Zum Holocaustgedenktag 2022

VON MARIE-LOUISE LICHTENBERG

Am 27. Januar wird in Deutschland seit 1996 der Opfer des Nationalsozialismus gedacht. Er ist ein bundesweiter, gesetzlich verankerter Gedenktag. Die Vereinten Nationen erklärten den Tag 2005 zum Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust. 

Als die Rote Armee im August 1944 dem KZ Auschwitz näherkam, begann die SS mit der stufenweisen Evakuierung des Lagers. Ab dem 17. Januar 1945 schickte sie etwa 56 000 Häftlinge auf Todesmärsche in Richtung Westen, um ihre Befreiung zu verhindern. Am 26. Januar ließ die Lagerleitung das letzte Krematorium sprengen. Als die sowjetische Armee am 27. Januar 1945 Auschwitz befreite, waren noch etwa 7500 kranke und vollkommen erschöpfte Häftlinge dort.

A doctor (centre) of the 322nd Rifle Division of the Red Army, with a group of survivors at the entrance to the newly-liberated Auschwitz I concentration camp, Poland, January 1945. The Red Army liberated the camp on 27th January 1945. Above the gate is the motto ‘Arbeit macht frei’ (‘Work brings freedom’). (Photo by Fine Art Images/Heritage Images/Getty Images)

Die Holocaustüberlebende Trude Simonsohn traf ich 2007 in Frankfurt am Main. Von 1979 an und bis ins hohe Alter sprach sie öffentlich und besonders in Schulen über ihr Leben und Leiden. Ich spürte bei unserer Begegnung die Kraft dieser bemerkenswerten Frau, die sich engagiert und überzeugend gegen das Vergessen wandte und alles tat, damit sich im Heute und Morgen dieses Grauen nicht wiederholt. Am 6. Januar 2022 starb Trude Simonsohn. Sie wurde 100 Jahre alt.

Am 25. März 1921 wurde sie in Olmütz in der damaligen Tschechoslowakei in eine jüdische Familie geboren, von den Nazis verfolgt und überlebte das Getto Theresienstadt und das Konzentrations – und Vernichtungslager Auschwitz. IhreEltern überlebten den Holocaust nicht. 

Über die Ankunft in Auschwitz mit ihrem Mann sagte sie:

“ … Dann sind wir angekommen und ich wusste nicht, wo wir sind. Und dann das übliche „Raus!“ und alles mit Eile und ich sagte: “Hier möchte ich lieber tot als lebendig sein.“ So ein Gefühl hatte ich einfach. Wir wurden bei der Ankunft sofort getrennt. Vor der Trennung haben wir abgemacht, dass wir uns nach der Befreiung in Theresienstadt treffen wollten, falls wir überleben sollten. Ich erinnere mich an Mengele, wie er breitbeinig dastand und einen Daumen nach rechts oder nach links zeigte. Und ich hatte keine Ahnung, als ich nach der einen Seite gehen musste, dass das zur Arbeit war und was die andere Seite bedeutete. Dann sind wir in die Duschen gekommen und ich wusste nicht, dass es Gas hätte sein können. Aber das habe ich nach einer Stunde von Leuten erfahren.
Dann wurden wir kahlgeschoren und dann mussten wir, was ich bis heute als eine furchtbare Demütigung empfinde, so kahlgeschoren und nackt, durch den Kordon der SS-Leute zu irgendeiner Kleiderausgabe gehen. Wir bekamen Kleidung und Holzpantinen und dann erinnere ich mich an das stundenlange Appellstehen, wo ich nur ein Gefühl hatte, jetzt möchtest du tot umfallen und zu allem spielte die Musik. Hier hört meine Erinnerung auf und sie ist nie wieder zurückgekommen. Ich weiß nicht, wie lange ich in Auschwitz war. Ich war nicht sehr lange da. Ich denke, wenn man sehr große körperliche Schmerzen hat, ist es ein Segen, wenn man ohnmächtig wird. Und ich glaube auch, dass eine Seele, die den Schmerz nicht mehr aushält, ohnmächtig werden kann. Ich hatte als Folge der gesamten Verfolgung drei solcher black outs. …“
(Quelle: Lichtenberg, Marie-Louise: Zwischen Glück und Grauen, München 2010, Seite 48/49)

Anlässlich eines Workshops am 27. Januar 2020 mit Jugendlichen einer Solinger Realschule versetzte sich ein Schüler in Trude Simonsohn und er schrieb:

„Ich wurde öfters gefragt, warum ich mit meinen 98 Jahren immer noch in Schulen gehe und immer noch Schülern und Schülerinnen erzähle, was mit mir in dieser grauenhaften Zeit passiert ist. Die einfache Antwort ist, um euch näher zu bringen, was mir in der NS-Zeit alles Grausame zugestoßen ist, und damit zu verhindern, dass sowas jemals wieder geschehen kann. 
Menschen werden heutzutage immer toleranter, was Gewalt angeht, rechte Parteien bekommen immer mehr Wähler und der Antisemitismus steigt auch immer mehr in Europa und damit genau sowas nicht nochmal passieren kann, nehme ich auch noch in meinem hohen Alter diese körperliche und geistige Anstrengung auf mich. Denn das ist unsere einzige Möglichkeit, sowas zu verhindern.“ 

Fynn, 15 Jahre

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