Von Fritz Wolf
Anders als die schnelle Nachrichtenkonjunktur befassen sich Dokumentaristen schon länger mit dem Thema der Flüchtlinge. Willkommenskultur ist das Lieblingswort des Sozialdezernenten Reiner Kaminski im Landkreis Harburg. Aber da sind auch noch die Dörfer Tespe und Appel, dort leben Flüchtlinge oder sollen einquartiert werden. Und dann sagt Hartmut Prahm im Namen der Bürgerinitiative: „Das hier ist das noch beschauliche Dorf Appel“. Noch. Ein Dokumentarfilm über „Willkommen auf Deutsch“. Noch in den Mediatheken von ARD und SWR
In „Willkommen auf Deutsch“ erzählen Carsten Rau und Hauke Wendler vom Alltag von Flüchtlingen in Deutschland, konkret, genau, persönlich und jenseits der Zahlen. 127.000 Flüchtlinge haben in Deutschland Antrag auf Asyl gestellt. 53 von ihnen sollen im Dorf Appel (415 Einwohner) in einem ehemaligen Altenheim einquartiert werden. Hartmut Prahm und die Bürgerinitiative wollen das nicht. Am Ende werden sie es geschafft haben, dass das ehemalige Altenheim leer bleibt, der ortsansässige Wirt aber elf Flüchtlinge in seinem Hotel einquartieren kann, womit er natürlich auch seine Zimmer auslastet. Erst ziehen Männer aus Albanien ein, später welche aus Syrien, sie werden von der Freundlichkeit der Dorfbewohner schwärmen.
Carsten Rau und Hauke Wendler erzählen mehrere Geschichten parallel. Neben den Aktionen der Bürgerinitiative von Appel die Geschichte einer tschetschenischen Familie, der in einer ehemaligen Sparkasse von Tespe eine Wohnung zugewiesen wurde, eine Mutter mit fünf Kindern. Die Mutter wird psychisch krank, getrieben vor Angst, wieder ausgewiesen zu werden; auf einer Bürgerversammlung hat man sie überdeutlich spüren lassen, dass sie unerwünscht ist. Die älteste Tochter nimmt ihre Rolle in der Familie ein, ist überfordert, wird selbst auch krank, auch sie angsterfüllt – und das mit Recht. Denn die Behörden beschließen, sie als einzige nach Polen auszuweisen, damit sie dort ihren Asylantrag stelle; die Kinder sollen in Tespe bleiben. Weil der Sozialdezernent von Harburg, Kaminski, interveniert, bleibt wenigstens die Familie zusammen. Am Ende ist auch die Mutter wieder zu Hause, über den Antrag entschieden ist immer noch nicht. Eine Bleibe in Tespe findet vorerst auch ein Paar aus Pakistan, das wegen unterschiedlicher Religionszugehörigkeit in ihrem Heimatland nicht akzeptiert wird und geflohen ist. Jetzt sitzen sie hier auf dem Dorf, wo zweimal täglich ein Bus fährt, und suchen Kontakt zu anderen Menschen mit gleichem Schicksal.
Flüchtlinge also: Solche, die schon da sind, solche, die nicht kommen dürfen, und solche, die grade ankommen. Dazu Einheimische, die die Flüchtlinge nicht wollen. Aber auch Einheimische wie die 80-jährige Frau Neupert, die sich um die Tschetschenen kümmert, ihnen Deutschunterricht gibt, sie moralisch unterstützt und sich wundert, wie hart die Menschen hier sein können. Zwischendurch Draufblicke auf viel Grün und kleine geduckte Dörfer. Ein Hotel mit dem Namen „Deutsches Haus“. Dann vom Kreis angefordert, ein Containerdorf, quadratisch, praktisch, außerhalb, in dem für die Flüchtlinge eine Erstausstattung im Plastiksack angeliefert wird. Kissen, Decke, Laken, Handtücher, Kochgeschirr. Die Einheimischen besichtigen das Containerdorf, in dem sie nicht wohnen müssen und sind zufrieden.
Zwischen den Schauplätzen und den Menschen wechselnd, erzählen die beiden Filmemacher von diesem Alltag. Ein Jahr lang sind an den Geschichten dran geblieben. Ihre Sympathie gehört den Flüchtlingen, aber sie mischen sich nicht kommentierend ein. Sie beobachten, hören zu, lassen beide Seiten zu Wort kommen. Man merkt dem Film an, dass er auf keinen Fall polarisieren will. Das geht so weit, dass die Autoren die tschetschenische Familie fast immer beim Putzen, beim Lernen und beim Kochen zeigen, als wollten sie nachweisen, dass es sich um Menschen handelt, die auch für die deutsche Provinz akzeptabel sind.
Den Einheimischen wiederum merkt man die Mühe an, sich vor der Kamera nicht um Kopf und Kragen zu reden. So scheint ein gutes Stück gesellschaftlicher Wahrheit sozusagen zwischen den Worten und Szenen durch. Eine Frau aus der Bürgerinitiative druckst herum und spricht davon, dass Flüchtlinge ja auch menschliche Bedürfnisse hätten – sie meint ihre Angst vor Vergewaltigung. Hartmut Prahm meint, man sei nicht Anlaufstelle für den afrikanischen Kontinent. Dass irgendjemand dem Sozialdezernenten gesagt haben soll, er solle seine Neger wieder mitnehmen, wird kolportiert. Die pakistanischen Flüchtlinge berichten von freundlichen Menschen aber auch von solchen, die vor ihnen die Straßenseite wechseln. Und der Bürgermeister von Tespe erwähnt noch einen offenbar nicht ganz unwichtigen Grund: viele Bürger fürchten, dass die Grundstückspreise sinken.
Das alles, wie gesagt, entnimmt man den Zwischentönen dieses behutsamen Films, der Zugänge eröffnen, nicht zuschütten will. Der aber auch auf die Widersprüche einer Ausländerpolitik hinweist, die von „Willkommenskultur“ spricht, zugleich aber die Integration von Asylsuchenden verhindern will. An Ende zieht der Sozialdezernent Kaminski, der einiges abkriegt, das Fazit: „Das Ausländerrecht bedarf einer umfassenden Reform“.