“Als wir die Zukunft waren. 7 Geschichten aus einem verschwundenen Land“ (Phoenix, Sa 16.09., 22.30-00.00; Fr 22.09.2017, 02.15-03.45)

Von Fritz Wolf

Sieben Filmregisseure erzählen ihre Erinnerungen an die Kindheit, als sie in der DDR lebten und die Zukunft noch vor sich hatten. Sieben Episoden mit sehr unterschiedlicher Handschrift und in poetischer Sprache. Phoenix, Sa 16.09., 22.30-00.00; Fr 22.09.2017, 02.15-03.45

„Als wir die Zukunft waren“ ist ein Film der Erinnerungen. Sieben Regisseure: Lars Barthel, Gabriele Denecke, Andreas Voigt, Peter Kahane, Thomas Knauf, Hannes Schönemann, Ralf Marschalleck. Sie alle kennen sich, haben gemeinsam an der Filmhochschule in Babelsberg studiert und für die DEFA gearbeitet. Jeder dreht eine kleine Geschichte über seine Kindheit. Eine kleine Story der eine, Atmosphärisches der andere. Jeder hat nur zehn Minuten Zeit, das ist ein knappes Deputat. Der Erinnerungen sind wehmütig, aber nicht larmoyant. Keine Klage über verpasstes Leben, sondern Erinnerung an gelebtes.

Das Interessanteste an diesem Film ist das Atmosphärische. Wie sich das Land DDR in seinem Innenfutter angefühlt haben muss, welche Abenteuer man dort erleben, an welche Grenzen man stoßen konnte. Eltern und Großeltern identifizierten sich mit dem Land, glaubten noch an den Sozialismus. Ihre Kinder, die Filmerzähler, blicken schon auf brüchige Biographien zurück. Osten, das ist auch früh eingeübte Distanz. „Mit 18 beschloss ich, meine eigene Regierung zu sein“, sagt Thomas Knauf. Peter Kahane entdeckt noch am Ende seiner Kinderzeit, dass er keine Lust hat, die Verantwortung als kommender Heilsbringer zu übernehmen.

„Sommer 61 war plötzlich die Nachbarin im Westen“ erinnert sich Andreass Voigt. „Aber was war der Westen“. Das ist eine Frage, die sich alle in ihren Erinnerungen stellten. Sie muss alle beschäftigt haben. Westen, das ist für den einen das, was ihm den Vater genommen hat. Westen, das kann ein Paket von Verwandten sein mit Zucker, Mehl und Schokolade, das die Mutter empört zurückschickt. Westen, das kann sein eine Bootsfahrt um die Halbinsel herum Richtung Fehmarn. Westen, das war auch, wo man bis 1961 in Berlin noch hinspazieren konnte, um für 50 Ostpfennige drei Kaugummikugeln zu kaufen.

Die Geschichten sind nicht auserzählt, können sie auch gar nicht in der knappen Zeit. Sie verlieren sich manchmal im Anekdotischen, hinterlassen offene Fragen. Sie sind visuell sehr unterschiedlich aufgelöst. Einige benutzen Animationen, um dem Erzählstrom auch noch ein paar Bilder zusetzen zu können. Hannes Schönemann beschreibt seine Erinnerungen visuell mit Landschaftsbildern von Meer, Küste, Sand und Weizenfeldern. Thomas Knauf und Ralf Marschallek besuchen die Orte ihrer Kindheit und helfen so ihrer Erinnerung nach. Andreas Voigt und Gabriele Denecke orientieren sich aus dem Bildmaterial, das aus ihrer Kindheit herüberragt, Fotos vor allem, manchmal Super8, ein paar Notizen in Kinderschrift. Die Texte sind durchweg gearbeitet, poetisch, lakonisch. Die Erinnerungen sind brüchig, einerseits, andererseits an manchen Stellen präzise bis überscharf. Wie etwa die Treppe in Großmutters Haus in Weimar, die für Ralf Marschallek heute noch an den vertrauten Stellen knarzt und so klingt wie damals.

Zwischen den Episoden sitzen, gleichfalls in kurzen Abschnitten, die Regisseure beisammen und diskutieren. Auch die Frage nach dem Westen. Der Sozialismus war immer nur Versprechen geblieben, sagt einer, aber der Kapitalismus war real.

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