Sabine Leutheusser-Schnarrenberger stellt ersten Antisemitismus­bericht des Landes Nordrhein-Westfalen vor

Düsseldorf | Etwas mehr als ein Jahr im Amt, stellte die Antisemitismusbeauftrage Nordrhein-Westfalens, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, am 14. April 2020 den ersten ihrer jährlichen Antisemitismusberichte des Landes vor. In ihm nimmt sie eine Bestandsaufnahme zu Antisemitismus in NRW vor, geht auf ihr Aufgabengebiet ein, berichtet von ihren Tätigkeiten und formuliert Empfehlungen für die Bekämpfung des Antisemitismus sowie für die Verbesserung der Antisemitismusprävention. Unter dem Titel „Fakten, Projekte, Perspektiven“ geht sie auf 68 Seiten auf den Berichtszeitraum von Januar bis Dezember 2019 ein.

Die Antisemitismusbeauftragte betont in ihrem Bericht mit Nachdruck, dass Antisemitismus als ein grundsätzlich antidemokratisches Phänomen zu verstehen ist, das das Leben und die Lebensperspektiven von Jüdinnen und Juden – auch in NRW – sehr real bedroht. In diesem Sinne, so Frau Leutheusser-Schnarrenberger, heißt „[g]egen Antisemitismus vorzugehen […], für unsere Demokratie und für unsere Grund- rechte einzustehen“ (Antisemitismusbericht NRW 2020: 4).

In ihrer Bestandsaufnahme stellt sie zunächst bereits bekannte Statistiken und Studienergebnisse vor. Dabei zeigt sie auf, dass aktenkundig gewordene antisemitische Straftaten bundesweit zugenommen haben – und dies auch in NRW. Wurden in Deutschland im Jahr 2015 1.366 antisemitische Hassverbrechen registriert, waren es im Jahr 2016 1.468, im Jahr 2017 1.504 und im Jahr 2018 1.799 (vgl. ebd.: 9). In NRW wurden im Jahr 2019 310 antisemitische Straftaten erfasst (vgl. ebd.: 10), wobei im Bund sowie in NRW ein großes Dunkelfeld existiert und sich in den angeführten Zahlen lediglich die strafrechtlich relevanten Vorfälle widerspiegeln. Viele antisemitische Vorfälle sind hierin entsprechend nicht aufgenommen. Wenn – wie im Bericht – Ergebnisse wie die einer Studie der Europäischen Grundrechteagentur aus dem Jahr 2018 reflektiert werden, nach der 29 Prozent der befragten deutschen Jüdinnen und Juden verbale oder physische Gewalt (mit-)erlebt haben (vgl. ebd.: 17), so lassen sich die tatsächlichen Ausmaße der gegenwärtigen Bedrohungssituation von Jüdinnen und Juden erahnen.

Im Bericht skizziert Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, welche Maßnahmen und Projekte der Landesregierung gegen Antisemitismus existieren, wenngleich die Liste in der Summe recht übersichtlich wirkt. Aufgeführt werden hier mitunter deutsch-israelische Austauschprogramme in Kooperation mit Yad Vashem u. a. für Schülerinnen, aber auch Fort- und Weiterbildungen, Delegationsreisen und Studienfahrten, die der Sensibilisierung beispielsweise von Richterinnen und Polizist*innen dienten. Daneben werden Projekte und Institutionen benannt, die im Bereich der Antisemitismusprävention tätig sind und durch das Land gefördert werden. Benannt werden u. a. die Servicestelle für Antidiskriminierung, Beratung bei Rassismus und Antisemitismus (SABRA), verschiedene weitere Servicestellen gegen Diskriminierung sowie das Informations- und Dokumentationszentrum Antirassismusarbeit in Nordrhein-Westfalen (IDA- NRW). Des Weiteren geht Frau Leutheusser- Schnarrenberger auf Einzelprojekte wie zum Beispiel ‚Run in my shoes‘ ein, das sich insbesondere in Essen an Schulen und Jugendeinrichtungen wendet und in den Themenbereichen ‚Antisemitismus und Rassismus‘ sensibilisiert.

Für den Verantwortungsbereich des Ministeriums für Schule und Bildung wird darauf verwiesen, dass Schwerpunkte insbesondere in der Stärkung der Arbeit des schulpsychologischen Dienstes (Schaffung neuer Stellen) und der Beratung von Schulen bei der Prävention und Intervention in Bezug auf Antisemitismus sowie auf konkreten Maßnahmen gegen Antisemitismus lagen. Auch der Entwicklung von pädagogischen Materialien für die Bildungsarbeit sowie der Überprüfung von Schulbüchern kam ein besonderes Gewicht zu.

Im Geschäftsbereich des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft, so Frau Leutheusser-Schnarrenberger, wurden im Themenfeld Antisemitismus Ausstellungen konzipiert und umgesetzt sowie zahlreiche Projekttage durchgeführt und Publikationen gefördert. Hier existieren jedoch noch weitere vom Land unterstütze und für das Themenfeld relevante Maßnahmen, die nicht aufgeführt werden – so beispielsweise die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus.

Die Antisemitismusbeauftragte verweist darauf, dass die Koordinierung der Arbeiten zur Antisemitismusprävention zu ihren Kernaufgaben zählt. Um die Dimensionen von Antisemitismus in Nordrhein-Westfalen in den Blick zu bekommen habe sie 2019 die „Problembeschreibung Antisemitismus in Nordrhein-Westfalen“ in Auftrag gegeben, in deren Rahmen zahlreiche Interviews geführt wurden. Hierbei kooperierte die Staatskanzlei mit der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf, der Kölnischen Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, SABRA und bagrut e. V. Ziel sei es, auf der Basis damit verbundener Erkenntnisse auf die Schaffung einer zentralen, unabhängigen Meldestelle antisemitischer Vorfälle im Jahr 2020 hinzuarbeiten, die den Namen ‚Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus in Nordrhein-Westfalen‘ tragen soll. Diese Stelle soll zu einer besseren Einschätzung des Antisemitismus im Bundesland NRW beitragen und einen Beitrag zur Entwicklung eines bundesweit einheitlichen Meldesystems leisten.

Daneben sollen, so die Antisemitismusbeauftragte in ihren Forderungen und Vorschlägen, präventive Projekte im Themenfeld ‚Antisemitismus‘ gefördert werden, die möglichst viele Menschen in NRW erreichen. Dies setzt sie sich als einen Schwerpunkt des zweiten Jahres ihrer Tätigkeit. Aber auch die Vernetzung regional gegen Antisemitismus agierender Initiativen, Gemeinschaften, Akteur*innen und Organisationen und die Schaffung breiter Bündnisse stellt für sie etwas Zentrales dar.

Schulen und Jugendsozialeinrichtungen empfiehlt sie darüber hinaus, Partnerschaften insbesondere mit Erinnerungsorten und Gedenkstätten (im Bericht begrifflich als „Mahn- und Ge- denkstätten“ benannt) zu suchen. Mit Blick auf Universitäten sowie auf den Bereich ‚Aus- und Fortbildungen‘ fordert sie die Verankerung einer antisemitismuskritischen Pädagogik und die Intensivierung der (Weiter-)Entwicklung attraktiver, lebensweltorientierter und vor allem geeigneter zielgruppenspezifischer pädagogisch-didaktischer Materialien.

Letztlich könne es laut Frau Leutheusser- Schnarrenberger aber nicht bei punktuellen Bemühungen bleiben: „Grundsätzlich ist Antisemitismus nur dann effektiv entgegenzutreten, wenn es einen breiten gesellschaftlichen Konsens gibt, dass wir keinen Platz für die Diskriminierung von Menschen in unserem im Grundgesetz verankerten Wertesystem und in unserer offenen Gesellschaft haben.“ (ebd.: 48)

Dem Bericht beigefügt sind auf den Seiten 53 bis 62 Literatur-Empfehlungen (auch zu Methoden) sowie ‚hilfreiche Links‘, deren Durchsicht jedoch nicht deutlich macht, nach welchen Kriterien ausgewählt wurde. Der Anspruch, umfassend über Publikationen zu bereits entwickelten und zum Teil langjährig erprobten Methoden zu informieren, scheint hier leider nicht das zentralste gewesen zu sein, wenn allein berücksichtigt wird, wie viele nützliche Publikationen in diesem Feld existieren, von denen nur äußerst wenige aufgenommen wurden. (hoe)

Der gesamte erste Antisemitismusbericht steht hier zum Download zur Verfügung.

Die Mitarbeiter der Fachstelle [m2] haben eine Literaturliste zum Thema Antisemitismus, vor allem zu langjährig erprobten und bewährten Methoden einer antisemitismuskritischen Bildungsarbeit erstellt, die online hier zur Verfügung steht. Sie wird in unregelmäßigen Abständen aktualisiert.

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