Marc Dieluweit, Wirtschaftsanwalt, Bergischer, hat neulich während eines Aufenthalts auf dem Münchener Flughafen seine Gedanken zu dem alles überschattenden Thema der Zeit sortiert und sie auf seinem Facebook-Account veröffentlich. Dem Forum Wermelskirchen hat er gestattet, seine Überlegungen als Leserbrief und Gedankenanstoß zu publizieren:
Ich bin 50 Jahre alt, Vater von drei Kindern, geschieden, lebe in einer glücklichen Partnerschaft, ich bin gesund. Seit über 20 Jahren arbeite ich als Rechtsanwalt, spezialisiert auf (inter)nationales Wirtschaftsrecht.
Seit dem 24. Februar 2022 ist Krieg in Europa. Ich flog geschäftlich erst nach München, dann nach Hamburg – es ist nicht unüblich, dass meine Tätigkeit immer wieder Reisen innerhalb Deutschlands, Europas oder auch darüber hinaus erforderlich macht.
Meine Reisezeit verbringe ich normalerweise damit, mich auf meine Meetings vorzubereiten, Schriftsätze zu korrigieren, Präsentationen zu überarbeiten und mich auf Vorträge vorzubereiten.
An diesem Donnerstagvormittag, dem 24. Februar 2022, ist alles anders. Die Nachrichten überschlagen sich, die Informationen aus dem Wirtschafts- und Finanzministerium, die ich erhalte verängstigen mich. Das Unmögliche ist Realität geworden. Herr Präsident Putin greift militärisch die Ukraine an.
Der Angriff wird von allen Politikern verurteilt, als völkerrechtswidrig dargestellt. Wenige Stimmen versuchen zu erklären, dass sich Herr Präsident Putin von der NATO und dem Westen bedroht fühlt.
Ich denke an die Menschen in der Ukraine und Russland, die den Krieg verabscheuen, die den Krieg verurteilen. Ich bekomme Angst, Angst vor einem Krieg, der unser Land betrifft, die Angst, die sich bei den Menschen der Ukraine bereits realisiert hat.
Plötzlich sollen unsere Werte, soll all das, wofür wir gelebt und gearbeitet haben, nichts mehr wert sein. Nein, es ist nicht die Herausforderung, die eigene Komfortzone zu verlassen. Es ist, dass das Unvorstellbare plötzlich vorstellbar wird, es erscheint realistisch.
Menschen demonstrieren gegen den Krieg, ich auch aktiv wie auch passiv. Ich bete, ich bete immer wieder für Frieden. Ich will etwas tun, will etwas gegen Krieg und Leid tun und fühle, wie ohnmächtig ich bin, wie ohnmächtig wir alle sind. Auch die uns repräsentierende Regierung.
SWIFT, Waffenlieferung und Vieles mehr wird erwähnt. Konferenzen von EU, NATO, OSZE, G7. Unsere Politiker, Regierung wie auch Opposition haben sich ihre Arbeit und ihre Aufgaben sicherlich anders vorgestellt. Nun, plötzlich, erlangt ihr Handeln eine andere Bedeutung, es wird ihnen ihre wahre Verantwortung bewusst. Und ich danke ihnen, dass sie zu ihrer Verantwortung stehen, sie bereit sind, ihr Volk auch und insbesondere durch diese Krise zu manövrieren. Dabei mag es Entscheidungen geben, die für uns Bürger nicht nachvollziehbar sind, Entscheidungen, die wir für richtig oder falsch halten.
Ich werde weder das Eine noch das Andere kritisieren. Ich bin dankbar, dass sie für uns da sind und sich nicht wegducken. Mittlerweile ist Tag 4 des Krieges. Meine Gefühlslage hat sich manifestiert, Freitag und Samstag habe ich beruflich wie auch privat funktioniert. Mein Leben, mein Denken, meine Emotionen werden von den Kriegsnachrichten geprägt.
Ich denke an meine Mandanten, wie sich nach dem SWIFT-Ausschluss russischer Banken ihre Geschäftsbeziehungen zu russischen Firmen verändern wird, welche Auswirkungen die Sanktionen auf geschlossene Verträge haben, was es für einen Zahlungsverzug, Leistungsstörungen, Produkthaftung und Vieles mehr bedeutet. Ich bereite Whitepapers und Präsentationen vor, denke an Formulierungen für Interviews. Wie gesagt, ich funktioniere, so wie wir alle und jede(r) auf seine Art und Weise funktionieren.
Soeben ereilt mich die Nachricht, dass sich der Magen unserer Ridgeback Dame gedreht hat. Sie muss operiert werden und während ich diese Zeilen schreibe, liegt sie unter dem Messer, ihr Leben ist auf Messsersschneide. Weltereignisse treten für einen kurzen Moment in den Hintergrund – meine wundervolle Frau Kerstin Lapp kümmert sich – alleine – um alles, unterstützt von Opa, meinem Papa, während ich auf meinen Rückflug warte. Gefühle von Bewunderung und Dankbarkeit, Liebe und Geborgenheit durchströmen mich.
Was für ein Karussell der Emotionen bei mir, wie, wahrscheinlich nur anders gelagert, auch bei jedem anderen Menschen. Ich wünsche jedem Einzelnen, ob Familie, Freunden, Bekannten, Mandanten, Geschäftspartnern, Gegenparteien, wirklich allen: viel Kraft in dieser Zeit, besinnen Sie sich auf das für Sie Wesentliche, seien Sie tapfer.
Mir kommt der Spruch aus den 80‘ern in den Kopf: Make Love Not War. Bitte lassen Sie uns – alle gemeinsam – für wenigstens einige Minuten an jedem Tag, so schön oder so schlecht er sein mag – an all jene Menschen in der Ukraine und in Russland denken, die diesem verdammten Krieg ausgesetzt sind.