“Stadtgedächtnis stark gefährdet”

Die vom Bürgermeister beantragte und von der CDU im Stadtrat mit der Drohung, daß man andernfalls dem gesamten Haushalt nicht zustimmen werde, abgewiesene Besetzung der Stelle eines Stadtarchivars schlägt nach wie vor hohe Wellen. In einem Leserbrief beschreibt Volker Ernst, Vorsitzender des Bergischen Geschichtsvereins, Abteilung Wermelskirchen, wohltuend sachlich die Bedeutung einer solchen Stelle und eines wohlgeordneten Stadtarchivs:

Stellungnahme des BGV Wermelskirchen zur Diskussion um die Stelle eines Stadtarchivars

Der Bergische Geschichtsverein – Abteilung Wermelskirchen möchte hiermit Stellung zur laufenden Diskussion der einzurichtenden Stelle eines Archivars für das Archiv der Stadt Wermelskirchen beziehen.

Zunächst ist festzuhalten, dass unser Stadtarchiv das „Gedächtnis unserer Stadt“ darstellt. Was bedeutet dies? Im Stadtarchiv werden ungefähr seit dem Jahr 1800 Dokumente, wie zum Beispiel Karten, Fotos, Protokolle und Akten aus allen Bereichen der Stadt aufbewahrt. Mit diesen Dokumenten kann die Stadtgeschichte der vergangenen 220 Jahre anschaulich nachvollzogen werden.

Die Stadtgeschichte kann unter anderem dazu dienen, aus Fehlern der Vergangenheit zu lernen. Paradebeispiel hierfür ist die verkehrstechnische Entwicklung der Stadt. Hier sind die über ein halbes Jahrhundert währende Planung der Umgehungsstraße und der sicherlich auch damit verbundene Niedergang der Bahnverbindung zu nennen, die heute wieder angeregt wird.

Die Nutzung des Stadtarchivs durch Privatpersonen ist augenblicklich nahezu unmöglich, da eine sachkundige Kraft fehlt, die entsprechende Anfragen koordiniert. Damit kann das Archiv seinen Auftrag zum Dienst am Bürger nicht erfüllen.

Dazu kommt die kurzfristige Notwendigkeit eines Stadtarchivars zur Vorbereitung des im Jahre 2023 anstehenden 150. Jubiläums der Verleihung der Stadtrechte. Hierzu ist eine zeitgemäße Aufarbeitung einer Vielzahl von Akten notwendig.

Welche Aufgaben fallen in einem Archiv an? Die Hauptrolle eines Stadtarchivars ist die eines kompetenten Ansprechpartners der Stadtverwaltung und interessierter Bürger und Bürgerinnen in historischen Belangen. Zu seinen Aufgaben zählen jedoch darüber hinaus auch

  • die Sicherstellung einer angemessenen Unterbringung des Archivs, 
  • die fachgerechte Bewahrung vorhandener Unterlagen vor dem drohenden Verfall, 
  • die laufende Eingliederung archivierungswürdiger Dokumente ins Stadtarchiv, 
  • die kompetente Bewertung, welche Dokumente archivierungswürdig sind, 
  • die strukturierte Gliederung des Archivs in Sachgebiete, 
  • die Digitalisierung oft verwendeter Archivalien, 
  • eine zeitgemäße Erfassung der Bestände in einem digitalen Findbuch, um einen leichteren Zugang zu den Unterlagen zu erlauben und 
  • die Organisation einer geordneten Nutzung für Besucher.

Erst mit diesen Aufgaben kann er seine eingangs genannte Hauptrolle ausfüllen. Ein Stadtarchivar fehlt in Wermelskirchen seit Jahrzehnten. Da das Stadtarchiv seit dieser Zeit nur nebenamtlich von Mitarbeitern der Stadt bewirtschaftet wird, können die oben genannten Aufgaben derzeit nur notdürftig ausgeführt werden. Die Mitarbeiter, die nebenher mit dieser Aufgabe betraut sind, haben gar keine Chance, diese umfangreichen Aufgaben auch nur annähernd zu erledigen. 

Der ideelle Wert der im Untergang begriffenen Akten ist unermesslich. Bereits aus heutiger Sicht ist also unser Stadtgedächtnis stark gefährdet. Die bereits jetzt stattfindende tatkräftige ehrenamtliche Unterstützung des BGV Wermelskirchen bei der Bewirtschaftung des Stadtarchivs kann bei weitem nicht ausreichend sein. Die Stadtverwaltung Wermelskirchen sollte unbedingt die Chance ergreifen, dieses Versäumnis schnell zu beheben.

Volker Ernst (Vorsitzender des BGV Wermelskirchen)

Kommentare (4) Schreibe einen Kommentar

    • Richard Kranz
    • 12.04.19, 8:30 Uhr

    Vollkommen d’accord ! Stadtentwicklung geht nur mit dem Wissen aus der Vergangenheit in der Gegenwart für die Zukunft. Wer sich seine Geschichte nicht bewußt macht und die Erinnerung daran pflegt, wird alte Fehler wiederholen. Als nachhaltige Quelle bedarf unser Stadtarchiv besonderer, fachlicher Pflege.

    Es bleibt ein falscher Zungenschlag von Herrn Ernst zu korrigieren : Nicht die StadtVERWALTUNG sollte diese Chance wahrnehmen; die Verwaltung entscheidet nicht ! DIE STADT = WIR ALLE und der von uns allen gewählte RAT trifft eine solche Entscheidung – oder auch nicht …

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    • Michael Dierks
    • 12.04.19, 16:06 Uhr

    Da haben wir einen Bürgermeister, der sich wirklich um die Belange der Stadt kümmert und weniger um die eigene Karriere und das Parteibuch. Diesen Eindruck habe ich zumindest. Wenn kein Geld da ist für einen Archivar, der tatsächlich eine für alle Bürger wichtige Aufgabe übernimmt, sollte man vielleicht woanders Stellen einsparen. Es gibt da sicher Bereiche, die von Ehrenamtlern besser bedient werden als von städtischen Bediensteten mit Parteifesseln. Man muss nur die Augen aufmachen.

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    • EDV-Schrauber
    • 12.04.19, 17:11 Uhr

    Der Wahlkampf hat begonnen. Und wie gewohnt schießen CDU und FDP mit “alternativen Fakten” aus allen Rohren, um sich Gehör zu verschaffen.

    Wir wollen doch hier mal festhalten:

    1. Die Zustimmung des Bürgermeisters zur geforderten Stellenstreichung ist nicht in netter Runde beschlossen worden, sondern war schlicht und einfach Erpressung seitens der CDU, so steht es korrekt im ersten Satz.

    2. Ich kann nicht erkennen, dass Bleek die geforderte Stelle aus Spaß und Dusselei einrichten will. Zusätzlich zu den oben vorgetragenen sachlichen Argumenten von Herrn Ernst erscheint mir die sachliche Forderung des LVR vernünftig und plausibel, jedenfalls wesentlich plausibler als die rein wahlkampftaktisch motivierte Ablehnung des CDU-Vorsitzenden. Ich warte also auf Argumente, Herr Klicki. “Kostet Geld” ist mir zu einfach. Geben Sie doch einfach zu, dass Ihrer CDU das historische Stadtgedächtnis völlig egal ist.

    3. Das die FDP ins gleiche Horn stößt, ist ja nur absehbar. Als erstes möchte ich mich bedanken; mit “moderne Unternehmensstrategien wie digitales Business oder Benchmarking” habe ich meine Bullshit-Bingo-Karte schon reichlich gefüllt.

    4. Im Kontext der in Punkt 1 angesprochenen Situation Bleek jetzt “Betrug” vorzuwerfen ist lachhaft. Ich habe nur aufgrund der vorhergehenden Berichterstattung der lokalen Presse den Eindruck gewonnen, dass Bleek die Archivarstelle für durchaus notwendig hält und auch nicht einfach mal eben so über Bord wirft.

    5. Dass die Mövenpick-Partei sich an den vielen neuen Stellen der Stadt aufhängen würde, ist vor diesem Hintergrund ja schon absehbar. Wohin die “schlanke-Verwaltung-durch-Stellenkürzung”-Masche die Stadt in den Jahren des vorherigen Bürgermeister gebracht hat, hat man ja gesehen. Nur damit das nicht untergeht: Weik war FDP-Mann. Und der hat wahrhaftig genug finanziellen Schaden angerichtet.

    “Vertrauen in Bürgermeister ist weg” lese ich an anderer Stelle. Seitens der Blockadefraktion CDU und FDP lese ich da leider kein einziges sachliches Argument, das wirklich gegen die Einrichtung der Stelle spricht, allenfalls Feilscherei um die Stelle wie auf einem türkischen Basar.

    Na ja, der Wahlkampf hat begonnen.

    Mit freundlichem Gruß
    -EDV-Schrauber-

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    • Walter Schubert
    • 13.04.19, 17:54 Uhr

    Die Meinung vom “EDV-Schrauber” ist doch völlig ok. Ich wüsste aber schon gerne wer sich dahinter verbirgt und vor allem warum? Mit seiner Meinung braucht er sich doch nicht zu verstecken. Wenn es natürlich ein einsamer Rächer aus den Reihen der CDU wäre …

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