Rio Reiser – zwischen den Welten

Haus Eifgen, Samstag, 25. Mai.

Rudi Rhode: Schauspiel, Gesang, Akkordeon Michael Gustorff: Bass, Drumming, Loops

MDx Der Schauspieler und Sänger Rudi Rhode schlüpft in Rios Rolle und zeigt ihn in der theatermusikalischen Biografie als ruhelosen Visionär einer libertären Gesellschaft und immer auf der verzweifelten Suche nach Liebe. Auf dieser fiktiven Wanderschaft durch sein Leben begegnet Rio den unterschiedlichsten Weggefährten, Freunden und Widersachern – alle verkörpert durch den Schauspieler Rhode. Und so ist „Zwischen den Welten“ eine unterhaltsame und zugleich informative Biografie des wohl bedeutendsten deutschsprachigen Song-writers Rio Reiser – und außerdem die einzige Tournee-Theater-Produktion über Rio in Deutschland. Gezeichnet wird Rios Zerrissenheit zwischen Kunst und Kommerz, Poesie und Politik – und wie sehr er aus dieser Wanderung zwischen den Welten die kreative Energie für seine wunderschönen Songs gezogen hat.

Obwohl der Samstag von der Kulturinitiative Wermelskirchen e.V. für Vermietungen zur Finanzierung der Hauskosten reserviert ist: heute waren wir froh, dass niemand seinen runden Geburtstag, Hochzeit, Firmenjubiläum oder eine sonstige Party bei uns feierte, sonst hätten wir dieses Juwel einer theater-musikalischen Biografie über den Politmusiker Rio Reiser nicht erlebt. Wie ca. 100 Zuschauer, die nicht gekommen waren, weil sie vielleicht mit ‚Rio Reiser‘ nichts anfangen können, unter Deutschrock Udo Lindenberg, die Toten Hosen, BAP, Marius MW, Herbert Grönemeyer oder seit neuestem Tim Bendzko & Co verstehen oder noch im Pfingsturlaub waren.

Aber sehr viel wahrscheinlicher ist, dass wir als Veranstalter die Dimension dieses Programms nicht erahnt und  in der vorbereitenden öffentlichen Kommunikation unterschlagen haben. Nein, das war kein Abend mit Rio Reiser Cover, mit Ballermann Hits wie „König von Deutschland“ oder „Junimond“, diesen Hit, den die wenigsten mit Ralph Möbius, wie Rio Reiser richtig hieß, in Verbindung brachten.

Es war auch keine effektheischende Darstellung der 68er Politszene mit bis zu 60 Hausbesetzungen pro Jahr durch die „Scherben“, keine bloße unterhaltende biografische Aufzählung der Lebensstationen eines großen

Rudi Rhode und Michael Gustorff: Pocketband

Poeten und Musikers, mit Musik untermalt, keine Erzählung, kein Schauspiel, kein Konzert. Nein. Er war da. Rio Reiser. Und die etwa 25 Zuschauer erlebten den Umbruch der 68er, die Vereinnahmung der Ideale durch das Kapital, die Unkenntlichmachung der Poesie durch Umwandlung in Radiohits und in dem allen eine Konstante: „Ich habe immer genau das gemacht, was ich wollte!“

Diese Konstante wurde getragen, geführt, betont, gebremst, aufgebaut und gezogen vom immer präsenten Bass des internationalen Jazzpreisträgers, ehemaligem Mitglied der Rias Big Band Berlin und zuletzt des ‚Trio Nuevo‘ Violinisten Michael Gustorff, und auf dieser Konstante manifestierte sich das Leben und Werk Rio Reisers in Rudi Rhode, dem Macher der ‚Pocket Band‘.

Der Plattenboss

Der Kommunikationstrainer, Sozialwissenschaftler und ehemalige Schauspieler  stand barfuß, in lässiger Haltung hemdsärmelig auf der kleinen Bühne des ‚Haus Eifgen‘, die für dieses Format wie gemacht war. Nach einem 3-stufigen Wissenstest, bei dem das Publikum erst bei der Information versagte, dass die vorgezeigte Beileidsbekundung zum Tod von Rio Reiser am 20.8.1996 tatsächlich vom Verfassungsschutz stammte, bereitete der studierte Musiker das Publikum mit dem sehr intensiven Titel „Für Immer und Dich“ auf den langen Weg durch die gesellschaftlichen Entwicklungen bis in die aktuelle Zeit vor. Dabei fehlte sogar der Hinweis auf hiesige Hausbesetzungen in den 70ern und die Rettung alter Fabriken vor dem Abriss nicht.

Musik ist eine Waffe! Das Konzept: Revolution mit musikalischen Mitteln. ‚Ton, Steine, Scherben‘ – eine Band, die keine Band war, sondern eine Vereinigung von wechselnden Musikern, die sich für Hausbesetzungs Aktionen buchen ließen.

Der Klassenfeind

Der weiße Barhocker wurde im Laufe des Abends zum Gefängnis des Angeklagten Rio Reiser, der mit vermeintlicher Mainstream Musik in den Augen einer ideologisch verblendeten kommunistischen Kaste zum Klassenfeind wurde und zum Verräter der Revolution, verwandelte sich in einen sinnbildlichen ‚öffentlichen Grill‘, nachdem eine Tournee die ‚Scherben‘ trotz ausverkaufter Hallen mit 300.000 DM Schulden zurück ließ. „Das war der Manager!“ Rudi Rhode schlüpfte in beide Rollen und enttäuschte das lynchbereite Publikum mit dem überzeugenden Auftritt des Managers, der nur Rios Anweisungen befolgt und die Konzertkarten für max. 7 DM verkauft hatte (auf ihn folgte dann die heutige Grünen Politikerin Claudio Roth – die den Musikrevoluzzern einen würdigen Abschied ermöglichte).

Der König von Deutschland

Das Zusammenspiel der beiden ausgebildeten Musiker überzeugte und fesselte die Zuschauer. Ein Besucher wollte nur kurz etwas abholen. Fasziniert von dem authentischen Rollenspiel, den vielen bisher unbekannten Informationen über diesen über große Strecken verkannten Katalysator der soziokulturellen Entwicklung unserer Gesellschaft, blieb er bis zum Ende der Veranstaltung.

Der durch die beiden ausgebildeten Musiker gekonnt hergestellten Verbindung aus Theater, Musik, Inszenierung und politischer Aufklärung konnte sich niemand im Publikum entziehen. Der Wuppertaler Kommunikations-profi Rudi Rhode fesselte die Zuschauer mit wechselnden Rollen, in denen Ignoranz und Verblendung des kommerziellen Musikbetriebes immer wieder an dem standhaft zu seinen Überzeugungen stehenden Protagonisten abprallten. Als König ausstaffiert, mit Brokatumhang und Krone, stellte der ausgebildete Pantomime Rudi Rhode den einstigen TSS-Song „König von Deutschland“ als Marionette des „Systems“ dar – als Gipfel der Perfidität verwurstet im “Ich bin doch nicht blöd” – Jingle des Media-Markts.  Intensive Gespräch über das Erlebte ließen die Gäste noch lange nach der Veranstaltung den Frühsommerabend auf der Terrasse und dem Vorplatz des ‘Haus Eifgen’ genießen.

Wir sind auf jeden Fall entschlossen: Diese Veranstaltung wird wiederholt. Wer bis dahin nicht warten kann, sollte sich die Termine der Theatertournee merken.

http://basta-theater.de/tour/

Nächster Termin:  Freitag, 1. Juni, Basta Theater Wuppertal

Rudi Rhode 
geboren      1957, Studium der Musik: Saxofon, Klavier, Gesang
Musikprojekte: Saxofonist bei Laif: Jazzquintett
Akkordeonist und Saxofonist bei Basta Band: Politische Lieder / CD – Einspielung „Geiler wär´s schon“
Schauspiel: Schauspieler beim Basta-Theater: 1500 Auftritte in 9 Ländern; Teilnahme an den Theaterfestivals in Villach und Wien ( Österreich ), Bilbao ( Spanien ), Medellin und Manizales ( Kolumbien ); Goethe Institut: Auftritte in Dänemark
Solostücke: Don Quixote; Grenzfall; Ansichten eines Clowns
Buchautor:
Wortlos sprechen: Die Körpersprache des Deckelns und Buckelns; Zürich 2004
Angriff ist die schlechteste Verteidigung: Konstruktive Konfliktbewältigung; Paderborn 2003
Wenn Nervensägen an unseren Nerven sägen; München 2006

Weitere Info: www.rudirhode.de

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Michael Gustorff

geboren 1958, Studium der Musik: klassische Violine in Duisburg, Jazzvioline in Amsterdam und Arnheim
Musikprojekte: Tourneen, Radio- und Fernsehauftritte mit verschiedenen Bands und als Solist in ganz Europa, Canada und Indien, Gastsolist bei verschieden Big Bands (Rias Big Band Berlin, Millenium Jazz Orchstra,NL…..)
Dozent/Mental Trainer: Musikhochschule Köln, ArtEZ Conservatorium Arnhem
Weitere Info: www.gustorff.com

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Rio Reiser: http://www.rioreiser.de/

Rio Reiser (* 9. Januar 1950 als Ralph Christian Möbius in Berlin; † 20. August 1996 in Fresenhagen, Nordfriesland) war ein deutscher Sänger, Musiker, Komponist, Liedtexter und Schauspieler.

Reiser war von 1970 bis 1985 Sänger und Haupttexter der Band Ton Steine Scherben. Nach der Auflösung der Band setzte er seine musikalische Karriere als Solokünstler fort. Zu seinen bekanntesten Liedern gehören Macht kaputt, was euch kaputt macht, Keine Macht für Niemand und die Hausbesetzer-Hymne Rauch-Haus-Song mit Ton Steine Scherben sowie König von Deutschland und Junimond aus seiner Solozeit.

1977 bekam Rio Reiser für seine erste Filmrolle in dem Film Johnny West den Bundesfilmpreis in Gold. Ursprünglich war Herbert Grönemeyer für die Rolle vorgesehen; aufgrund befürchteter amouröser Verwicklungen Grönemeyers mit der Hauptdarstellerin, der Freundin des Regisseurs, wurde die Rolle mit Rio Reiser besetzt.

 

 

 

 

Kommentar (1) Schreibe einen Kommentar

  1. Was für ein geiler Artikel, ach was: Artikel. Was für eine zärtliche Liebeserklärung, versetzt mit kluger Analyse, fein formuliert. Selbst die Kritik am ausgebliebenen Zuschauerstrom verwandelt sich in Motivation, bei der nächsten Gelegenheit das Angebot der Kulturinitiative im Haus Eifgen wahrzunehmen.

    Danke, Michael Dierks

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