Vor 80 Jahren: Remscheider auf Gestapo-Liste

Den nachfolgenden Beitrag von Armin Breidenbach  entnehmen wir mit freundlicher Genehmigung dem Waterbölles, dem kommunalpolitischen Forum für Remscheid. 

von Armin Breidenbach

Im Juni 1939, also vor 80 Jahren, wurde von der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) eine als „Geheim!“ eingestufte Übersicht mit dem Titel „Erfassung führender Männer der Systemzeit“ erstellt. Erfasst wurden damals, so Winfried Meyer, „insgesamt 533 Repräsentanten von Politik, Kultur, Wissenschaft und Publizistik der Weimarer Republik wie Siegmund Freund und Albert Einstein, Otto Dix und George Grosz, Bertolt Brecht und Erwin Piscator und natürlich Heinrich, Thomas und Klaus Mann.“ Von diesen 533 Personen befanden sich damals aber bereits mehr als ein Drittel (204) im Ausland, darunter auch 92 Sozialdemokraten und Kommunisten.

Zur Gruppe der gelisteten „Marxisten und Kommunisten“ gehörte – vermutlich als einziger Remscheider – auch der ehemalige Funktionär der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD), Adolf Benscheid. Nach der „Erfassung führender Männer der Systemzeit“ war Benscheid vor 1933 für die KPD Mitglied des Preußischen Landtags und in Remscheid Stadtverordneter und außerdem Redakteur der „Roten Hilfe“. Für die Zeit nach 1933 hieß es darin knapp: „Betätigt sich heute als Heimarbeiter und wohnt in Remscheid.“

Diese spärlichen Angaben zu Benscheid sind jedoch teilweise falsch: So wurde dieser nicht 1898 in Remscheid geboren (wie der Übersicht zu entnehmen ist), sondern bereits 1888. Auch war er nicht „Redakteur der Roten Hilfe“, sondern der Remscheider KPD-Tageszeitung „Bergische Volksstimme“.

Überhaupt scheinen die Kenntnisse der Gestapo über Adolf Benscheid recht gering gewesen zu sein, wie die „Erfassung führender Männer der Systemzeit“ vermuten lässt. Während die Gestapo über etwa 500 Remscheider Bürgerinnen und Bürger Personenakten anlegte, scheint dies bei Benscheid nicht der Fall gewesen zu sein, jedenfalls ist keine Gestapo-Akte über ihn beim Landesarchiv NRW in Duisburg archiviert.

Mittlerweile stehen jedoch noch andere Quellen zur Verfügung, die das Verfolgungsschicksals des Remscheider Kommunisten aufzeigen. Im Historischen Zentrum Remscheid ist beispielsweise eine Wiedergutmachungsakte für Adolf Benscheid archiviert, der zufolge er aus politischen Gründen bereits im November 1933 für etwa eine Woche im Remscheider Polizeigefängnis an der Uhlandstraße in „Schutzhaft“ war. Anschließend war er noch bis zum 20. Dezember 1933 im Polizeigefängnis Wuppertal-Barmen, Bachstraße, in „Schutzhaft“.

Einige Wochen nach dem Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 wurden im gesamten Deutschen Reich Tausende von Männern und Frauen festgenommen, die während der Weimarer Republik als Parlamentarier, Partei- und Gewerkschaftsfunktionäre aktiv waren und von den Nationalsozialisten immer noch als gefährlich betrachtet wurden. Auch Adolf Benscheid gehörte dazu. Wie unter anderem das 2018 wiederaufgetauchte Aufnahmebuch des Polizeigefängnisses Remscheid von 1944/45 belegt, wurde Benscheid am 22. August 1944 festgenommen und zunächst für sieben Tage ins Polizeigefängnis an der Uhlandstraße eingeliefert. Anschließend wurde er von dort in das Polizeigefängnis Wuppertal und später – wahrscheinlich zusammen mit dem ehemaligen, 1899 in Remscheid geborenen Wermelskirchener KPD-Funktionär Ernst Fastenrath – in das KZ Flossenbürg überstellt, wo beide am 6. November 1944 als „reichsdeutsche Schutzhäftlinge“ registriert wurden. Benscheid erhielt die Häftlingsnummer 32441, Fastenrath die Häftlingsnummer 32446.

Alois Staller aus Merten, Kreis Bonn, ebenfalls Häftling im KZ Flossenbürg, gab 1949 folgende eidesstattliche Versicherung ab (Rechtschreibfehler im folgenden Text wurden vom Autor nicht korrigiert!): „[…] Adolf Benscheid […] war in den Jahren 1944 und 1945 mit mir im Konzentrationslager Flossenburg inhaftiert. […] In Folge der ungünstigen Lage des K.L. Flossenburg (im Hochgebirge der bayrischen Oberpfalz nahezu 1500 m über dem Meeresspiegel) bei grimmiger Kälte im Winter 1944/45, schwerster körperlicher Arbeit, vollkommen ungenügender und schlechter Ernährung, menschenunwürdigen, unhygienischen Zuständen, erkrankte Benscheid und lag wochenlang im sogenannten Krankenbau. Eine schwere Ruhr und eingetretene Herzschwäche wurde dort festgestellt. Nach seiner Entlassung aus dem Revier habe ich mich als Kamerad seiner ganz besonders angenommen und dafür Sorge getragen, dass er so weit wie möglich von schwerster Arbeit verschont blieb. Aus diesem Grunde veranlasste ich seine Überführung nach Block IV, woselbst ich als Blockältester war. Hier wurde er die ersten Wochen verborgen, sodass er die Möglichkeit hatte, sich soweit das im KL überhaupt möglich war zu erholen. Benscheid gehörte der im Lager vorhandenen illegalen Gruppe politischer Häftlinge an und fand hierdurch weitere Unterstützung. Diese Gruppe brachte es auch zuwege, dass er später als Vorarbeiter der Verwaltungswerkstättenarbeiter eingesetzt wurde. […] Benscheid wäre ausser jedem Zweifel schon in Flossenburg zu Grunde gegangen, wenn ihm nicht seine Kameradschaftlichkeit und vor allem seine politische Vergangenheit die Hilfe der Kameraden gesichert hätte. […]“

Als Anfang April 1945 die Auflösung des KZ Flossenbürg und seiner Außenlager begann, gehörte auch Adolf Benscheid zu denjenigen, die in Richtung Dachau in Marsch gesetzt wurden. Seiner Wiedergutmachungsakte zufolge war er ab 11. April 1945 im KZ Dachau in „Schutzhaft“. Aus diesem KZ wurde er am 29. April 1945 von amerikanischen Truppen befreit.

Gesundheitlich durch die Haft im KZ schwer geschädigt, kehrte Adolf Benscheid im Sommer 1945 nach Remscheid zurück, wo er zunächst wieder Mitglied der KPD wurde und eine kleine Fabrik eröffnete. Der ehemaliger Remscheider KPD-Reichstagsabgeordnete Otto Weber, im „Dritten Reich“ ebenfalls aus politischen Gründen verfolgt, versicherte 1949 an Eides statt: „Ich sah Benscheid zum ersten Male wieder, als er im Juni 1945 nach der Befreiung durch die Amerikaner zurückkehrte. Zu einem Skelett abgemagert, völlig entkräftet, war er wochenlang nicht im Stande seine Wohnung zu verlassen. Sein Zustand war die Folge übermenschlicher Anstrengungen und monatelangem Hungern.“

Bei der Gemeindewahl in Remscheid vom 13. Oktober 1946 kandidierte Benscheid für die KPD, wurde jedoch nicht gewählt. Später wurde er aus der KPD ausgeschlossen. Adolf Benscheid, der ab 1950 1. Vorsitzender des Bundes der Verfolgten des Naziregimes in Remscheid war, starb dort am 26. Oktober 1961.   

Quellen:
Historisches Zentrum Remscheid: verschiedene Bestände
Meyer, Winfried: Aktion „Gewitter“. Menschenopfer für Macht und Mythos der Gestapo, in: Dachauer Hefte. Studien und Dokumente zur Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager, Jg. 2005, S. 3 – 20
Weber, Hermann und Herbst, Andreas: Deutsche Kommunisten. Biographisches Handbuch 1918 bis 1945, 2. Aufl., Berlin 2008

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