“Auch den Schwachen eine Chance auf Ausbildung geben”

Leserbrief von Karl Behr

Ich bin enttäuscht. Es wird gesagt, dass es in Deutschland zu wenig Fachkräfte und Auszubildende gebe. Die Industrie und die freie Wirtschaft, Handel, Handwerk und Banken sind immer noch auf dem hohen Ross, weil sie sich anmaßen, Lernwillige auszusuchen und lieber einen Ausbildungsplatz ungenutzt zu lassen, als jemanden einzustellen, der kein Abitur vorweist, der Schwierigkeiten in der Sprache (Wort und/oder Schrift) hat oder womöglich noch eine Behinderung aufweist. Diese Menschen haben ein Recht darauf, dass sie eine Ausbildung bekommen, die sie sich wünschen, und die sie mit Sicherheit genauso gut absolvieren wie Nichtbehinderte.

Ich setze mich schon immer für die Schwachen und Benachteiligten ein; ich habe schon mehrmals Absagen erhalten, die nicht mir galten, sondern denen, für die ich mich einsetze. Doch dieses Mal bin ich wirklich enttäuscht. Man macht sich noch nicht einmal mehr die Mühe, eine Absage zu schreiben.

Deutschland muß jetzt langsam aufwachen, damit wir nicht weiter auf andere Kräfte aus dem Ausland angewiesen sein werden. Nichts gegen ausländische Fachkräfte, sie sind gut, sie arbeiten günstig, wir brauchen sie. Aber darum geht es jetzt nicht.

In der Pflege, egal ob in Krankenhäusern oder in der Altenpflege, fehlen die meisten Mitarbeiter, nicht nur, weil sie nicht ausgebildet werden, sondern auch, weil ihre Bezahlung schlecht ist. In diesen Berufen, verglichen mit anderen, wo nicht oder nur selten am Wochenende gearbeitet werden muss in der Ausbildung, sind die Belastungen sehr hoch. Es sind auch die normalen Berufsfelder – die Kaufleute und die Gastronomie, Werkstätten oder andere Handwerksbetriebe – vom Fachkräftemangel betroffen.

Dem kann entgegengewirkt werden, in dem auch die weniger Guten die Chance auf eine Qualifikation bekommen. Mit etwas mehr Geduld, mit etwas mehr Mut kann es klappen, ausbildungswilligen Menschen einen Beruf zu ermöglichen, den sie sich wünschen und den sie nicht zugeteilt bekommen. Wir können es schaffen, wir brauchen keine neuen Gesetze, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken.

Deswegen mein Aufruf an Handel, Handwerk und Industrie: die Personalbeauftragten sollten von ihren modernen Normen Abstand nehmen und wieder zu Vertrauen und dem ersten persönlichen Eindruck zurückkehren. Denn meist sind Bauchgefühle beständiger als eine Bestätigung durch Normen und Vorgaben und am Ende ein Gewinn. Für beide Seiten: den Ausbildungsbetrieb und Auszubildenden.

Karl Behr

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