Vor 60 Jahren: Dieter Borsche in Lennep festgenommen

Den Beitrag von Dr. Wilhelm R. Schmidt über ein medienhistorisches Ereignis im Bergischen entnehmen wir mit freundlicher Genehmigung dem Waterbölles, dem kommunalpolitischen Forum für Remscheid:

Vor zehn Jahren kam ein Kamerateam des WDR nach Lennep, um einen kurzen Film zur Erinnerung an den Fernsehkrimi „Das Halstuch“ zu drehen, der vor 60 Jahren in Lennep entstanden ist. Dabei wurden Lenneper Bürger interviewt, die bei den damaligen Dreharbeiten mit dabei waren.

Margot Trooger, Dieter Borsche und Horst Tappert waren die Hauptdarsteller im Fernsehklassiker “Das Halstuch” aus dem Jahre 1961, der in Lennep gedreht wurde

Die ehemalige Kreisstadt Lennep ist – trotz der Sanierungen in den vergangenen 50 Jahren – noch immer schön und wird auch als Rothenburg des Bergischen Landes bezeichnet. Warum sollte man hier also nicht einen Film drehen? Im Juni 1961 rückte der WDR an, und Regisseur Hans Quest kam an verschiedenen Drehorten in Lennep zur Sache. Allerdings war Lennep nicht wegen seiner Schönheit ausgesucht worden, sondern weil Außenaufnahmen in England zu teuer gewesen wären. Deshalb suchte man im Bergischen nach einem passenden Drehort, der kleinstädtisch und beschaulich wirken sollte. Und wurde in Lennep fündig, im Film das kleine Örtchen Littleshore in der Nähe Londons. Die baulichen Schönheiten des alten Lennep waren gar nicht gefragt.

Englisches Ladenschild am Alten Markt; nur das Enblem der Fa. Schürmann (an der Tür hinter dem Pkw) durfte bleiben.

Im Mittelpunkt des Films, der heute als Fernsehklassiker gilt, stand Inspektor Yates (Heinz Drache). Er hatte sich im Film mit einer Reihe von Morden zu befassen, die mit einem Halstuch verübt worden waren. Eine schwierige Aufgabe, aus dem Kreis mehrerer hochgradig Verdächtiger den Mörder herauszufinden und zu überführen. Verfilmt wurde der 1960 von dem englischen Autor Francis Durbridge verfassten Roman Das Halstuch (engl. the scarf). Im Juni 1961 gedreht, wurde der Sechsteiler (jeweils zwischen 35 und 40 Minuten lang) dann im Januar 1962 ausgestrahlt. Die Folgen 1 bis 5 endeten jeweils mit einer spannenden oder überraschenden Szene, einem sog. Cliffhanger, an die sich viele Zuschauer auch heute noch erinnern können. So entdeckt am Ende der ersten Folge ein Musikschüler in seinem Geigenkasten das Halstuch, mit dem das erste Opfer ermordet wurde.

Der Alter Markt in Lennep um 1930

Bei der Ausstrahlung des Films entstand übrigens der heute geläufige Ausdruck „Straßenfeger“ angesichts der wie leer gefegt wirkenden Straßen während der Sendetermine. Theater, Kinos, Volkshochschulen und andere öffentliche Einrichtungen blieben an den sechs Sendeabenden praktisch leer, auch Wahlkampfveranstaltungen der politischen Parteien fanden kein Interesse. Sogar die Nachtschichten in vielen Fabriken mussten ausfallen. Wer damals noch keinen Fernseher hatte, besuchte befreundete Familien oder sah die Filme vorm Fernsehgeschäft, wobei der Ton mit einem Lautsprecher nach außen übertragen wurde. Die bereits mit Fernsehgeräten ausgerüsteten Wirtschaften verzeichneten noch mehr Gäste als bei Fußballspielen. Die durchschnittliche Sehbeteiligung lag bei 89 %, was allerdings mit der nächsten Durbridgereihe Tim Frazer noch überboten wurde.

Interesse und Begeisterung, oder sagen wir einfach Neugier, waren schon bei den Dreharbeiten zu spüren. Hausfrauen ließen die Betten ungemacht, die Ehemänner gingen nicht zur Arbeit, und die Schulkinder hatten frei. So auch ich. Ich war (im Jahr meiner Konfirmation) mit dabei, zumindest an den innerstädtischen Drehorten, am unteren Alten Markt und am Munsterplatz. Die eigentlichen Drehareale umfassten im Grunde jeweils nur wenige Quadratmeter, unmittelbar davor die Kameras und die Beleuchtungstechnik, für die Zuschauer blieb wenig Platz, sie „stapelten“ sich sozusagen auf Kisten und Stühlen am Alten Markt vor dem damaligen Reichshof, dem heutigen spanischen Restaurant, und auf dem damals noch nicht entkernten oberen Munsterplatz, denn dort wurde nicht gedreht. Die von der Wetterauerstraße zum Munsterplatz führenden Gässchen waren mit Zuschauern völlig verstopft. Ich kann mich noch gut an Horst Tappert und Dieter Borsche erinnern, wenn sie in das große Haus Munsterplatz 11 gingen, das man mit geringem Aufwand zu einer englischen Polizeistation umfunktioniert hatte. Immerhin hatte man noch einen englischen Briefkasten aufgestellt. Die Kamera verfolgte mehrfach Autos, die aus Richtung Marktkino auf den Munsterplatz fuhren oder sich von dort wieder entfernten. Der Blick fiel dann wirklich auf Alt-Lennep, die südliche Seite des unteren Munsterplatzes östlich der Steeggasse. Dass man dabei keine Einzelheiten erkannte, war gewollt.

Die für die Lenneper spektakulärste Szene des sechsteiligen Films wurde am Alten Markt realisiert. Im RGA hieß es damals: „Auf dem Alten Markt wurde scharf geschossen.“ In Wirklichkeit war damals gar keinen Schuss zu hören, und für die Schusslöcher im Pkw der Darstellerin hatten vorher die Techniker gesorgt. Als Kamera und Mikrofon einsetzten, war der Schuss laut Regie gerade gefallen und Hauptdarstellerin Margot Trooger stand, von herbei eilenden Passanten umringt, einen Augenblick wie erstarrt, um dann, nur an der Hand geringfügig verletzt (Filmblut), in Ohnmacht zu fallen. Die Szene gestaltete sich allerdings schwieriger als zunächst gedacht, weil mehrere Personen gleichzeitig in Bewegung sein mussten, und so musste Margot Trooger mehrere Male in Ohnmacht fallen, bis die Szene „im Kasten“ war. Auch andere Szenen mussten mehrfach gedreht werden: Mal störten Kinder- oder Zuschauerstimmen, mal läutete die nahe Stadtkirche zur Beerdigung, mal stand im Gesicht einer Darstellerin der Schatten des Mikrofons, das an einer langen Stange befestigt in unmittelbarer Nähe den Sprechton aufnehmen sollte, mal störte ein Flugzeug.

Natürlich mussten die Filmleute in den Filmpausen, in denen die Makeups der Schauspieler „restauriert“ und noch mehr Zigaretten konsumiert wurden als im Film selber (aus heutiger Sicht eine reife Leistung), viele Autogramme geben. Gefordert war hier jedermann, auch wenn es nur die ortsansässigen Zeitungsreporter waren. Wer was war, war kaum zu erkennen, von den Hauptdarstellern mal abgesehen. Im Film zu sehen waren später auch mehrere Lenneper Statisten. Die Aufnahmeleitung äußerte sich später positiv, Lennep sei eine ideale Filmstadt und bauchpinselte damit nicht nur die Mitwirkenden. Der Aufnahmeleiter meinte noch, dies sei sicher nicht das letzte Mal gewesen, dass man in Lennep gedreht habe. Na ja.

Der Lenneper Munsterplatz heute

Anders als am Munsterplatz, wo nur altertümliche Fassaden und ein leicht zu verwandelndes Fachwerkhaus als Kulisse benötigt wurde, richtete sich die Kamera am unteren Alten Markt auch längere Zeit auf die dortigen Geschäfte, die natürlich zu diesem Zweck einer intensiveren Verwandlung bedurften. Über Nacht wurde die Zeitschriftenhandlung Schreiber an der Ecke zur Jägergasse zu einer englischen Buchhandlung, und das benachbarte ehemalige Reisebüro Schneiderhöhn zu einem englischen Modesalon. Links davon erblickt man mehrfach ein Blumengeschäft, was einen damaligen Lenneper nicht verwundern konnte, war doch dort traditionell das Lenneper Blumenhaus von Wüstermann ansässig. Man sieht in mehreren Folgen, wie Autos von der Marktgasse auf die damals auch wirklich so eingezeichneten Parkplätze vor den genannten Geschäften einbiegen. Dabei gerät auch die damalige Filiale der traditionsreichen regionalen Lebensmittelkette Adolph Schürmann in den Blick. Beim genauen Betrachten des Films erkennt man das Firmenzeichen, das aus einer dampfenden Tasse bestand, oval umschlossen von einer Art Ehrenkranz, der u. U. auf das seinerzeit genau fünf Jahre zurückliegende fünfundsiebzigste Firmenjubiläum zurückzuführen war. Das Firmenzeichen erklärt sich aus dem Umstand, dass die Remscheider Firma Adolph Schürmann auch eine bedeutende Kaffeerösterei war. (Man sieht also im Film, dass die bergische Wirtschaft Anfang der 1960-er Jahre auch in Littleshore, England, vertreten war. J ).

Der letzte Teil des Films spielt im Diepomannsbachtal. Vor dem Jagdschlösschen kam Inspektor Heinz Drache mit dem Wagen angebraust und fuhr beim ersten Versuch regiewidrig den Weidezaun an. Die eigentliche Schwierigkeit aber waren die Lichtverhältnissen. Die Beleuchtungsmaschinerie war weit schwergewichtiger als heute. Die voluminösen Großscheinwerfer brauchten auch viel Strom, den spezielle Aggregate lieferten. Als eines davon ausfiel, stellten die Bergischen Licht- und Kraftwerke ein Ersatzaggregat zur Verfügung, das man „gerade da hatte“.

Soweit die Dreharbeiten, aber wer war eigentlich der Mörder? Großer Rätselratel beim Fernsehpublikum. Doch dann, am 15. Januar 1962, zwei Tage vor Ausstrahlung der letzten Halstuch-Folge, veröffentlichte der Berliner Kabarettist Wolfgang Neuss in einer Zeitungsannonce für seinen Kinofilm „Genosse Münchhausen“ den Namen des Halstuchmörders, um auf diese Weise mehr Zuschauer in seinen Kinofilm zu locken. Das löste einen regelrechten Skandal aus. Neuss erhielt Morddrohungen, und die Bild-Zeitung bezeichnete ihn als Vaterlandsverräter. Später gab Neuss an, den Mörder lediglich richtig erraten zu haben.

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