Am Vorabend des gestrigen SPD-Parteitages hat die Wermelskirchener SPD-Vorsitzende, Petra Weber, ihre Überlegungen zur unmittelbaren Zukunft der SPD formuliert. Ein Debattenbeitrag, der auch nach der knappen Entscheidung des Parteitages von Bedeutung ist:
Von Petra Weber
Ich habe viele Artikel gelesen in den letzten Tagen. Viele Posts von Genossinnen und Genossen in den Sozialen Netzwerken und seitenlange Kommentare dazu. Ich war auf der Diskussionsveranstaltung des Kreisverbandes der SPD Rhein-Berg. Ich habe viele gute Argumente gehört – von beiden Seiten. Die Diskussionen waren hitzig, aber nicht polemisch. Keine und keiner macht es sich leicht. Sogar den Ärger über gezielte Provokationen seitens der CSU schlucken die meisten runter. Ärger bringt ja nix.
Aber auch, wenn Ärger nix bringt, gibt es ein paar Sachen, die mich besonders ärgern. Ich ärgere mich maßlos darüber, dass alle bisher an den Regierungsbildungsversuchen Beteiligten sich bewegt haben – unsere Partei sogar Bewegungen um 180 Grad und wieder zurückgemacht hat, so dass sie jetzt einem Meer kurz vor der Sturmflut gleicht.
Nur eine Beteiligte ist keinen Millimeter von ihrer Position abgerückt. Frau Merkel hat von Anfang an gesagt und bleibt dabei: „Minderheitsregierung? Och nö!, hab ich keine Lust drauf.“ Was nicht verwunderlich ist. Sie und ihre Union haben keine eigenen Positionen, die sie in einer Regierung den anderen Parteien vorschlagen könnten. Keine Bewegung, einzig Verharren beim Status Quo. Trotzdem appelliert bei Frau Merkel niemand an ihre staatspolitische Verantwortung.
Beim Sondierungspapier hat mich, abgesehen von inhaltlichen Punkten, mit am meisten geärgert, dass es über vier Jahre keine wechselnde Mehrheiten geben soll. Das ist für mich das Ende der Demokratie. Vier Jahre Verpflichtung, jeder noch so bescheuerten Idee eines durchgeknallten CSU-Mitglieds zuzustimmen? An der Kandare der Union zu laufen? Never!
Bis gestern war mein inneres Meinungsverhältnis deshalb (und aus vielen anderen Gründen) identisch mit dem bei den Abstimmungen, die ich mitbekommen habe: 2:1 gegen die GroKo.
Aber Ärger bringt nix. Der stört nur das Denken.
Und Spekulationen, wohin uns die eine oder die andere Entscheidung führen werden, möglichst auf den Prozentpunkt genau, bringen auch nix. Verluste werden wir so oder so erleiden. Bei den Wählerinnen und Wählern und bei den Mitgliedern.
Gestern kam der Antrag der Landesverbände NRW und Hessen. Viele haben darin gleich einen weiteren schalen Versuch gesehen, die Delegierten umzustimmen, geschmeidig zu machen, einzulullen. Ich sehe das anders. Die drei in dem Antrag genannten Punkte sind drei der wichtigsten Kritikpunkte am Sondierungspapier. Familiennachzug, Abschaffung der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverträgen und ein Einstieg in die Abschaffung der Ungleichbehandlung von gesetzlich- und privatversicherten Patienten. Das würde die Grundlage der Verhandlungen schon noch ein ganzes Stück in unsere Richtung verschieben.
Wenn dieser Antrag morgen angenommen wird, würde das mein inneres Meinungsverhältnis ebenfalls etwas bewegen.
Wenn zusätzlich die Gültigkeit der Koalitionsvereinbarung mit einer zwingenden(!) Überprüfung nach zwei Jahren versehen würde, verschöbe sich mein Meinungsbild noch weiter.
Letzter, aber wichtiger Punkt wäre, dass Martin Schulz definitiv und verbindlich erklärt, dass er kein Mitglied des Kabinetts Merkel wird oder, dass er den Parteivorsitz abgibt. Tut er beides nicht, sehe ich schwarz für die Erneuerung der SPD.
Ich denke, dass es möglich ist, unsere gewählten Vertreter in die Regierung zu schicken und arbeiten zu lassen. Aber, sozusagen im Hintergrund, muss die Partei daran arbeiten, sich endlich von dem bescheuerten Dogma zu lösen, das Helmut Schmidt seinerzeit ausgegeben hat, und anfangen Visionen zu entwickeln!
Wir stehen vor Riesenherausforderungen: Die Digitalisierung wird unsere Arbeits- und Lebenswelt grundlegend verändern. Wir müssen über die Knackpunkte unserer Leistungsgesellschaft nachdenken. Welche Leistung gehört eigentlich bezahlt und wie?
Wer soll das machen, wenn nicht wir? Und wenn wir es nicht machen, wozu sind wir dann noch da?
Voraussetzung dafür wäre natürlich, dass die Union sich wenigstens ein bisschen bewegt und den drei Änderungspunkten im Sondierungspapier zustimmt.
Dann könnte man es auch so sehen, dass ein Ja zu weiteren Verhandlungen und sogar die Beteiligung an einer weiteren Großen Koalition uns, der Partei, geradezu den Raum gibt, die Füße freischaufelt, den Erneuerungsprozess anzugehen – und zwar grundlegend. Damit wir in vier (oder vielleicht schon in zwei) Jahren einen wirklichen Gegenentwurf anbieten können und Frau Merkel gezwungen sein wird, ihr Spinnennetz zu verlassen.
Aber warten wir mal ab, was morgen geschieht. Vielleicht verschiebt sich mein inneres Meinungsverhältnis ja doch wieder zurück. Und sehen wir es mal so: Selbst wenn der Parteitag grünes Licht zu weiteren Verhandlungen gibt, und nur dann, haben wir immer noch das letzte Wort.
Ich fasse zusammen:
Wir wissen nicht was wir wollen, aber egal was wir dann wollen oder auch nicht, wir haben das letzte Wort.
Schwer verdaulicher Text, einmal konkret, als die berechtigte Forderung nach “Abschaffung sachgrundloser Befristungen von Arbeitsverträgen” gestellt wird. Eine Forderung der Linken, die die SPD in der Koalition abgelehnt hat. Drucksache 18/12354.
Was soll man davon halten?
Frau Weber, Herr Schulz, soll IHR Wähler IHR Abschluss-Katzen-Konzert auf Merkels-Titanic tatsächlich besuchen und dafür auch noch mit seinen Steuern bezahlen?
Oder soll er besser Bätschi sagen und zur kompetenten Volkspartei AfD wechseln?
Die Antwort dürfte wohl klar sein. Ich freue mich drauf!