Plädoyer für konstruktiven lokalen Dialog

Plädoyer für konstruktiven lokalen Dialog

Die Mitteilung des POLITIKFORUM PAFFRATH entnehmender mit freundlicher Genehmigung dem Bürgerportal Bergisch-Gladbach:

Rheinisch-Bergischer Kreis | Beim 11. POLITIK FORUM PAFFRATH standen das Thema „Bürgerbeteiligung mit Entwicklungsbeiräten“ und Gesine Schwan als Impulsgeberin auf dem Programm. Das sorgte für eine starke Beteiligung – und eine intensive Diskussion über die künftige (Mit-)Gestaltung der Kommunalpolitik in Bergisch Gladbach und im Rheinisch-Bergischen Kreis.

Das Thema „Bürgerbeteiligung – welchen Beitrag können kommunale Entwicklungsbeiräte leisten?“ und Prof. Dr. Gesine Schwan, Präsidentin der Humboldt-Viadrina Governance Platform und Vorsitzende der Grundwertekommission der SPD, lockten trotz Feiertag und schönem Wetter mehr als dreißig Interessierte zur digitalen Diskussionsrunde des POLITIK FORUMS PAFFRATH. Unter den Diskutanten waren auch Bürgermeister Frank Stein und der SPD-Bundestagskandidat Kastriot Krasniqi.

Hintergrund: Das POLITIKFORUM PAFFRATH ist ein Diskussionsangebot der SPD in Bergisch Gladbach. Veranstalter ist die Stadtteil AG Schildgen-Paffrath-Hand. Weitere Infos finden Sie hier.

Alle Akteure an einem Tisch

Eine starke und wehrhafte Demokratie braucht engagierte Bürger:innen, die sich aktiv beteiligen. Kommunale Entwicklungsbeiräte sind ein geeignetes Instrument, um Bürgerbeteiligung zu gestalten, sie bringen Politik, Verwaltung, organisierte Zivilgesellschaft, Bürger:innen und Unternehmen an einen Tisch, um gemeinsam über die zukünftige Entwicklung der Kommune zu beraten, führte Gesine Schwan in ihrem Impulsbeitrag aus. Ziel sei ein kultureller Wandel, ein Miteinander, bei dem Menschen Menschen mitnehmen.

In zwölf Kleingruppen wurden die Überlegungen diskutiert und anschließend in die gemeinsame Diskussion eingebracht.

Hervorgehoben wurde, dass Bürgerbeteiligung identitätsstiftend sei, weil Menschen, die sich sonst nicht sprechen, zusammen arbeiten würden. In Bergisch Gladbach sei dies sehr gut machbar bei konkreten Klimaschutz-Projekten und der Entwicklung des Zanders-Geländes.

Einige Bedenken

Bedenken bestehen insoweit, dass die Ergebnisse der Bürgerbeteiligung mit den Ergebnissen der gewählten Institutionen (Stadtrat) gleichgesetzt werden könnten. Bürgerbeteiligung unterstütze den Stadtrat, dazu gäbe es gute Beispiele, war einer der Hinweise auf diese Sorge. Die Struktur und die Kapazitäten der kommunalen Verwaltung sei auch in Bergisch Gladbach der Flaschenhals, da personell überlastet und nicht auf den Bedarf der Bürgerbeteiligung vorbereitet.

Auch wurden die Bedenken formuliert, dass sich Bürgerinnen und Bürger nur dann engagieren, wenn eigene Interessen berührt werden. Wie kann es funktionieren, dass die Bürgerinnen und Bürger „dabei bleiben“ und weiterhin mitmachen? Stadtratssitzungen seien oft sehr langweilig. Gerade junge Menschen verlieren nach den ersten Sitzungen das Interesse. Wie kann man die Menschen durch den Prozess der Bürgerbeteiligung gut einbinden, wurde gefragt. Zeitlich befristete Projekte könnten hier eine Möglichkeit sein, war eine Antwort.

Sehr unterschiedliche Meinungen wurden deutlich: von Repräsentativer Demokratie sei das einzig wahre bis man sollte es versuchen. In Baden-Württemberg werden sehr gute Erfahrungen mit dem Format „Schimpfen-Spinnen-Schaffen“ gemacht, entscheidend sei, Bürgerbeteiligung mutig und konkreter anzugehen. In Baden-Württemberg wurden auf Landes- und Kommunalebene gute Erfahrungen gemacht, die ehemalige MdL Sabine Wölfle konnte in weiteren Diskussionen aus dem Landtag und den Kommunen berichten.

Mehr Bürgerbeteiligung ist notwendig

Manches scheitere an der Kommunikationskultur, der Unfähigkeit und des Unwillens zuzuhören, sich in die Lage des Anderen hineinzuversetzen. Darüber hinaus wird der Kompromiss oft auch als Verrat missverstanden.

Die Teilnehmenden waren sich einig, dass wir mehr Bürgerbeteiligung brauchen. Wichtig wäre, dass eine gute Mischung sichergestellt wird. Nicht nur die jetzigen Aktiven sollten diskutieren, sondern auch Menschen, die derzeit kein Gehör finden. Hier sollte die Ansprache über Multiplikatoren persönlich erfolgen. Themen sollten positiv besetzt sein, in die Zukunft gerichtet, nicht immer nur gegen ein Projekt sein.

Wie werden genug Mitmachen:innen mobilisiert?

Eine Gruppe ergänzte: Es geht um die Mobilisierung der Bürger, das Wecken von Interesse. Es geht um die Akquisition von Wissen und Können. Es geht um das Wirkungserlebnis des Einzelnen.

Hier wurde aber auch die Frustrationsgefahr der Beteiligten durch mangelnde Umsetzbarkeit der Entscheidungen (Finanznot der Kommunen, Personalnot) gesehen und die Gefahr der „Unterwanderung“ durch Menschen mit Partikularinteressen oder sogar durch parteiisch gefärbte oder ideologisch (extremistisch) geprägte Personen.

Entsprechend wurde die Frage aufgeworfen, wie man an ein „Quorum“ von tatsächlich relevanten und interessierten Persönlichkeiten komme. Wie hilft man Menschen, dass sie sich auch bei knapper Zeit und beschränkten Ressourcen einbringen. Man könne die Bürgerschaft auffordern sich für Beteiligungsprojekte zu registrieren und dann die Interessenten per Zufallsgenerator auswählen. 

Bürgerbeteiligung sei eine Investition in die Zukunft. Auch für die Verwaltung wird sich dies lohnen.

Ein wichtiger Punkt sei vor allem, dass der Einstieg für viele Bürger sehr schwierig erscheint. Die Beteiligung im Bereich Ehrenamt sei sehr hoch in Bergisch Gladbach, jedoch fehlt es an der politischen Beteiligung. Man brauche mehr Bürgerbeteiligung, jedoch benötigt dies auch eine bessere Organisation.

Man müsse mehr auf die Menschen zugehen. Politik ist kein Mikrokosmos, Menschen sollen nicht ausgeschlossen werden. Diese sollen von erfahrenen Ratsmitgliedern einbezogen werden, sodass sich die BürgerInnen auch willkommen fühlen. 

Entwicklungsbeirat erschließt neue Perspektiven

Ein gut besetzter Entwicklungsbeirat erschließe wichtige Perspektiven, die helfen können, gute Lösungen zu finden. Außerdem schaffen solche Formate eine Dialog- und Debattenkultur. Bürger merken, wie komplex und widersprüchlich die Welt sei.

Bürgerinnen und Bürger, die sich mit den Themen auseinandersetzen müssen, können auch mal nicht den Politikern die Schuld für den vermeintlich schlechten Konsens zuschieben, sondern lernen selbst, wie schwierig ein konstruktiver Diskurs sein kann. Der Bürger sei keine Bedrohung im Wettbewerb der Interessen, sondern kann eine Hilfe für die Konsensfindung der unterschiedlichen Interessen sein, das „Schmiermittel“ für das Vorwärtsentwickeln sein.

Sich auf unangenehme Diskurse einlassen

Voraussetzung sei aber die Bereitschaft, aus der eigenen Komfortzone herauszutreten und sich auf unangenehme Diskurse einzulassen. Ein Entwicklungsbeirat verlagere die öffentliche Diskussion wieder in Face to Face und weg aus den sozialen Medien.

Wir brauchen vor allem eine andere Sprache. Das gilt besonders für die Politik. Sonst ist ein echter Dialog nicht möglich. Politiker reden zu viel und fragen zu wenig und hören ungern zu, war eine der Thesen.

Unterschiedliche Interessen persönliche vortragen

In der Beantwortung der aufgeworfenen Fragen wies Gesine Schwan darauf hin, dass gerade die Vielfalt der Interessensbeteiligung sinnvoll sei und es keine Doppelstruktur zum Stadtrat geben dürfe, vielmehr geht es um die Entwicklung sich ergänzender Debattenformate.

Durch den konstruktiven Dialog zwischen den verschiedenen Interessen können Politik und Verwaltung vielmehr entlastet werden, weil annehmbare Vorschläge von den Interessengruppen selber verhandelt werden, statt die Last des Kompromisses oder der rechtlichen Abwägung an Politik und Verwaltung zu delegieren. 

Die verschiedenen Interessen müssen offen miteinander konfrontiert werden. Dann entsteht das Verständnis für die Ideen und Bedürfnisse der anderen Seite. Die Menschen müssen ihre Interessen persönlich vortragen und sich mit denen anderer Interessensträger auseinandersetzen. Es müsse kontrovers sein, nur dann wird es spannend. Dann entsteht Fantasie für neue Lösungen. Fantasie sei unser wichtigster Rohstoff!

Gute Begleitung und Moderation

Wichtig sei ein Entwicklungsbeirat, der gut begleitet und moderiert wird, wo die Teilnehmenden Zeit und Kapazität investieren (quartalsweise halb- oder ganztägige Treffen über mindestens zwei Jahre hinweg) und die Ergebnisse von der Politik- und Verwaltungsspitze ernsthaft berücksichtigt werden. 

Bei der Auswahl der Berater sei das Partizipations- und Demokratieverständnis zu hinterfragen, gut sei auch ein Moderatorenteam mit einer Person, die örtliches Wissen einbringt, und einer weiteren mit methodischen Kompetenzen.

Mit einem konkreten Projekt starten

Wichtig sei eine ganzheitliche, holistische Betrachtung der Stadt, die die intensive Vernetzung der Themenfelder anerkennt. Gut wäre es, mit einem konkreten Projekt zu starten, aber die Weiterentwicklung der Aufgabenstellung aufgrund der vielfältigen Vernetzung von Anfang an zu berücksichtigen: vom Kleinen zum Großen.

Teilhabe sei ein Lernprozess. Die Erfahrung von Selbstwirksamkeit sei auch eine gute Strategie im Kampf gegen rechte politische Strömungen.

Beitragsfoto: Gesine Schwan gab beim POLITIKFORUM PAFFRATH wichtige Impulse und schlug für viele Fragen Lösungsansätze vor © Gesine Schwan

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