Von Sven Schlickowey*
Den nachfolgenden Beitrag von Sven Schlickowey entnehmen wir mit freundlicher Genehmigung der Redaktion dem Bergischen Boten, dem Print- und Online-Magazin für alles Bergische:
Der Bierkonsum in Deutschland sinkt. Dafür steigt die Zahl der Brauereien. Abseits der großen Konzerne blühen kleine Betriebe mit regionalen Spezialitäten und einer bis dahin ungekannten Vielfalt an Sorten auf. Eine Reise in die neue Bier-Welt in Rhein- und Oberberg:
Wer die schöne, neue Bierwelt verstehen möchte, kann durchs Industriegebiet in Wermelskirchen fahren. Unweit der Obi-Zentrale liegt da an der Albert-Einstein-Straße ein riesiger Getränkemarkt. Kaum zu übersehen, auch dank der auffälligen Neonreklame, 67 Stunden pro Woche geöffnet und eine gigantische Auswahl. Nur ein paar Meter weiter, nachdem man in eine Sackgasse abgebogen ist und sich anschließend eine enge Einfahrt hinuntergetraut hat, findet man auf einem Hinterhof den Werksverkauf von Dellmann´s. Der hat nur zweimal im Monat für je vier Stunden geöffnet. Im Angebot sind gerade mal drei Biersorten, manchmal auch nur zwei. Und die Flasche Bier ist hier nicht unter zwei Euro zu bekommen.Trotzdem – oder gerade deswegen – ist die kleine Wermelskirchener Brauerei ein großer Erfolg. Ende 2016 begannen Simon Felbick und Stephan Singer mit Unterstützung von Freunden damit, eigene Biere zu brauen. Für die Vermarktung nutzen sie seither den Spitznamen der Wermelskirchener: Dellmann, eine Bezeichnung, die auf den ehemaligen Wermelskichener Pastor Gustav Dellmann zurückgeht.
Und das kommt an: Seit dem Start lieben die Wermelskirchener ihr Bier. „Um die Nachfrage zu befriedigen, bräuchten wir eigentlich ein viel größeres Sudwerk“, sagt Simon Felbick. Gerade zu besonderen Anlässen laufe es richtig gut. Ein paar hundert Liter gingen bei der letzten Kirmes durch den Bierwagen des Katt-Bistros. Und beim ersten Wermelskirchener Food Truck Event im November war das eigens für diesen Anlass gebraute Bier schon am Samstag vergriffen. „Da haben wir dann für den Sonntag noch schnell alle anderen Sorten zusammengekratzt, die wir noch auf Lager hatten.“
Foto: Simon Felbick und Stephan Singer brauen in Wermelskirchen in einem kleinen 150-Liter-Sudwerk. Highlight in der warmen Jahreszeit ist das Sommerbier „Sonensching“, das seinen fruchtigen Geschmack Koriandersamen zu verdanken hat.
Knapp 100 Liter Bier trinkt jeder Deutsche pro Jahr im Schnitt, Tendenz: fallend. Während die großen Bierkonzerne Marktanteile verlieren, steigt der Absatz regionaler Biere. „Es gibt vermutlich kein anderes Lebensmittel, das so sehr für Regionalität steht wie das Bier”, sagt Christina Rothe, Leiterin Kommunikation bei der Erzquell Brauerei. Über Jahrzehnte war die Brauerei in Wiehl-Bielstein die einzige in Rhein- und Oberberg. In den letzten Jahren sind ein gutes halbes Dutzend hinzugekommen. Dellmann´s in Wermelskirchen, das Gummersbacher Brauhaus, die Wasserfuhr-Brüder mit ihrem Schnaff in Hückeswagen und 2T in Lindlar zum Beispiel.
Eine Entwicklung, über die man sich in Bielstein mehr freut als dass man die neue Konkurrenz fürchtet. „Wir möchten, dass die Menschen sich wieder mehr mit ihrem Bier und dessen Herkunft beschäftigen”, sagt Tina Haas, Juniorchefin der Erzquell Brauerei. Deswegen spiele der Begriff Heimat im Marketing der Brauerei in den vergangenen Jahren auch eine zentrale Rolle.
Im Vergleich zu Dellmann´s, Schnaff und Co, die mit Sudwerken von nur wenigen hundert Litern arbeiten, ist die Erzquell Brauerei mit 300 Hektoliter Ausstoß je Brauvorgang natürlich relativ groß. Neben den Konzernen, die inzwischen auch den deutschen Markt beherrschen, fallen die Wiehler hingegen kaum auf. Mehr als 115.000 Mitarbeiter hat Weltmarktführer AB-InBev, zu dem unter anderem die Marken Beck’s, Hasseröder, Franziskaner und Löwenbräu gehören, zum Beispiel weltweit. Die Erzquell Brauerei hat etwa 65.
„Wir brauen hier in der Region für die Region”, sagt Tina Haas. „Und wir sind ja auch eine Familie, die schon immer hier lebt.” Die 34-Jährige ist die fünfte Generation im Unternehmen, aufgewachsen ist sie im Haus direkt nebenan. Ihr Ur-Ur-Großvater Ernst Kind gründete im Jahr 1900 die Brauerei. Dieser Tradition fühlt man sich verpflichtet, Veränderungen geht man vorsichtig an. Auch und vor allem beim Geschäftsgebiet. „Unser Kunde ist vor allem der Oberberger”, sagt Haas.„Wir sind Teil dieser Region”, sagt Christina Rothe. Für die aktuelle Plakatkampagne hat man daher auch keine professionellen Models gebucht, stattdessen stand der Chor Spatzollinaris aus Lindlar-Frielingsdorf vor der Kamera. Und wer beim Kronkorkengewinnspiel von Zunft Kölsch eine Kiste Bier gewinnt, kann sich die direkt in Bielstein an der Brauerei abholen. „Das machen wir bewusst so”, sagt Rothe. „Wir brauchen den direkten Kontakt zu unseren Kunden.”
Foto: Tina Haas (li.) ist die fünfte Generation im Familienunternehmen. Zusammen mit Marketingexpertin Christina Rothe (re.) kümmert sie sich auch um den direkten Kontakt zu den Kunden. Und neue Sorten.
Auch bei 2T in Lindlar spielt man gerne mit der Herkunft des Bieres und seiner Nähe zu den Konsumenten. Seit einem guten Jahr stellt Braumeister Dave Neuhäuser, der sein Handwerk übrigens einst in Bielstein gelernt hat, auf dem ehemaligen Werksgelände eines Verpackungsmittelherstellers Lindlarer Bier her. Bisher gibt es das vor allem in der Gastronomie der Umgebung. Seit kurzem wird es aber auch für zuhause in Flaschen abgefüllt.
Neben drei Standartsorten, die dauerhaft im Programm sind, will Neuhäuser in Zukunft verstärkt Spezialbiere wie ein Indian Pale Ale und vor allem Biere passend zur Jahreszeit brauen. Im Mai gab es einen Bock, im Sommer könnte das ein Pale Ale werden, später vielleicht ein Oktoberfest-Bier. Und rund um diesen Bier-Kalender strickt Marketing-Fachmann Stefan Bosbach dann jeweils ein Event in den Braustuben des 2T-Geländes. So wird Bier zum Erlebnis.
Für Braumeister Neuhäuser ist der Erfolg kleiner, regionaler Brauereien nur logisch: „Das ist wie bei anderen Lebensmitteln”, sagt er. „Wenn Menschen darauf achten, dass ihr Fleisch von glücklichen Tieren aus der Umgebung stammt, ist doch klar, dass sie sich bei ihrem Bier ähnliche Gedanken machen.” Dass die Industrie seit Jahren eine Art Einheitsgeschmack, vor allem beim Pils, anstrebt, dürfte diesen Effekt noch verstärken. Denn offensichtlich mögen viele Bier-Trinker doch lieber die bunte Vielfalt.
Ein Umstand, den auch die Erzquell Brauerei längst erkannt hat. Nach Jahrzehnten mit nur drei Biersorten ist die Zahl der angebotenen Marken in den letzten 17 Jahren auf 14 angewachsen. Und weitere sind in Planung. Dabei erweisen sich vor allem die Sorten unter dem Label Bergische Braukunst als besonderer Erfolg. Das Bergische Landbier zum Beispiel trägt seine Heimat nicht nur im Namen, sondern steht auch in seiner ganzen Aufmachung für traditionelle Braukunst abseits des Mainstreams.
Denn das steckt ja eigentlich hinter dem in diesem Zusammenhang oft zitierten Begriff Craft Beer, zu deutsch: handgemachtes Bier. „Für mich bedeutet das, alte handwerkliche Techniken und fast in Vergessenheit geratene Hopfenarten wieder zu entdecken”, sagt Dave Neuhäuser. Und damit zu zeigen, wie vielfältig und vor allem spannend Bier schmecken kann. „Damit erreichen wir vermutlich nicht jeden”, sagt Stefan Bosbach. „Aber wer auf der Suche nach etwas Neuem oder Besonderem ist, ist bei uns sicherlich richtig.”
Eine Erfahrung, die man auch in Wermelskirchen schon gemacht hat: Im „normalen” Kneipenbetrieb habe das Dellmann´s kaum eine Chance, sagt Stephan Singer. Schon wegen des Preises. Aber als Begleiter zu einem guten Essen sehr wohl. „So ein Bier trinkt man zu besonderen Anlässen.” Neben Geschmack und Qualität spiele dabei auch das Image eine Rolle: „Viele wollen ein Bier, das es nicht überall gibt. Andere wollen ein besonders frisches. Aber alle wollen wissen, wo es herkommt und wer es gebraut hat.” Und dafür fährt man eben auch schon mal am Getränkemarkt vorbei und stattdessen lieber durch eine enge Einfahrt auf einen Hinterhof in einem Wermelskirchener Industriegebiet. Zweimal pro Monat.
Foto: Braumeister Dave Neuhäuser (unten) hat drei Sorten, darunter ein herrlich nach Bananen duftendes Weizen und ein kräftiges Kellerbier, ständig im Angebot. Hinzu kommen Spezial- und jahreszeitliche Biere. Zu denen sind Events in der Braustube (links) geplant. Die ist so eingerichtet wie die ganze Brauerei ist: Traditionell aber trotzdem modern.
- Sven Schlickowey ist der leitende Redakteur beim Bergischen Boten. Geboren in Wipperfürth und aufgewachsen in Hückeswagen absolvierte er seine Ausbildung beim Remscheider General-Anzeiger, der Westdeutschen Zeitung, der dpa und beim WDR. Sven Schlickowey ist verheiratet und lebt mit Frau und zwei Kindern in Hückeswagen, er ist Fan des VfL Gummersbach, mag gutes Essen, schräge Bücher (z.B. Christopher Moore, Jim Knipfel) und natürlich alles, was mit Star Wars zu tun hat.