„Ebola – Das Virus überleben“. Von Carl Gierstorfer (SWR, 30.08.2017, 23.30- 00.20 Uhr)

Von Fritz Wolf

Der Filmemacher Carl Gierstorfer reist mitten hinein ins Zentrum der Ebola-Katastrophe, um von den Menschen und ihrer Erfahrung mit der Krankheit zu erzählen. (SWR, 30.08.2017, 23.30- 00.20) Der Film bekam in diesem Jahr den Grimmepreis. Hier die Begründung der JuryHerbst 2014. Libera. Der Ausbruch der Ebola-Epidemie erreicht seinen Höhepunkt. Deutschen Korrespondenten wird von den Heimatredaktionen verboten, in das Krisengebiet zu fahren. Der Filmemacher Carl Gierstorfer reist dennoch. Zu den Menschen, will erzählen von ihren Kampf gegen eine Krankheit, die rasend schnell tötet, ganze Landstriche entvölkert. Für einige Wochen begleitet er Helfer und Patienten. Im Frühjahr 2015 erkranken immer weniger Liberianer an Ebola. Er kehrt für einen Monat zurück und dreht seine Geschichten zu Ende.

Stanley, den Gierstorfer über Wochen begleitet, hat seinen Sohn, der infiziert war, in das Dorf gebracht, und mit dieser Entscheidung indirekt Leben gefährdet und ausgelöscht. Die Menschen trachten nach seinem Leben. Er flüchtet in die Hauptstadt Monrovia, wo er lethargisch seine Tage verbringt. Seine komplette Familie ist gestorben. Nur Stanley überlebte, hadert. Er entscheidet sich, in das Dorf zurückzukehren. Seine einzige Hoffnung, nicht von den Menschen des Dorfes getötet zu werden, ist ein Reverend. Der versucht, zwischen ihm und den wütenden Bürgern von Taylor Town zu vermitteln. Gierstorfer begleitet außerdem die Krankenschwester Mabel Musa, die trotz ihrer Angst vor dem Erreger jeden Tag gegen die Epidemie kämpft.

Begründung der Jury:

Irgendwo im Urwald. Ein Trupp Helfer desinfiziert Menschen. Will sie schützen vor Ebola. Sie bespritzen ihre Körper mit einem Mittel. Die Menschen ertragen es fast gleichgültig. Am Himmel schwarze Wolken. Es beginnt zu regnen. War alles sinnlos? Carl Gierstorfer erzählt die Geschichte ausschließlich aus Sicht der Menschen, die direkt und existenziell durch das Virus betroffen sind. Seine Bilder der Trauer und des Schmerzes sind nie voyeuristisch, sondern eingebettet in eine stringente, würdige Beschreibung eines gesellschaftlichen Alptraums. Sie sind nah, direkt und folgen den Emotionen der Menschen. Es gibt jene, die helfen, die kämpfen und jene die zweifeln, die hassen, die Vergeltung wollen. Da ist das Dorf, fernab der Hauptstadt, in dem das Virus Dutzende tötet. Da ist Stanley, den die Gemeinschaft dort für den Tod von vierzehn Menschen verantwortlich macht. Da ist ein Geistlicher, der die letzte Hoffnung für das Dorf, für Stanley ist. Denn Stanley brachte den Tod in das Dorf. So sehen sie es. Sie wollen ihn nicht mehr. Und so wird aus einem Film über Ebola ein Werk über Wut und Trauer, über Vergebung und Sühne. Wie geht eine Gemeinschaft mit einem Menschen um, der mit seiner einsamen, starrköpfigen Entscheidung große Risiken eingegangen ist und – nach ihrer Sicht – das ganze Dorf in seiner Existenz gefährdet hat? Der alles verloren hat, zurückkommt und eben jene Gemeinschaft um Hilfe bittet, aber nicht die richtigen Worte findet? Der Autor schlägt den Bogen von der kaum zu ertragenden Trauer Stanleys bis hin zu seiner Rückkehr in das Dorf. Einem Gerichtsdrama gleich führt er die verschiedenen Seiten vor. Es geht am Ende um nicht weniger als das Leben Stanleys.

Der Autor muss nichts dramatisieren. Wenige Musikeinsätze, keine Erklärungen – keine Distanz. Nur Menschen und ihre Emotionen. Die Jury war beeindruckt, wie klug und nah der Autor im Zentrum einer Epidemie die Geschichten von Menschen entdeckt und erzählt hat. Bei vielen Einstellungen meint man, die Gerüche vor Ort zu vernehmen, ist mit dem Autor dort, wo die Krankheit unsichtbar lauert, fiebert mit und lässt sich durch diesen Alptraum führen. Mit Mut, Beharrlichkeit und großem persönlichen Risiko hat Carl Gierstorfer ein menschliches Drama aufgezeichnet, das so universell auf der ganzen Welt passieren könnte und somit eben nicht eine rein afrikanische Geschichte ist. Unwillkürlich stellen sich uns die Fragen: Wie hätte ich reagiert? Wozu hätte mich die Angst geführt? Könnte ich verzeihen? Das ist der große Wert dieses Werkes. Gierstorf zeigt den Schmerz und kommentiert nicht. Mit großem persönlichem Einsatz hat er gemeinsam mit der Produktionsfirma einen Film geschaffen, der uns jetzt, Monate nach der Hysterie um Ebola, den Horror vor Ort noch einmal eindrücklich und intensiv nahebringt. Vor dem Hintergrund einer gesichtslosen Gefahr ist es am Ende eine universelle Geschichte von Schuld, Schande und Versöhnung.

www.wolfsiehtfern.de

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