Von Fritz Wolf
Peter Brückner war ein öffentlicher Intellektueller zu Zeiten der 68er, ein Sozialpsychologe, der sich einmischte, ein Prophet des zivilen Ungehorsams. Heute ist er weitgehend vergessen. Ein Film seines Sohnes Simon Brückner holt ihn in die Gegenwart.(RBB, 22.10.2017, 22.55-00.50)
Der Sozialpsychologe Peter Brückner war eine der herausragenden Figuren der 68er Bewegung, Professor, zweimal von der Uni relegiert, überhaupt in drei Systemen von der Uni geflogen. Der Apo-Professor, verdächtigt der Komplizenschaft mit dem RAF-Terrorismus, freigesprochen, Jahre später wegen der Mescalero-Affäre noch einmal suspendiert, wieder frei gesprochen. Dann ging er nicht mehr an die Uni zurück. Sein Thema waren die Mechanismen der Macht und die Frage, wie sich Macht und Unterdrückung in der Psyche der Individuen ausdrücken.
In kreisenden Bewegungen sucht der Sohn seinen Vater kennen- und verstehen zu lernen. Fragt seine Mutter Barbara Sichtermann, fragt Freunde, Weggefährten, seine Halbgeschwister, die den Vater noch als Vater erlebt haben. Er selbst hat nur noch eine vage Erinnerung und wird am Ende formulieren, die vagen Erinnerungen an seinen Vater seien mit den Recherchen verschwunden. Aber in den Erzählungen der anderen sei er dem Vater näher gekommen. Der Film als Spurensuche, die aber der Chronologie nur zum Teil folgt. Seine dramaturgische Struktur ist eher die einer Tiefenbohrung. Sehr erzählerisch, macht immer wieder von neuem neugierig auf noch eine weitere Facette. Der Sohn ist der Erzähler, der Erforscher seiner eigenen Geschichte, eine heikle Konstellation aber rundum bewältigt. Der Autor drängt sich nicht auf. Er ist ein Suchender, der manchmal die Überraschungen selbst gar nicht so recht zu fassen scheint. Einer, der immer darauf achtet, dass hier der private und der öffentliche Mensch zur Deckung kommen, und sei es im Widerspruch. Man ist ihm sehr dankbar, dass er keines der abgegriffenen Bilder aus der 68er Bewegung verwendet, wie sie immer wieder zur sinnlosen Illustration verwendet werden. Er hat viel dokumentarisches Material, Fernsehausschnitte, Briefe des Vaters, Fotos, ein wenig privates Filmmaterial. Tatortbegehungen, etwa das ehemalige Unigebäude in Hannover, in dem jetzt das Landeskriminalamt sitzt.
Sein letztes, autobiographisches Buch trug den Titel „“Das Abseits ist ein sicherer Ort“. Simon Brückner, Sohn und Filmregisseur, zitiert am Ende seines Films eine Passage aus diesem Film. Das Abseits, heißt es da, sei nur anfangs ein schöner Ort. Man müsse sein Nein zu Realität auch realisieren, sonst höre man bald auf zu denken: „Die Kritik muss ins Handgemenge“. Dazu brauche es Mut: „Was ist denn Mut? Mut ist die Gesinnung der Freiheit und das Ergebnis von Freiheit überwältigt den Mutigen, Weil es ihn überrascht. Es ist nämlich Glück“.
„Aus dem Abseits“ bekam auf dem Dokumentarfilmfest in München den 1. Preis in der Kategorie Victor.dok deutsch. Die Jury begründete ihre Entscheidung so: „Ein Film im Dazwischen von Geschichte und Lebensgeschichte. Ein Film der uns einen Menschen nahebringt, den wir kaum kannten, aber gern kennen würden. Peter Brückner war ein Intellektueller von untypischer Offenheit. Ein politischer Mensch, für den die Bezeichnung Dissident ein Ehrentitel war. Und ein Gezeichneter, der seine Wunden ins Produktive zu wenden verstand. ‚Aus dem Abseits‘ erinnert an diesen Vergessenen. Vor allem aber stellt uns Regisseur Simon Brückner seinen Vater vor, den er selbst nie richtig kennenlernte. ‚Aus dem Abseits‘ ist sensibel und virtuos in der Verwendung vielfältiger Mittel. Ein Film, der über das fragmentarische Wesen der Erinnerung, vielleicht des Dokumentarischen per se, erzählt – ihre Fragilität und Konstruiertheit. Auf diese Weise macht er Peter Brückner wieder lebendig. Wir wollen ihn lesen, mehr wissen, ihn kennenlernen – den Intellektuellen, wie den Vater.“