der Staatsbürgermoral, die sich auf den Staat als Subjekt individueller Interessen schlechthin bezieht, stört, ist die darin enthaltene Berechnung eines irgendwie gearteten individuellen Materialismus.“ (S. 149) Der neurechte Aufschwung ist nämlich, wie das Buch minutiös nachweist, nur insofern Gegner eines Wirtschaftsliberalismus, als er die völkische Sitt- lichkeit und das Zusammenstehen für die nationale Sache stört. Ansonsten können sich Rechte bestens mit der Macht des Kapitals, auch in seinen grenzüberschreitenden, auf „freien“ Welthandel zielenden Ansprüchen, arrangieren. (Johannes Schillo)

Norbert Wohlfahrt: Revolution von rechts? Der Antikapitalismus der Neuen Rechten und seine radikalpatriotische Moral – eine Streitschrift * Hamburg (VSA) 2022 * 158 Seiten 14,80 Euro

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