Prof. Dr.-Ing. Dieter Brückmann über Alexander Graham Bell und die Erfolgsgeschichte des Telefons
VON UWE BLASS
Alexander Graham Bell, ein gebürtiger Schotte, in Amerika als Audiologe, Erfinder, Großunternehmer und Eugeniker bekannt, starb am 2. August 1922. Was war seine herausragende Errungenschaft?
Brückmann: Alexander Graham Bell wird an erster Stelle immer mit der Erfindung des Telefons in Verbindung gebracht, auch wenn er auf vielen unterschiedlichen Gebieten aktiv war. Aufbauend auf den Ideen anderer Erfinder entwickelte er das Telefon zur Marktreife und meldete hierfür 1876 ein Patent an, nur wenige Stunden vor seinem größten Konkurrenten Elisha Gray. Trotz jahrelanger Rechtsstreitigkeiten wurde Bell dieses Patent zugesprochen, vermutlich ist dieses eines der wertvollsten jemals erteilten Patente.
Zur Vermarktung seiner Erfindung wurde von einer Gruppe rund um Gardiner Hubbard unter Beteiligung von Alexander Graham Bell die Bell Telephone Company gegründet. Bell übernahm in dieser Firma die Rolle des technischen Beraters. Auch wenn er sich bereits 1880 weitgehend aus dieser Firma zurückzog, entwickelte sie sich später zu einer der weltweit erfolgreichsten Telefongesellschaften.
Die lautsprachliche Kommunikation spielte in der Familie Bell eine besondere Rolle. Wissen Sie warum?
: Sowohl der Großvater als auch der Vater von Alexander Graham Bell beschäftigten sich bereits mit lautsprachlicher Kommunikation, wobei letzterer im Rahmen seiner Professur für Rede- und Vortragskunst sogar eine universelle phonetische Lautschrift entwickelte.
Die Mutter von Alexander Graham Bell litt unter einer Hörschwäche und war fast taub. Bell beschäftigte sich daher mit besonderen Sprachtechniken die es ihm möglich machten, sich dennoch mit ihr zu unterhalten. Auch sein Klavierspiel konnte sie über die akustischen Schwingungen wahrnehmen. Durch diese frühe Sensibilisierung für die lautsprachliche Kommunikation wurde Alexander Graham Bell zu einem Befürworter der lautsprachlich orientierten Methoden zur Ausbildung für Gehörlose, als Alternative zu gebärdensprachlich orientierten Methoden. Auch nach seinem Umzug nach Nordamerika war er über mehrere Jahre in Northhampton (Massachusetts) als Gehörlosenlehrer sowie an der Universität Boston als Professor für Sprechtechnik und Physiologie tätig.
Auch die gehörlose Mabel Hubbard, die Tochter eines seiner späteren Unterstützer und Geschäftspartner, hat er über seine Tätigkeit als Gehörlosenlehrer kennengelernt. 1877 heirateten Mabel und er.
Bell studierte Latein und Griechisch und wurde mit 17 Jahren Lehrer für Sprachtechnik und Musik in Schottland. Bereits da begann er mit den ersten Forschungen auf dem Gebiet der Akustik und kam mit dem deutschen Universalgelehrten Hermann von Helmholtz zusammen, der ihn sehr beeinflusste. Worin?
Brückmann: Der deutsche Physiker und Physiologe Helmholtz hatte bereits 1863 das Werk „Lehre von den Tonempfindungen als physiologische Grundlage für die Theorie der Musik“ herausgegeben. Die darin beschriebenen Ansätze hatten eine große Wirkung auf den jungen Bell und beeinflussten ihn bei seinen weiteren Arbeiten stark.
Bell studierte in London Anatomie und Physiologie. Nachdem zwei seiner Brüder an Tuberkulose verstarben, siedelte die Familie aufgrund des besseren Klimas nach Kanada, wo Bell später als Professor für Sprachtechnik und Physiologie der Stimme an der Universität Boston tätig war. 1874 führte er akustische Experimente zur Aufzeichnung von Schallwellen durch und konstruierte einen sogenannten Phonautomaten, ein Gerät, das die Vibrationen des Schalls auf einem berußten Zylinder aufzeichnete. Warum waren diese Experimente wichtig?
Brückmann: Bei dem Phonautomaten von Alexander Graham Bell wurde der Schall mit Hilfe eines Ohres aufgenommen und auf einem berußten Metallzylinder zur optischen Ansicht aufgezeichnet. Das Ohr war zuvor einem Leichnam entnommenen worden. Hierdurch sollte die Zusammensetzung des Schalls optisch erkennbar gemacht werden was Gehörlosen wiederum eine bessere Sprachkontrolle ermöglichen sollte. An eine Tonwiedergabe wurde noch nicht gedacht. Auch wenn die Versuche zunächst wenig erfolgreich waren, so lieferten Sie doch einen wichtigen Beitrag zur Konstruktion eines funktionierenden Telefons. Auch hierbei muss der Schall in ähnlicher Weise umgesetzt werden.
1876 gelang ihm der bis heute nachhaltigste historische Erfolg. Dabei griff er auf die Vorarbeiten des Italieners Antonio Meucci zurück, dem man erst posthum 2002 für seine Verdienste dankte. Um was handelt es sich dabei?
Brückmann: Der italienische Wissenschaftler und Erfinder Antonio Meucci hatte bereits in den 1830er Jahren herausgefunden, dass Schall durch elektrische Schwingungen in Kupferdraht übertragen werden kann. 1850 übersiedelte er in die USA wo er sein Telefon weiterentwickelte. Für sein sogenanntes „Telettrofono“ beantragte er bereits 1871 ein Patent. Dieses wurde allerdings über zwei Jahre lang nicht erteilt, so dass der Antrag erlosch.
Meucci reichte seine Unterlagen und Geräte bei Edward B. Grant ein, dem Vizepräsidenten der American District Telegraph Co., um seine Erfindung an deren Telegraphenkabel testen zu lassen, wurde aber mehr als zwei Jahre lang hingehalten. In der Zwischenzeit nutzte Bell, der jetzt in den ehemaligen Werkstätten Meuccis bei der American District Telegraph Co. arbeitete, dessen Materialien und Unterlagen für die Weiterentwicklung seines eigenen Telefons. 1876 meldete Bell schließlich als erster hierfür ein Patent an. Trotz jahrzehntelanger Auseinandersetzungen mit Bell gelang es Meucci nicht, das Patent oder wenigstens eine finanzielle Entschädigung zu erhalten. Er starb als verarmter Mann.
Bell profitierte dabei auch von der Grundlagenforschung des Deutschen Philipp Reis, der bereits ein tonübertragendes Gerät entwickelt hatte, dass er „Telephon“ nannte. Kann man sagen, Bell hat sich an anderen, nicht geschützten wissenschaftlichen Erkenntnissen bedient?
Brückmann: Man kann sagen, dass die Zeit reif war für das Telefon als Bell 1876 sein Patent anmeldete. Wichtige Grundlagenforschung auf dem Gebiet der lautsprachlichen Kommunikation erfolgte von Philip Reis, aber auch anderen. Philip Reis entwickelte sein „Telephon“ bereits im Zeitraum von 1858 bis 1863 und verkaufte es in größeren Stückzahlen als Demonstrationsobjekt. Hierdurch gelangte es auch ins Ausland.
Brückmann: Man kann sagen, dass die Zeit reif war für das Telefon als Bell 1876 sein Patent anmeldete. Wichtige Grundlagenforschung auf dem Gebiet der lautsprachlichen Kommunikation erfolgte von Philip Reis, aber auch anderen. Philip Reis entwickelte sein „Telephon“ bereits im Zeitraum von 1858 bis 1863 und verkaufte es in größeren Stückzahlen als Demonstrationsobjekt. Hierdurch gelangte es auch ins Ausland.
Dieser Apparat regte wiederum eine Reihe von Erfindern zu Experimenten und Weiterentwicklungen an. Auch Bell kam mit ihm sowohl in Edinburgh als auch später in den USA in Berührung. Es ist unbestritten, dass er sicherlich stark von der für ihn sehr wichtigen Grundlagenforschung von Philip Reis profitiert hat. Auch wenn Bell stark von den Vorarbeiten anderer inspiriert wurde, hat auch er eigene, wichtige Verbesserungen eingebracht. Letztendlich hatte er gute Kontakte zu Leuten, die seine Arbeiten förderten, sodass er der erste war, der das Patent für die akustische Tonübertragung erfolgreich angemeldet hat.
Bell meldete sein Patent für einen Fernsprecher nur zwei Stunden vor einem anderen Antrag von Elisha Gray an und es entstand ein aufreibender Patenterechtsstreit, wobei das Model von Gray auch tatsächlich funktionierte. Trotzdem obsiegte Bell. Ging das alles damals mit rechten Dingen zu?
Brückmann: Sowohl Bell als auch Gray haben sich vor ihren Patentanmeldungen mit dem sogenannten „harmonischen Telegraphen“ beschäftigt. Durch diesen sollten unterschiedliche Töne über eine Telegrafenleitung übertragen werden. Vermutlich haben beide unabhängig voneinander die gewonnenen Erkenntnisse weiterentwickelt und in ihre Patentanmeldungen eingebracht. Der Streit zwischen den beiden über den Vorrang ihrer Erfindungen stand aber von Anfang an im Raum. Bell konnte im Gegensatz zu Gray zwar kein funktionierendes Gerät vorweisen, er hatte andererseits aber bereits Erfahrungen bei der Erstellung von Patentanträgen gesammelt. In seinem Antrag beschrieb er das Prinzip für die Übertragung von Tönen in einer Form, die zu dem damaligen Zeitpunkt völlig ausreichend war, um als Patent anerkannt zu werden. Der Antrag wurde am 14. Februar 1876 über seinen Anwalt Gardiner Greene Hubbard eingereicht. Zwar nur zwei Stunden, aber eben doch später, reichte Elisha Gray seine Anmeldung ein, wobei er auch auf ein funktionierendes Gerät verweisen konnte.
Der von Bell über Hubbard eingereichte Antrag führte zu der größten patentrechtlichen Auseinandersetzung die jemals stattgefunden hat. Nach der Erteilung des Patents am 7. März 1876 vermuteten einige eine illegale Verbindung zwischen Bell und dem Patentamt.
Da das Patent sehr umfassend formuliert war, gab es im Laufe der Jahre fast 600 Einsprüche gegen das Patent, die jedoch alle abgewiesen wurden. Bells Patent wurde in allen Prozessen uneingeschränkt bestätigt. Ob tatsächlich alles mit rechten Dingen zuging, lässt sich auch aus heutiger Sicht nicht eindeutig sagen. Auf jeden Fall war Bell sehr gut vernetzt und hatte zahlungskräftige Freunde im Hintergrund.
1881 war das Bell-Telefon endlich einsatzfähig, denn er benutzte nun die elektromagnetische Induktion. Wie muss ich mir das vorstellen?
Brückmann: Bewegt man eine Spule, die sich um einen festen Magneten herum befindet, in eine Richtung, so entsteht ein elektromagnetisches Feld. Dadurch wird in der Spule ein Strom in einer Richtung erzeugt. Bei einer Bewegung der Spule in die entgegengesetzte Richtung entsteht ein Stromfluss in der umgekehrten Richtung. Dieses Prinzip wurde von dem englischen Physiker Faraday entdeckt und wird als elektromagnetische Induktion bezeichnet.
Dieses Prinzip kann man beim Mikrofon nutzen, in dem man die Spule mit einer Membran verbindet. Wird die Membran durch die akustischen Wellen bewegt, so überträgt sich diese Bewegung auf die Spule und es wird proportional zur Bewegung ein Strom induziert. Kehrt man dieses Prinzip um, so entsteht ein Lautsprecher, so dass man aus den Wechselströmen auch wieder akustische Signale erzeugen kann. Dieses Prinzip wurde jetzt auch von Bell in seinen Telefonen benutzt wobei weitere Verbesserungen einflossen.
Bell gründete 1877 die Bell Telephone Company, die aber zunächst nicht erfolgreich war. Warum nicht?
Brückmann: Zur Vermarktung seiner Erfindung wurde im Juli 1877 von einer Gruppe rund um Gardiner Hubbard unter Beteiligung von Alexander Graham Bell und seinem Assistenten Watson die Bell Telephone Company gegründet. Allerdings hatte die Firma in der Anfangsphase große Absatzschwierigkeiten, da der Bedarf an Telefonapparaten noch nicht sehr groß war. Schließlich bot man sogar dem großen Konkurrenten, der Western Union Telegrafengesellschaft, bei der auch Elisha Gray beschäftigt war, die Patente zum Kauf an. Diese lehnte allerdings ab, was sich im Nachhinein als großer Fehler herausgestellt hat. Nach mehreren Fusionen der Bell Telephone Company mit anderen Firmen, wurde 1885 als Tochterunternehmen die „American Telephone and Telegraph Company“ (AT&T) gegründet. Diese Firma wurde später zu einer der weltweit erfolgreichsten Telefongesellschaften.
Nach mehreren Transferaktivitäten begann die Erfolgsgeschichte des Telefons, die heute von der American Telephone and Telegraph Company, kurz AT&T genannt, vermarktet wird. Als Bell 1922 starb, ruhte in den Vereinigten Staaten eine Minute lang der gesamte Telefonverkehr. Wie denkt die Wissenschaft heute über ihn?
Brückmann: Während in der amerikanischen und angelsächsischen Literatur Bell meistens an erster Stelle als Erfinder des Telefons genannt wird, ist dieses in der deutschsprachigen Literatur sehr häufig Philip Reis. In Italien und einigen anderen Ländern werden insbesondere auch die Verdienste von Meucci hervorgehoben, nachträglich wurde dieser sogar mit Beschluss des amerikanischen Repräsentantenhauses vom 11. Juni als Erfinder des Telefons anerkannt.
Weltweit unbestritten ist auf jeden Fall, dass es Bell gelungen ist, basierend auf seiner Patentanmeldung und der Unterstützung zahlungskräftiger Freunde ein funktionsfähiges Telefon zu entwerfen, das sich auch in großen Stückzahlen produzieren ließ. Dieses stellte den Durchbruch für die Telefonie dar, die sich in der Folgezeit mit exponentiellem Wachstum über die ganze Erde ausgebreitet hat.
Daß Bell so erfolgreich war, ist sicherlich auf mehrere Ursachen zurückzuführen. Hierzu gehören insbesondere seine Intuition, seine umfassenden Kenntnisse auf dem Gebiet der Tontechnik, sein breites wissenschaftliches und technisches Verständnis, seine gute Vernetzung auch mit zahlungskräftigen Geldgebern und letztendlich auch das Glück, zum richtigen Zeitpunkt das richtige getan zu haben.
Im späteren Verlauf seines Lebens erfuhr Bell zahlreiche Ehrungen, auch die Einheit für den Pegel Bel bzw. Dezibel ist nach ihm benannt. Dieses macht deutlich, welche Wertschätzung ihm weltweit entgegengebracht.
Prof. Dr.-Ing Dieter Brückmann leitet das Fachgebiet Nachrichtentechnik, Bauelemente und Schaltungstechnik in der Fakultät für Elektrotechnik, Medientechnik und Informationstechnik der Bergischen Universität.