Deutscher Jugendliteraturpreis 2021

Sparte Jugendbuch / Buchtipps VII – Nominierungen der Kritikerjury

VON MARIE-LOUISE LICHTENBERG

Jurga Vilė (Text) • Lina Itagaki (Ill.) • Sibiro Haiku • Aus dem Litauischen von Saskia Drude • Baobab Books • ISBN 978-3-907277-03-4 • 25,00 € (D), 25,70 € (A) • Ab 13 Jahren

Sowjetische Truppen verschleppen 1941 ganze Familien aus Litauen nach Sibirien. Unter den Deportierten ist der achtjährige Algis. Jeder Tag wird im bitterkalten Winter zum Überlebenskampf.

Aus Algisʼ kindlicher Perspektive wird das Leiden im Lager erzählt, gerade dieser Blickwinkel macht es überhaupt erst erträglich. Besonders ist der Zusammenhalt der Inhaftierten: Mit Humor und Solidarität entwickeln sie Gemeinsinn, trotzen so den unmenschlichen Bedingungen. Und sie haben noch ein geheimes Über-Lebensmittel: Kultur. Algisʼ Tante hat einen Haiku-Band mit ins Lager gebracht; die sparsamen Texte helfen gegen Verzweiflung. Und die Gefangenen gründen einen Chor; das gemeinsame Singen gibt ihnen Hoffnung. Das Schicksal endet zweigeteilt, denn nur die Kinder dürfen nach Litauen zurückkehren.

Jurga Vilé und Lina Itagaki entreißen ein bewegendes Kapitel europäischer Geschichte dem Vergessen. Ihre Graphic Novel zieht alle Register: Seite für Seite finden sich überraschende Bild-Text-Kombinationen voller Atmosphäre. Details, Farbgestaltung und Handlettering fügen sich zu einem bemerkenswerten Gesamtkunstwerk, das seine Wirkung in der Übersetzung von Saskia Drude auch im Deutschen entfaltet. Eine Geschichte, die ergreift und ermutigt.

Tamara Bach • Sankt Irgendwas • Carlsen • ISBN 978-3-551-58430-4 • 13,00 € (D), 13,40 € (A) • Ab 14 Jahren

Wilde Diskussionen und Vermutungen wabern über den Schulhof. Es steht außer Frage, dass die Klassenfahrt der 10b eskaliert ist. Aber warum und wieso, darüber hüllen sich alle in Schweigen. Fest steht nur, sie waren in Sankt Irgendwas.
Lehrer Utz verlangt seiner Klasse einiges ab, stundenlange Busfahrten, absolutes Handyverbot, Museumsführungen und eigens von den Jugendlichen vorbereitete Vorträge über kunsthistorische Stätten. Zusätzlich sollen die Schülerinnen und Schüler ein Protokoll über ihre Reise führen. Nachdem feststeht, dass Utz die Zeilen nie lesen wird, lösen längere Berichte die anfänglichen Protokolle ab. Noch dazu schlägt sich nicht nur „die Kaiserin“ als begleitende Lehrkraft auf die Seite der Klasse, sondern unverhofft auch ein weiterer Verbündeter.
Tamara Bach lässt die 10b zu einer Einheit werden, Solidarität und Zusammenhalt prägen die letzten gemeinsamen Tage im Klassenverband. Bachs teilweise lakonischer, aber immer authentischer Ton entfaltet eine poetische Kraft, die fesselt und berührt. Atmosphärisch und sensibel wird die angespannte Stimmung zwischen Utz und seiner Klasse geschildert, und doch bleibt Raum für Witz und Situationskomik. Ein schleunigst einberufener Elternabend lässt von Neuem Spekulationen aufflammen.

Die Texte wurden von der Kritikerjury erstellt.

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