Pandemie verhindert öffentliche Diskussionen
VON JOCHEN BILSTEIN*
Krisenzeiten wie in einer Pandemie sind Zeiten der Exekutive. Dass dabei die politischen Gremien erst einmal zurücktreten und zum Beispiel Ausschusssitzungen schon allein aus epidemiologischen Gründen auf das unbedingt Notwendige reduziert werden, halte ich für richtig.
Problematisch wird es jedoch, wenn auch nach mehr als einem Jahr Corona Ausnahmezustand die politischen Entscheidungsgremien auf einen einzigen Ausschuss reduziert sind, den Haupt- und Finanzausschuss, der seit Januar die Funktion des Rates übernommen hat. Jetzt kommen ihm auch noch die Entscheidungsbefugnisse aller Fachausschüsse zu, weil diese wegen der restriktiveren Maßnahmen infolge der gestiegenen Inzidenz als Präsenzveranstaltungen abgesagt wurden.
In allen gecancelten Sitzungen sollten in diesen Tagen unter anderem die Beratungen für den Haushalt 2021 stattfinden. Die Durchführung einer Ausschusssitzung online ist nach der Gemeindeordnung NRW rechtswidrig. Ich halte diesen Zustand für unzumutbar, vor allem, weil nicht klar ist, wie lange dieser Zustand noch anhalten wird. Wenn über ein Jahr Fachausschüsse verzichtbar sind, dann könnten Bürgerinnen und Bürger zu Recht die Frage stellen, ob sie nicht überhaupt überflüssig sind.
Das sind sie nicht. Einem Haupt- und Finanzausschuss fehlt zum einen die Zeit, die Fachthemen anderer Ausschüsse angemessen zu behandeln, und es fehlen die Politiker, die nicht ohne Grund als Mitglieder etwa im Schul-, Kultur- oder Sozialausschuss tiefer in der Materie stecken (sollten).
Beim derzeitigen Zustand beraten die Fraktionen intern und stimmen im Haupt- und Finanzausschuss weitgehend ohne öffentliche Diskussion ab.
Andere Kommunen haben sich entschieden, wenigstens den Austausch von Meinungen der Mitglieder eines Ausschusses aus unterschiedlichen Fraktionen möglich zu machen. Sie treffen sich, organisiert von der Verwaltung, online zu einer Informationsveranstaltung, deren Teilnehmer den Mitgliedern eines Ausschusses entsprechen. Die Informationsveranstaltung wird von dem oder der Vorsitzenden des entsprechenden Ausschusses geleitet. Es werden Tagesordnungspunkte diskutiert, die auch der Ausschuss diskutieren würde und die Fraktionsvertreter äußern nach den Diskussionen ihre Meinung zu Vorschlägen, die in einer wirklichen Ausschusssitzung Antrag oder Beschlussempfehlung heißen würden.
Natürlich wird die Presse zu einer solchen Veranstaltung eingeladen. Fake? Nein, ein Verfahren der Not gehorchend, solange eine Präsenzsitzung nicht möglich ist.
*Jochen Bilstein ist Vorsitzender der SPD-Fraktion im Stadtrat von Wermelskirchen
Beitragsfoto © Victoria Emerson (Pexels)
“Die Durchführung einer Ausschusssitzung online ist nach der Gemeindeordnung NRW rechtswidrig.”
Das habe ich gerade erst gelesen und bin einigermaßen sprachlos, um nicht zu sagen fassungslos.
Man könnte sicherlich darüber nachdenken, ob man solche Info- Veranstaltungen nicht mal ausprobieren sollte, unabhängig von Corona. Dennoch sehe ich jetzt keinen Grund, die Ausschusssitzungen abzusagen, schließlich ist der Ratssaal groß genug. Gestern im HuF hat es doch auch funktioniert.
Na ja, als Politiker hat man ja auch immer ein klein wenig Vorbildfunktion. Und das Gebot “der Stunde” heißt nun mal Kontaktvermeidung. Gerade jetzt, wo nach so viel Hin und Her die Leute (um es mal klar zu sagen) die Schnauze langsam voll haben, ist es doch umso wichtiger diese Vorbildfunktion mit Leben zu füllen.
Und dann findet sich so ein veralteter Unsinn in der GO. Wie will man das den Menschen erklären?
Da kann ich die Kritik von Herrn Bilstein nur zu gut verstehen.
Die Politik geht ja schon mit gutem Beispiel voran. Herr Bilstein hatte ja schon geschrieben, dass der Haupt- und Finanzausschuss für den Rat übernommen hat. Bei einer Ratssitzung treffen sich ca. 60 Leute (Politik und Verwaltung) im großen Ratssaal. Das wird natürlich was eng. Bei den Ausschüssen sitzen aber so in der Regel 20 Leute zusammen. Und da reicht der große Ratssaal dicke aus. Die Tische sind zudem mit Plexiglas- Scheiben ausgestattet und alle tragen eine Maske, die meisten sogar bei den Redebeiträgen. Ich bin ja sehr dafür, dass die Politik mit gutem Beispiel voran geht, aber nur, wenn es auch was bringt. In Abwägung demokratischer Ausschuss gegen ein bisschen Symbolpolitik bin ich für den Ausschuss.
Ich weiß jetzt auch nicht warum ich mir das antue, aber ich habe mal ein wenig in der GO für NRW nachgelesen und mich mit der Begründung gegen die Online- Sitzungen beschäftigt. Demnach hat sich der Gesetzgeber dagegen entschieden, weil der Öffentlichkeitsgrundsatz aus der GO dagegen spricht. Nur bei einer Präsenzsitzung sei der Austausch von Argumenten entsprechend gegeben. – mit eigenen Worten ausgedrückt.
Das könnte ich grundsätzlich nachvollziehen, aber in Zeiten einer Pandemie halte ich ein einfaches Verbot für ziemlich fantasielos.
Wenn ich das richtig gesehen habe, dann ist man im benachbarten Rheinland Pfalz in dieser Angelegenheit schon sehr viel weiter.
Ich vermute, das hat am Ende auch etwas mit WOLLEN und der politischen Ausrichtung der Landesregierung zu tun. Wie gesagt, reine Vermutung 😉