Kristina Hofmann hat gestern im ZDF die Einigung von CDU und SPD beim Thema „Familiennachzug“ kommentiert:
Einigung beim Thema Familiennachzug, das klingt erfreulich. Seit Wochen ging es um fast nichts anderes. Erledigt? Im Gegenteil, die Probleme fangen erst an. Geregelt ist – nichts.
So wird es nun kommen: Der Familiennachzug für Bürgerkriegsflüchtlinge bleibt ausgesetzt, wie in den vergangenen beiden Jahren auch schon. Bürgerkriegsflüchtlinge dürfen ihre minderjährigen Kinder und Ehepartner nachholen, maximal 1.000 im Monat. Neu im Vergleich zum Sondierungspapier der potenziellen Großen Koalition ist: Der 1001. könnte versuchen, über eine Härtefallregel aus humanitären Gründen doch noch die Familienzusammenführung zu erreichen. Am Donnerstag schon wollen Union und SPD diese Regelung im Bundestag gemeinsam verabschieden.
Die SPD jubelt: Familiennachzug ist wieder möglich, und die Härtefallregel kommt noch dazu, wie es Parteichef Martin Schulz seinen Parteimitgliedern versprochen hatte. Ein voller Verhandlungserfolg also. Die Union jubelt auch: Nicht mehr als 1.000 Menschen pro Monat, diese Grenze bleibt. Die Härtefallregel wird nicht so sehr ins Gewicht fallen, im vorigen Jahr waren es rund 100 Visa, die so vergeben wurden. Voller Verhandlungserfolg also auch hier. Pure Semantik von beiden Seiten, denn diese Einigung regelt nichts.
Wenn schon nicht auf Ehrenamtliche, dann auf Juristen
Beide Seiten hätten noch nicht einmal nur auf die Ehrenamtlichen der Kirchen, auf die Vertreter von Diakonie, Caritas, Pro Asyl und UNHCR hören müssen. Sie alle kennen die großen Schwierigkeiten, wenn sich jemand aus Sorge um seine Familie eben nicht mit voller Kraft und Mut in das neue Leben stürzen kann. Über die große Verzweiflung, den Kontakt zu den Angehörigen ins Kriegsgebiet zu halten. Man kann diese ganze Erfahrung als Gefühlsduselei abtun, als Gutmenschentum, was angesichts der Fülle der Ehrenamtlichen, die sich seit 2015 um das kümmern, was die Verwaltung nicht hinbekommt, allerdings eine Unverschämtheit ist. Im Übrigen werden diese Bürgerkriegsflüchtlinge mit und ohne Familie nicht plötzlich verschwinden. Ob sie nun gut oder schlecht integriert sind, sie bleiben vorerst – und die Gesellschaft muss alle Folgen tragen.
Statt auf diese Erfahrungen hätten Union und SPD aber auf die der Juristen hören können. Drei haben am Montag im Hauptausschuss des Bundestages vor den Abgeordneten ihre Expertise abgegeben. Alle haben gesagt: Rechtlich ist diese Regelung – Aussetzung plus Härtefall – völlig in Ordnung. Es gibt keinen völkerrechtlichen Rechtsanspruch auf Familiennachzug. Wenn man allerdings den Härtefall nicht weiter definiert, so wie jetzt geschehen, sei völlig klar, was passiert: Die Anträge auf Visa bei den Botschaften werden sich stapeln. Der 1001. Bürgerkriegsflüchtling und folgende werden klagen, um jeden Hauch einer Chance zu nutzen. Schon jetzt sind gut 260.000 Asylrechtsverfahren an den Gerichten anhängig. Es werden viele weitere Klagen hinzukommen, die Verfahren werden Jahre dauern, die Gerichte weiter überlastet. Und es sind die Richter, die entscheiden müssen, was ist ein Härtefall, was ist eine humanitäre Notlage – und was eben nicht.
Härtefall muss man definieren
Das alles wäre zu vermeiden gewesen, wenn die Parteien den Härtefall genauer definiert hätten. Dass zum Beispiel nur derjenige seine Familie nachholen darf, der finanziell unabhängig ist. Oder nur derjenige, der eine Arbeit und eine ausreichend große Wohnung nachweisen kann. Es geht auch um Familien wie diese: Vater und Tochter aus Syrien fliehen nach Deutschland, Mutter und zwei kleine Söhne bleiben im Flüchtlingslager in Jordanien zurück. Damit sie nicht auf ein Boot steigen müssen. Dann wird der Familiennachzug ausgesetzt. Mittlerweile ist der Vater todkrank. Ob er noch die Kraft zum Klagen hat und das Urteil erlebt, weiß er nicht. Die Tochter aber ist mittlerweile volljährig, sie kann ihre Brüder und ihre Mutter nun gar nicht mehr nachholen, denn für sie gilt der Familiennachzug nicht.
Ist das ein humanitärer Ausnahmefall – oder nur ein bedauerlicher Einzelfall? Die Aufnahmebereitschaft der deutschen Gesellschaft ist am Ende, schon jetzt fehlen Wohnung, Kita- und Schulplätze, halten einige dem entgegen. Tja, stimmt, aber es ist Aufgabe der Politik, sich genau darum zu kümmern und nicht die Geflüchteten dafür büßen zu lassen. Denn worüber reden wir: Die einen sprechen von 60.000 Kindern und Ehepartnern, die kommen würden, die anderen von 180.000. Vermutlich liegt die Wahrheit in der Mitte: also 120.000 vielleicht. Niemand hat die genauen Zahlen, auch das Bundesinnenministerium nicht. Und diese 120.000 Menschen soll das reichste Land Europas nicht integrieren können? Verteilt auf 16 Bundesländer, gestaffelter Zuzug über Visa und über Monate? Ernsthaft?
Symbolpolitik, die tödlich ist
Nein, um diese Menschen geht es weder Union noch SPD. Für sie muss man offenbar kein Rückgrat zeigen. Oder sich differenziertere Lösungen einfallen lassen, wie zum Beispiel die Angehörigen der Bürgerkriegsflüchtlinge, die jetzt schon im Land sind, nachholen, aber für künftige restriktivere Bedingungen einführen. Nein, es geht um das Symbol, dass die Flüchtlingspolitik jetzt mit harter Hand geführt wird. Es geht um das Symbol, dass diese Große Koalition sich einigen kann.
Die Angst vor der AfD hat ein Ausmaß angenommen, das jedes C für christlich und jedes S für sozial im Parteiname übersteigt. Die Angst vor der AfD ist tödlich.
Interessant. Ich glaube, wir sind uns einig, daß eine Härtefallregelung her muss, die eindeutig definiert ist. Nehmen wir doch mal den heutigen Leitartikel der ‘Welt’ als Diskussionsbasis. Also:
1. Die Regelung gilt dem Schutz von Frauen und Kindern
2. Sie gilt, wenn ein unbeschränktes Aufenthaltsrecht besteht
3. Nachzugsberechtigt sind Ehefrau und Kinder, nicht sonstige Familienangehörige
4. Die Ehefrau muss älter als 18 sein und die Ehe vor der Flucht registriert worden sein
5. Polygamie ist ein Ausschlussgrund
6. Eine Familienzusammenführung findet nicht statt, wenn sich Frauen und Kinder in einem sicheren Land befinden
7. Eine Familienzusammenführung findet nicht statt, wenn der in Deutschland lebende Partner nicht über eine eigene Wohnung verfügt und Sozialhilfe bezieht