Die Löhne sinken, weil viele, zu viele Geflüchtete auf den heimischen Arbeitsmarkt drängen. Diese Behauptung ist immer wieder zu vernehmen. Für den MEDIENDIENST Integration hat Carsten Janke den Ökonomen Herbert Brücker gefragt, was die Forschung zu dieser These sagt. Das Interview veröffentlichen wir mit freundlicher Genehmigung der Redaktion des MEDIENDIENSTES.
MEDIENDIENST: Herr Brücker, stimmt es, dass Flüchtlinge dafür sorgen, dass in Deutschland die Löhne sinken?
Brücker: Nein, so stimmt das nicht. Durch die Flüchtlinge werden die Löhne nicht sinken. Stattdessen werden viele Arbeitnehmer von der Zuwanderung profitieren.
Können Sie das näher erklären?
Häufig wird gesagt, ein größeres Angebot an Arbeitskräften führe zu sinkenden Löhnen und mehr Konkurrenz für deutsche Arbeitskräfte auf dem Arbeitsmarkt. Aber das stimmt aus mehreren Gründen im Moment nicht. Generell gilt: Wenn sich das Arbeitsangebot durch Zuwanderung ausweitet, bedeutet das nicht, dass die Löhne fallen. Denn mehr verfügbare Arbeitskräfte führen dazu, dass mehr investiert wird und die Wirtschaft wachsen kann. Die Kapital- und Gütermärkte passen sich an und das führt zumindest langfristig dazu, dass das Verhältnis von Kapital zu Arbeit und die Faktorpreise, also Löhne und Kapitalrenditen, gesamtwirtschaftlich konstant bleiben.
Der zweite Grund ist, dass Geflüchtete selten mit Deutschen um dieselben Jobs konkurrieren. Salopp gesagt, arbeiten Neuzuwanderer eher im Schnellimbiss an der Ecke als an der Kasse im Supermarkt. Für letzteres braucht man nämlich gute Deutschkenntnisse, so dass dort eher deutsche Geringqualifizierte zum Zug kommen. Weniger salopp ausgedrückt: Der deutsche Arbeitsmarkt ist sehr stark zwischen Deutschen und Migranten segmentiert, so dass beide Gruppen wenig konkurrieren.
Und wie zeigt sich das in der Wirtschaft im Moment?
Im Moment wächst unsere Wirtschaft und kann die neuen Arbeitskräfte gut gebrauchen. Besonders stark wächst die Nachfrage an Arbeitskräften gegenwärtig im unteren Lohnbereich, zum Beispiel in Helferberufen, wo viele Flüchtlinge arbeiten. Viele mittelständische Unternehmen nehmen diese Helfer in Anspruch und können deshalb weiter expandieren. Davon profitieren dann auch deutsche Arbeitnehmer.
Zudem hat der Staat in den letzten Jahren viel Geld für die Unterbringung, Versorgung und Integration von Geflüchteten ausgegeben. Das wirkt kurzfristig wie ein kleines Konjunkturpaket. So sind neue Jobs entstanden, zum Beispiel bei Lehrern und Erziehern oder beim Sicherheitspersonal in Flüchtlingsunterkünften. Auch davon profitiert kurzfristig die Beschäftigung, vor allem von Inländern.
Muss man sich also keine Sorgen machen?
Wenn überhaupt jemand die Konkurrenz von Geflüchteten und sinkende Löhne befürchten müsste, dann sind es ausländische Arbeitnehmer, insbesondere wenn sie auch erst kürzlich zugezogen sind, etwa aus den neuen Mitgliedsstaaten der EU. Aber diese Konkurrenzeffekte dürften, aufgrund der günstigen konjunkturellen Entwicklung, kaum messbar sein.
Das heißt, Flüchtlinge verdrängen keine anderen Geringverdiener?
Viele Flüchtlinge arbeiten zuerst in Zeitarbeitsfirmen oder in der Gastronomie. Das sind Bereiche des Arbeitsmarkts, die seit Jahren besonders stark wachsen. Gerade in expandierenden Dienstleistungssektoren besetzen Flüchtlinge neue Stellen, die dringend gebraucht werden. Und es sind nicht so viele, dass dies zu Verdrängungseffekten bei anderen Arbeitskräftegruppen führen würde. Auch die Beschäftigung von deutschen Arbeitnehmern steigt hier überdurchschnittlich.
Wie viele Geflüchtete sind es, die bisher Arbeit gefunden haben?
Wir haben berechnet, dass inzwischen 28 Prozent der Menschen, die seit 2015 aus den wichtigsten Asyl-Herkunftsländern zu uns gekommen sind, einen Job gefunden haben. Bis Ende des Jahres dürfte es gut jeder Dritte sein. Seit 2015 haben 215.000 Personen eine Beschäftigung gefunden, die aus den wichtigsten Asylherkunftsländern kommen. Im Verhältnis zu den 36 Millionen abhängig Beschäftigten in Deutschland ist das ein gutes halbes Prozent. Das dürfte weder zu sinkenden Löhnen führen noch zu einer spürbar gestiegenen Konkurrenz um Arbeitsplätze.
Prof. Herbert Brücker ist Direktor des Berliner Instituts für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM) an der Humboldt-Universität und Forschungsbereichtsleiter am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg. Seine Forschungsinteressen liegen auf den Gebieten der internationalen Migration sowie der Integration von Migrantinnen und Migranten. (Foto: Murr)
(Beitragsfoto: Arbeiter mit Fluchtgeschichte bei Ford in Köln. Foto: T. Lobenwein)
Also, mit meinen Worten, haben wir hier eine win-win Situation. Beide Seiten, Migranten als auch die deutsche Wirtschaft, haben einen Gewinn. Migranten besetzen vor allem Jobs im Niedriglohnsektor, die sonst eher nicht zu besetzen wären, für die aber Arbeitskräfte gesucht werden.
Viele im “unteren Lohnbereich” Beschäftigte werden die Angst vor Konkurrenz durch Zuwanderung nicht verlieren wenn sie hören, dass bei “im Moment” wachsender Wirtschaft weitere unsichere Zeitarbeitsplätze geschaffen werden. Sie spüren, dass dieses Wachstum auf ihrem Rücken stattfindet, auch ohne Zuwanderung. Der deutsche Arbeitsmarkt ist nämlich nicht nur “sehr stark zwischen Deutschen und Migranten segmentiert.” Eine friedliche Gesellschaft kann es nur geben wenn sichere, unbefristete, sozial abgesicherte und fair bezahlte Arbeitsplätze für ALLE geschaffen werden.