Gedenken und Mahnen

Ein Wort zum Montag, dem 10. Mai 2021 

VON CORNELIA SENG

In vielen Städten finden zum 8. Mai, dem Tag der Befreiung von der nationalsozialistischen Herrschaft, Gedenkveranstaltungen statt. Auch in Kassel. Frauen der Gruppe OMAS GEGEN RECHTS haben sich entschieden, an einer Gedenkstätte oder an einem Stolperstein eine weiße Rose abzulegen, um der Opfer der Gewaltherrschaft zu gedenken. Und am 9. Mai würde Sophie Scholl hundert Jahre alt. Sie und ihre Freunde der Gruppe „Weiße Rose“ haben es gewagt, dem Nazi-Regime zu widersprechen. Sie haben Flugblätter verteilt und gehofft, Widerstand in der Bevölkerung organisieren zu können. 

Ich bin nach dem Krieg geboren. Ich habe es immer für selbstverständlich hingenommen, dass ich in einer Demokratie lebe – bis ich seit 2015 Menschen kennengelernt habe, die vor einem Unrechtsregime geflohen sind. Menschen, die in ihrer Heimat ausgegrenzt, verfolgt wurden. Sie kamen aus vielen Ländern der Erde. Außerhalb Europas, – schon auf der anderen Seite des Mittelmeeres – habe ich gelernt, ist Demokratie gar nicht selbstverständlich. Menschenwürde zählt nicht gegen Nationalismus, Religion und Autokratie. 

Am 20. März haben die sogenannten „Querdenker“ die Stadt, in der ich lebe, überrollt. Sie haben damit deutlich gemacht, dass ihnen der Schutz des Lebens der anderen und die Anordnungen dieses demokratischen Staates egal sind. Seitdem ist mir klar: Es ist ganz und gar nicht selbstverständlich, dass wir morgen noch in einer Demokratie leben werden, in der die Menschenwürde jedes einzelnen das höchste Gut ist. 

Am 9. Mai ist der Sonntag „Rogate“, das heißt „Betet!“. Wir feiern die Einladung, beten zu dürfen. „So ermahne ich nun, dass man vor allen Dingen tue Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung für alle Menschen, für die Könige und für alle Obrigkeit“, schreibt der Apostel in 1.Timotheus 2. Wie nötig ist das! Wie nötig ist es, dafür zu beten, dass Politiker und Politikerinnen nicht ihr Eigeninteresse vor das Wohl des Volkes stellen, dem sie dienen sollen!

Aber ich weiß auch um den Wahlspruch der alten Mönche: „Ora et labora! – Bete und arbeite!“ Demokratie ist Arbeit, ist öffentliches Handeln, Schreiben, Sprechen. Von uns allen. Gedenken und Mahnen. Von alleine wird die Demokratie nicht weiterleben.

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