Eine Exkursionsreise des Fachs Geschichte unter der Leitung von Dr. Arne Karsten auf der Suche nach deutschen Spuren in Rom
Wissenschaftliche Forschung und Entwicklung, der Erkenntnisgewinn und das neu generierte Wissen sind kein Selbstzweck, sondern dienen der Weiterentwicklung unserer Gesellschaft. Eine zentrale Bedeutung hat dabei der Transfer der Ergebnisse in die Öffentlichkeit, Wirtschaft, Politik und sozialen Institutionen. Mit den „Bergischen Transfergeschichten“ zeigt die Bergische Universität beispielhaft, wie sich Forscherinnen und Forscher mit ihrer Arbeit in die Region einbringen, mit anderen Partnern vernetzen und die Gesellschaft so aktiv mitgestalten.
VON UWE BLASS
Im Onlineportal StudyCHECK kann man lesen: “Um erfolgreich Geschichte studieren zu können, solltest Du umfassendes Interesse an historischen Ereignissen, alten und neuen Sprachen sowie analytisches Denken mitbringen.“ Interessant wird es vor allem dann, wenn sich Gelegenheiten ergeben, wissenschaftliche Studien direkt vor Ort durchzuführen. Dr. Arne Kasten, Dozent für Geschichte der Neuzeit an der Bergischen Universität, veranstaltet aus diesem Grund auch immer wieder Exkursionen, die seinen Studierenden die Möglichkeit der Recherche am Objekt ermöglichen. Trotz Corona-Dauersituation hat er sich mit 15 Teilnehmern zu einer Forschungsreise nach Rom aufgemacht, um die Spuren deutscher Gelehrter und Pilger in der ewigen Stadt ausfindig zu machen. Zusammen mit dem Doktoranden Michael Schwedt und dem Masterstudenten Jonathan Huppertz berichtet er über die detektivischen Arbeiten Wuppertaler Jungforscher.
Die Quellen zum Sprechen bringen
„Die Idee dabei war es, nicht einfach nur Wissen und Referate abzuspulen, sondern im gemeinsamen Gespräch vor den Kunstwerken die Quellen zum Sprechen zu bringen“, sagt Karsten, „die Fragen der erstmalig beteiligten Studierenden haben dann auch immer wieder neue Ansätze geliefert.“ In Zusammenarbeit mit seinem Kollegen Prof. Dr. Andreas Meier aus der Germanistik plante Karsten diese Exkursion mit konkreten Aufgabenstellungen, die dann wiederum in Eigeninitiative umgesetzt werden sollten. „Aufgebaut hatten wir das Ganze auf vier Schwerpunktthemen“, berichtet Michael Schwedt. „Ein Thema war ‚Kardinal Matthäus Schiner (1465 – 1522) und die Schweizer Garde’, ein weiteres behandelte den Konvertiten und Bibliothekar Lucas Holsten (1596 – 1669) im Dienste der Papstfamilie Barberini in Rom. Das dritte Schwerpunktthema war der Jesuit Athanasius Kircher (1602 – 1680) und der Jesuitenorden. Mit dem vierten Thema sind wir dann mit dem Historiker Ferdinand Gregorovius (1821 – 1891) und dem italienischen Risorgimento (italienische Einigung) ins 19. Jahrhundert gekommen. Es gab also immer eine Schwerpunktperson in Verbindung mit einer Institution oder einem größeren Prinzip.“
Damit deckten die Teilnehmer einen großen Zeitraum ab, um Personenkreise und Institutionen in den Blick zu nehmen. Der rote Faden dabei, ergänzt Schwedt, sei das Thema ‚Gelehrte in Rom‘ gewesen, zu dessen Vorbereitung sich die Beteiligten bereits im Vorfeld der Exkursion regelmäßig trafen und eigenständig die Herangehensweise planten. „Die Objekte, an denen man die Aufgabenstellung dieser deutschen Spuren im römischen Stadtraum zeigen konnte, wurden von den Exkursionsteilnehmern selber gefunden und ausgewählt“, sagt Schwedt. Und da man schon mal vor Ort war, schrieb ein Student sogar die Schweizer Garde per Email an, um nach weiteren spannenden Objekten zu fragen, die man noch hätte einbinden können. „Die haben auch tatsächlich zurückgeschrieben“, lacht Schwedt.
Ein deutscher Friedhof mitten im Vatikan
Ab dem Mittelalter ließen sich viele Handwerker aus aller Welt in Rom nieder. Es entwickelte sich eine regelrechte Kolonie ausländischer Mitbürger. So entstand auch ein umfangreiches deutsches Leben, mit Bäckereien – deutsches Brot gibt es da noch heute – Kirchen und auch Friedhöfen, die man aber suchen muss. Der Campo Santo Teutonico ist ein Beispiel eines deutschen Friedhofs mitten im Vatikan. „Das geht zurück auf eine Bruderschaft, die sich dort im 16. Jahrhundert gründet“, erklärt Jonathan Huppertz. „Die haben es sich zur Aufgabe gemacht, sich um deutsche Pilger zu kümmern. Dazu gehört es natürlich dann, eine Anlaufstelle zu sein aber auch später im Todesfalle, sich um eine Beerdigung vor Ort zu kümmern.“ Aus dieser quasi Privatinitiative von Landsleuten entwickelte sich im Laufe der Jahre dieser deutsche Friedhof im Zentrum des Vatikans. „Es war eine Bruderschaft, die anfänglich aus wenigen Mitgliedern bestand, die kuriale Ämter innehatten“, ergänzt Huppertz, „die sich am päpstlichen Hof bewegten, sich in Privatinitiative zusammenschlossen und für deutsche Pilger tätig wurden.“
Der Campo Santo Teutonico – ein Erinnerungskosmos
Der Campo Santo Teutonico ist eines der letzten Relikte des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Zum Campo gehört auch die Kirche Santa Maria della Pietà, in der viele Hauptleute der Schweizer Gardisten bestattet sind. Die Besucher müssen sich bei den Schweizer Gardisten am Tor südlich des Petersdoms zwischen den Kolonnaden und dem Palazzo del Sant`Uffizio melden und in deutscher Sprache den Zugang zum Deutschen Friedhof oder Campo Santo Teutonico begehren. Dieses skurril anmutende Prozedere hat für Karsten eher etwas Erleichterndes. „Es ist vor allem ungewöhnlich großzügig, denn das Bemerkenswerte ist ja nicht, dass man um den Einlass bitten muss, sondern dass man ihn ohne Voranmeldung, ohne Antrag, ohne eine E-Mail verschicken zu müssen, einfach im Vorbeigehen erbitten kann und gewährt bekommt“, erklärt der Wissenschaftler. „Als Deutscher hat man das Recht, ohne Formalie dorthin zu gehen und sich den Friedhof und die sich daran anschließende Kirche anzusehen.“ Und dieser Friedhof sei auch wirklich ein faszinierendes Sammelsurium von Gräbern, auf dem man immer wieder etwas Neues entdecke, weiß Karsten. Vom einfachen Mann über Künstler, Gelehrte und Wissenschaftler seien dort viele Tote vereint. „Wir haben einen Grabstein über einen deutschen Bäcker, der 1527 beim Sacco di Roma (Plünderung Roms) zu Tode kam entdeckt, der mit einer Brezel abgebildet ist. In diesem Jahr habe ich das Grab des Chefkochs eines k.u.k Gesandten, der 1908 in Rom verstarb, als der Graf gerade Botschafter in Rom war, gefunden. Er hat seinem Küchenchef zur Erinnerung einen Grabstein gestiftet. Wir haben auch Maler und Künstler gefunden, die im 19. Jahrhundert in Rom gelebt und gearbeitet haben. Ein wahrer Erinnerungskosmos“, schwärmt Karsten und Huppertz fügt hinzu: „Dazu ist es für deutsche Reisende auch eine wunderbare Ergänzung, wenn man gerade aus dem Petersdom kommt, der sehr überlaufen ist. Der wird ja von riesigen Massen an Touristen besucht, gerade, wenn man nicht sehr früh kommt. Dann ist das Kontrastprogramm mit einem Besuch des Friedhofes seitlich davon, sehr ruhig und besinnlich. Es ist ein sehr schöner Ort“, und den Besucher erwarte ein kleines Stück Gegenwart der Vergangenheit, ergänzt Karsten.
Weitere Spuren in Rom
Catharina Elisabeth Goethe schrieb ihrem Sohn Johann Wolfgang nach Rom: ´Lieber Sohn … Jubeliren hätte ich vor Freude mögen, dass der Wunsch, der von frühester Jugend in deiner Seele lag, nun in Erfüllung gegangen ist… Seine Reiseeindrücke erschienen später unter ‚Italienische Reise
‘ und entfachten eine weitverbreitete Italiensehnsucht. Seit der Zeit des Humanismus kamen viele deutsche Gelehrte und Künstler nach Rom. Ihre Spuren kann man heute noch entdecken. „Dazu gehört sicher das Haus, in dem Goethe damals gelebt hat“, beginnt Schwedt, „man kann ganz viele Anknüpfungspunkte für Gelehrte und Künstler finden, die inspiriert nach Italien kamen. In Santa Maria dell´Anima, der deutschen Nationalkirche, kann man sie sehr deutlich greifen. Menschen wie Lucas Holsten tauchen überall auf, weil sie sich im Dunstkreis einer mächtigen Papstfamilie bewegen“, erklärt er. „Holsten taucht auch im Petersdom auf, bei Christina von Schweden (schwedische Königin von 1632 – 1654). Da haben wir uns das Grabmal angeschaut, also eine Monarchin und Konvertitin, die ihre Krone abgibt, konvertiert, nach Rom zieht und den Rest ihres Lebens dort verbringt. Sie wird bei ihrer Konversion von Lucas Holsten begleitet, der als Hamburger Gelehrter dort auftaucht. Und er ist auch auf dem Grabmal abgebildet, einer, den kaum jemand erkennen würde, wenn man es nicht weiß“, und Karsten fügt hinzu: „Es ist ein großes Grabmal und auf dem Sarkophag, in dem die sterblichen Überreste der Königin liegen, ist ein Relief angebracht. Dieses Relief zeigt die Szene ihrer Konversion, wo dann auch Lukas Holsten als gebürtiger Hamburger Protestant selber konvertiert und als Betreuungsfachmann für Konversionsfälle in der Zeit Urban VIII. fungiert.“ Gelehrte wie Holsten hatten damals nicht die Mittel, um selber im Fokus der Aufmerksamkeit zu stehen, sind aber durch ihre Dienste bei prominenten Arbeitgebern, wie z.B. der päpstlichen Familie, immer am Rande beteiligt. So auch der deutsche Jesuit Athanasius Kircher. „Er ist als Jesuit in Rom an ganz vielen Projekten beteiligt“, weiß Schwedt, „und das erkennt man heute nur, wenn man sich damit auseinandersetzt. Wir hatten uns den Vierströmebrunnen auf der Piazza Navona angesehen, ein Objekt, welches durchweg von Touristen belagert ist. Da thront oben ein Obelisk drauf und die Hieroglyphen erinnern an Kircher, weil er sich damit intensiv auseinandergesetzt hat. Man erkennt ihn am Rande, obwohl er prominent vor aller Augen ist. Das ist bei vielen Personen so, sie wirken immer irgendwie überall mit und gehören auch zu diesem Machtzentrum dazu.“
Santa Maria dell`Anima – letzte Ruhestätte eines deutschen Papstes
Santa Maria dell’Anima ist die Nationalkirche der deutschen Katholiken, die sich aus einer Hospizstiftung entwickelte. Die Zahl der deutschen Zuwanderer muss irgendwann so groß gewesen sein, dass dann sogar ein Neubau von 1499 bis 1509 erfolgte. Die Spenden dazu kamen auch von Jakob Fugger, dem Reichen. Der deutsche Bezug geht aber noch weiter, denn in dieser Kirche wurde auch der letzte deutsche Papst vor Benedikt XVI., Papst Hadrian VI., 1523 beigesetzt. „Er lag ursprünglich im alten Petersdom, also Alt Skt. Peter, ca. 10 Jahre“, berichtet Huppertz. „Anfang des 16. Jahrhunderts beginnt man den Neubau des Petersdoms und zwar mit recht rabiaten Umbauarbeiten, so dass auch einige bedeutende Papstgräber verloren gehen. Hadrian VI. wurde auch Opfer dieser Umbaumaßnahmen. Aber glücklicherweise wurde das Grab dann in die Deutsche Nationalkirche überführt. Es ist bezeichnend, dass er dahin kommt, denn es finanziert einer seiner engsten Freunde, Kardinal Willem van Enckenvoirt, der einzige Kardinal, den Hadrian in seiner kurzen Amtszeit ernannt hat.“ Natürlich sei Rom auch die Stadt der Toten, erklärt Karsten, und das sei für die vormoderne Denkwelt sehr wichtig und könne in Rom sehr schön studiert werden. Die Erinnerung an die Verstorbenen, das bewusste Inszenieren der bedeutenden Toten gehöre zur Lebenswelt der Nachwelt und sei damit auch das Setzen eines Erinnerungszeichens.
Königreich Italien ermöglicht den Bau einer Lutherischen Kirche
Auch eine Lutherische Kirche gibt es im katholischen Rom. Ihr Architekt, Franz Schwechten, hat in Berlin die Kaiser Wilhelm Gedächtniskirche erbaut. 1910 wurde das Bauprojekt endlich umgesetzt. „Das ist sehr eng verbunden mit dem Königreich Italien, als Rom aufhört, die Hauptstadt der Päpste zu sein und Hauptstadt der Könige wird“, sagt Schwedt, „den Vorläufer dieser Kirchenstiftung hatten wir schon früher betrachtet, als wir auf dem Kapitol waren. Da ist der Palazzo Caffarelli und da war früher die preußische Gesandtschaft drin.“ Denn tatsächlich habe man dort schon ab 1817 in einer Hauskapelle lutherische Gottesdienste gefeiert, ab 1819 sogar mit einem eigenen Pfarrer. „Da fand im Herzen Roms schon dieses evangelische Gemeindeleben statt. Das sah zwar der Papst nicht gerne, aber man wollte auch keinen Streit mit der preußischen Gesandtschaft, daher duldete man es“, erklärt Schwedt. Nicht geduldet wurden dagegen verstorbene Nichtkatholiken, die man innerhalb der Stadt nicht beisetzen durfte. „Da gibt es den Cimitero Acattolico“, sagt Karsten, „da dürfen die Ketzer ihre Toten bestatten. Da liegt z.B. Goethes Sohn und viele andere protestantische Künstler und Gelehrte.“ Sichtbar ein Gebäude innerhalb des Kirchenstaates entstehen zu lassen, das einem anderen Kultus gewidmet ist, sei völlig undenkbar gewesen. Nachdem 1870 jedoch Truppen des italienischen Königs Rom erobert hatten, war der Weg frei zum Bau einer evangelischen Kirche. „Für den gesamten Stadtraum war nun das Königreich Italien verantwortlich und das führte dazu, dass auch andere Konfessionen Bauland erwerben konnten“, sagt Schwedt.
Seit 2015 gibt es in der Nähe des Kolosseums einen Martin-Luther-Platz
Auch im 21. Jahrhundert lassen sich immer noch deutsche Einflüsse in Rom nachweisen, wie z.B. der vor sechs Jahren neu benannte Martin-Luther-Platz (Piazza Martin Lutero). Die Wissenschaftler hingegen entdecken immer wieder Neues an alten Objekten. „Mich hat sehr gefreut“, resümiert Karsten, „dass das Konzept der Exkursion aufgegangen ist. Die Idee, nicht Wissensmassen zu referieren, sondern gemeinsam die historische Quelle ernst zu nehmen und versuchen, aus der Beschäftigung mit den einzelnen Objekten die Geschichte lebendig werden zu lassen auf der Basis studentischer Eigeninitiative“, und Schwedt ergänzt: „Für mich war es diesmal sehr interessant, über diese Gelehrtenfiguren in der zweiten Reihe mehr zu erfahren, wie wichtig sie im Gesamtzusammenhang der Entwicklungen sind. Deutsche Spuren in Rom sind über Holsten, Kircher oder andere immer wieder im Stadtraum zu entdecken. Das barocke Rom als in recht kurzer Zeit entstandenes Bauensemble prägt bis heute die Stadt. Und da haben viele Deutsche in zweiter Reihe mitgewirkt.“
PD Dr. Arne Karsten (1969) studierte Kunstgeschichte, Geschichte und Philosophie in Göttingen, Rom und Berlin. Von 2001 bis 2009 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kunst- und Bildgeschichte der Humboldt-Universität Berlin. Seit dem Wintersemester 2009 lehrt er als Junior-Professor, seit der Habilitation 2016 als Privatdozent für Geschichte der Neuzeit an der Bergischen Universität.*
Michael Schwedt (1988) studierte Geschichtswissenschaft und Germanistik an der Bergischen Universität Wuppertal bis zum Abschluss des Master of Education und Master of Arts. Aktuell arbeitet er unter der Betreuung von PD Dr. Arne Karsten an seiner geschichtswissenschaftlichen Dissertation zum Untergang der Republik Venedig und seit November 2021 als Projektmitarbeiter in der Germanistik an der BU.*
Jonathan Huppertz (1995) studiert derzeit Geschichtswissenschaft und Anglistik an der Bergischen Universität Wuppertal im Master of Education.*