Von Fritz Wolf
Das Leben ist eine einzige Coachingzone. Es beginnt bei der Vorbereitung auf eine möglichst perfekte Geburt und endet mit dem perfekten Sarg, in den sich die spätere Bewohnerin schon mal mit guter Laune reinlegt und sich vom Sargtischler mit dem eigenen Smartphone fotografieren lässt – Selfie aus dem Sarg sozusagen. Man könne auch sagen: Am Ende passt alles in eine Kiste. (3Sat, 15.01.2018, 22.25-23.55)
Die Szenen aus Geburtsvorbereitung wie Sarg sind zwei von vielen im Film „Leben – Gebrauchsanleitung“ von Jörg Adolph und Ralf Bücheler. Er zeigt das Leben als Testlauf. Es wird gecoacht und trainiert auf Teufel komm raus. Rollenspiel, Seminare, Test, Therapien. Angeblich sind in Deutschland 50.000 Coaches unterwegs, die an der Optimierung unseres Lebens arbeiten. Es gibt Verkehrstraining und Flugsimulation, Anti-Verzagtheitstraining und De-Eskalationstraining, Übungen im aufrechten Gang und Überleben im mitteleuropäischen Laubwald. Es gibt nichts, was es nicht gibt und nicht selten geht es dabei komisch oder grotesk zu. Tanzunterricht mit Rollator, Striptease-Coaching, Richtig-Spaghetti-Essen mit Kindern. Lachhaftes wie den Lachkurs oder den katzenhaften Gang für Manager. Dramatisches wie Familienaufstellungen und Sterbeberatung. Aufrüttelungen von Psycho-Motivatoren in großen Hallen: „“Ich hab mein Ziel vor Augen, meine Vision, da wo ich hinwill, ich verspreche mir jeden Tag, ich mache weiter. Weitermachen auf der Achterbahn des Lebens“.
Auch die berühmte Frage, was denn unsere Vorfahren gemacht hätten, wenn der Säbelzahntiger vor ihnen auftauchte, wird gestellt: Davonrennen natürlich. Körpersprache ist ganz wichtig. Wir lernen vom Gang der Zweifler, von der Körperbiegung der „Ja-Aber-Menschen“ und jener der „Ich-Habe-So-Viel-Zu-Tun“-Menschen. Auf vielerlei Arten zeigt der Film, wie wir von Gebrauchsanleitungen umstellt sind und schürt den Verdacht, dass wir dabei immer weniger wissen, wie das gehen soll –Leben
Jörg Adolph und Ralf Bücheler knüpfen mit ihrem Film an eine Arbeit von Harun Farocki an: „Leben – BRD“ (1990). Farocki reihte darin kommentarlos Szenen aus der Welt der Lebensoptimierer aneinander. So tun auch die beiden Autoren, aber sie haben viel mehr Beispiele, fast doppelt so viele. Die Szene hat sich aufgefächert. Vielleicht rechnen die Autoren aber auch mit geminderter Ausdauer ihrer Zuschauer. So montieren ihre Szenen oft assoziativ, manchmal visuell, manchmal akustisch, manchmal gedanklich, manchmal nach Pointe. Wenn der Striptease-Coach seine Kundin mit den ironisch gemeinten Worten „Und jetzt ab ins Bett“ entlässt, schneiden die Autoren den Materialprüfungstest einer Matratze dagegen. Wenn eine Szene zeigt, wie Migranten im Deutschkurs lernen, Obst zu benennen und einzukaufen, konterkariert der Film das mit einer Szene aus dem Wald, wo der Überlebenstrainer seinen Überlebenswilligen Fichtennadeln schmackhaft macht: viel Vitamin C ist enthalten, leider auch ein paar Bitterstoffe, an die wir leider nicht mehr gewöhnt sind. Auf eine Ausdehnung ins Ideologische, auf die Bitternis des Lebens etwa, verzichten Trainer und Film glücklicherweise.
Die Autoren kommen, wie erwartbar, ganz ohne Kommentar und ohne Musik aus, die Zuschauer dabei nicht ohne eigene Gedanken. Das muss man nicht nur akzeptieren, sondern auch mögen, dann wird man an diesem Film sein Vergnügen haben. Manche Szenen sind in einer einzigen Einstellung gedreht, manche vielperspektivisch aufgelöst. Die Militärübung etwa sieht aus wie man sie häufig beim Einsatz von Spezialtruppen im „Tatort“ auch sehen kann. Farocki war, soweit erinnerlich, in der Bildkultur spartanischer, strenger. Adolph und Bücheler haben durchaus auch das Unterhaltsame im Blick. Und dabei auch noch eine dialektische Volte auf Lager. Es lägen bei dieser filmischen Versuchsanordnung, sagen sie in einer Reflexion des Films „die Bestandteile des Lebens wie in einem Baukasten hübsch nebeneinander, als ob sie nur darauf warten, neu kombiniert und bespielt zu werden: Könnte unser Leben – seine Elemente, Konstruktionen, Sinnmöglichkeiten – nicht auch ganz anders aussehen?“
So oder so: Am Ende steht der Sarg und auch der ist natürlich nicht von der Stange. Man kann das Sargtischlern auch in einem Kurs lernen. Und so lehnt dann der Opa stolz neben der selbstgebastelten großen Kiste, während Oma schon mal ausprobiert, wie es sich drin liegt. Der Kurs hat übrigens den Namen „Schwierige Kiste“.
Es kann nur noch besser werden.