Ja, hier ist ein Wiederholungstäter unterwegs. – Zum wiederholten Mal habe ich mich auf den Camino Santiago gemacht. Dieses Jahr auf den Camino Portugues da Costa bis zum Kap Finesterre.
Hier mein ganz persönlicher Erfahrungsbericht:
Am 21. Mai war endlich der Rucksack gepackt, wieder schwerer als geplant, aber immerhin nicht über 10 Kilo. – Denn alles was ich in den Rucksack gepackt habe, muss auch getragen werden.
Am nächsten Morgen ging es vom Flughafen KölnBonn mit dem Flugzeug nach Porto, dem Ausgangspunkt meines diesjährigen Caminos. – Dieses Jahr die Küstenvariante mit der Variation Camino Espiritual. Etwas weniger als 300 km bis zum Grab des heiligen Jakobus.
Eine Wanderung, eine Pilgerreise, nicht nur zum Grab des heiligen Jakobus, sondern auch eine Pilgerreise zu mir selbst. Tage des Zur-Ruhe-Kommens. Tage der Begegnungen. Ich habe mich darauf gefreut, einige Tage den Alltag hinter mir zu lassen und mich auf mich konzentrieren zu können. Drei Wochen, in denen es um mich geht. Kraft tanken für alle Aufgaben, die auf meine Rückkehr warten.
In Porto mit einer halben Stunde Verspätung angekommen, war erst einmal Entspannung angesagt, nachdem ich im Hostel eingecheckt hatte. Porto, die Stadt am Duro, die für ihren Wein berühmt ist. Eine wunderschöne Stadt, die ich im letzten Jahr ausführlich besucht habe.
Am Dienstag, dem 23. Mai, ging es auf die erste Etappe meines diesjährigen Camino Santiago nach Vila do Condo. Eine Etappe von 34 Kilometern Länge. Zunächst am Fluss Duro entlang, Richtung Mündung in den Atlantik und dann weiter entlang der Küstenlinie. Zu einem großen Teil auf Holzstegen. An diesem Tag ging mir das Lied „Wir sind, wie wir sind“ von Tim Benzko nicht aus dem Kopf; ich habe es für mich geändert: „Ich bin, wie ich bin und es gibt keinen Grund, es zu ändern.“ „Ich bin ich!“
Was an diesem und dem vergangenen Tag, in Porto, auffiel, ist, dass in diesem Jahr sehr viele Deutsche Pilger unterwegs sind und der Camino Portugues im Ganzen stärker frequentiert ist. Auch wenn ich auf den ersten Kilometer bis kurz vor dem Leuchtturm keinen Mitpilger gesehen habe, am dortigen Café traf ich auf die Ersten. Nach dem zweiten Frühstück dort machte ich mich wieder auf den Weg. Nach weiteren Kilometern auf Holzstegen und der einen oder anderen netten Begegnung erreichte ich Vila do Condo.
In der dortigen öffentlichen Herberge lernte ich Ansgar aus dem Süden Deutschlands kennen. Wir unterhielten uns bei einer Cola eine Weile und trafen in den nächsten Tagen immer wieder einmal aufeinander.
Am folgenden Tag, Mittwoch, ging es relativ früh, um 6:45 Uhr, in Vila do Condo los, da mindestens 28 Grad im Schatten zu erwarten waren. Aber natürlich nicht, ohne als erstes um die Ecke das erste Café zu nutzen und einen Café con Leche zu trinken und ein Croissants zu essen. Gestärkt machte ich mich auf den Küstenweg, den ich natürlich prompt verlor und so sicherlich 2-3 Kilometer zusätzlich laufen mußte.
Wie erwartet, wurde es an diesem Tag wirklich heiß. Zunächst ging es Kilometer um Kilometer an der Strandpromenade von Rovoa de Vazim entlang. Vorbei an unzähligen Strandbars und an einem Olympiastützpunkt. Daran schloss sich der altbekannte Holzsteg entlang der Küstenlinie an. Und es wurde immer heißer. Mit der Zeit und der Stille, nur das Meer war zu hören, merkte ich, dass ich in den letzten Tagen nicht wirklich gut auf mich aufgepasst hatte. Mit einem Mal stand die Frage im Raum „Was machst Du da?“. Mit der Frage, die mir plötzlich in den Sinn kam, hatte ich das Gefühl, in ein Loch zu fallen. Das Laufen wurde mühsam und zu allem Überfluss durften wir vor Fao einer Kopfsteinstraße folgen. Kilometer um Kilometer durch Agrarfläche ohne eine Kaffeebude. Es bestätigte sich, was ich geahnt hatte; unter beiden Füßen hatte sich jeweils eine ansehnliche Blase gebildet. Die kurzen Gespräche mit meinen Mitpilgern aus Italien, den Niederlanden, Deutschland und N.N. haben mich bis Esposende getragen. Später kam tatsächlich Ansgar und checkte im selben Hostel ein wie ich.
Dieser Tag ließe sich so überschreiben: „Der Kampf mit mir, der Hitze und dem Kopfsteinpflaster.“
Am Donnerstag, dem 25. Mai, ging es morgens von Esposende nach Viano do Castelo. Eine Etappe, die landschaftlich sehr schön war, da sie eigentlich alles variierte, Holzsteg entlang der Küste, Straße mit Kopfstein, Wald- und Feldwege. Und auch heute trugen mich kurze Gespräche mit den Mitpilgern und die Stille. – Da es mir zunehmend schwerer fiel zu laufen, begann ich die Kilometer mit dem Beten des Rosenkranzes zu überbrücken. Dies fiel mir, wie die Erfahrungen von meinen anderen Pilgerreisen gelehrt haben, leicht.
Kurz vor der Brücke über den Rio Lima hinein nach Viano do Castelo traf ich wieder auf die Gruppe aus den USA, die mich heute irgendwie begleitet hatte. Ich setzte mich zu ihnen ins Gras und merkte, dass bei mir nicht mehr sehr viel geht. Dabei stellte ich fest, dass ich die letzten 25 Kilometer mit drei Kaffee bewältigt habe und meine Wasserflasche mit 1,5 Litern unangetastet war. Ich war erschrocken und trank erst einmal einen halben Liter. Dann machte ich mich auf den Weg über die Brücke hinein in die Stadt. Dort musste ich die Herberge suchen, was mich eine geschlagene Stunde kostete. In der Herberge endlich angekommen, versagten meine Füße ihren Dienst. Nun war guter Rat teuer. Nach reiflicher Überlegung, auch mit Mitpilgern, entschloss ich mich am nächsten Tag, die Etappe mit dem Zug zu fahren.
Am nächsten Morgen, dem 26. Mai, bestärkte mich mein Mitpilger Thomas in meiner Entscheidung. So humpelte ich zum Bahnhof von Viano do Castelo und buchte eine Fahrkarte nach Valenca. Fünfzig Kilometer, und damit gleich zwei Tagesetappen, für grade einmal 4,60 €.
In Valenca angekommen, ging es mir soweit gut, dass ich beschloss, noch bis nach Tui hinüber zu laufen. So ging ich also von Valenca über den Rio Mino nach Tui und verließ Portugal. – Damit wechselte ich die Zeitzone und kam wieder in der mitteleuropäischen Sommerzeit an. Der Weg über die Brücke dauerte keine zehn Minuten und es war eine Stunde später. In Tui angekommen, besuchte ich zu erst die Kathedrale und begab mich anschließend in die öffentliche Herberge; die im Schatten der Kathedrale liegt.
Thema dieses Tages war: Aufmerksamkeit – meinen Mitmenschen, aber auch und vor allem mir gegenüber.
Aufmerksamkeit tut gut. Deshalb startete ich den Samstag, 27. Mai, mit einem ausführlichen Frühstück, mit frisch gepresstem Orangensaft, im Pilgercafé von Tui. Leider stellte sich schon bald heraus, dass meine Annahme, meinen Füßen ginge es wieder gut, ein Trugschluss war. So schleppte ich mich nach O Prino. Kein wirkliches Vergnügen und dennoch habe ich den Weg, der landschaftlich schön war, nicht wirklich langsamer bewältigt als zuvor angenommen. In der Stadt angekommen, kehrte ich in der öffentlichen Herberge ein, die allerdings erst um 15 Uhr öffnete. Da ich jedoch schon um 13:30 Uhr an der Herberge war, erholte ich mich vor der Herberge und ging in die Stadt, nach dem ich mein Bett soweit gerichtet hatte. Endlich kam ich auf den glorreichen Gedanken, in eine Apotheke zu gehen und mir dort einen Rat geben zu lassen. Zum Glück konnte die Apothekerin Englisch und riet mir zu Ibuprofen. Ehrlich gesagt, da hätte ich auch zwei Tage eher drauf kommen können. Aber bis hierhin war ich wohl zu sehr mit meinem Alltag, den ich nicht loslassen konnte oder wollte, beschäftigt.
In der Stadt bereitete man sich auf den Zieleinlauf der Sportler, ich nahm an, der Marathonläufer, vor. Ich saß bei Kaffee und Kuchen und schaute mir das Spektakel an. Die Sportler waren alle sehr ansehnlich und erfreuten mein Herz. Wie sich später herausstellte, waren es Triathleten.
Den Abend genoss ich bei einem Hamburger – the Best of Camino – und einem Wein.
Der nächste Tag, Sonntag, stand unter dem Motto: “Weniger ist mehr”.
So machte ich mich morgens auf den Weg nach Retondela. Einer Etappe von etwas mehr als 20 Kilometern. Die Entzündung meiner Fußsohlen war dank des Medikaments soweit unter Kontrolle, dass ich halbwegs schmerzfrei auftreten konnte. Der Weg aus O Prino hinaus führte an einer Hauptverkehrsstraße entlang und mit jedem Kilometer, den ich Richtung meines Tagesziesl ging, waren es kleinere, ruhigen Sträßchen, die mich bergan führten.
Der Camino Portugues, mein Weg, folgt im Großen und Ganzen dem Verlauf der antiken Via Romana XIX. Diese erstreckt sich in einem weiten Bogen durch Galizien über Santiago de Compostela bis nach Astorga. Auf meiner Wanderung traf ich immer wieder auf Zeugnisse des römischen Reichs auf der iberischen Halbinsel.
In Retondela beeindruckte mich vor allem, beim Hineinlaufen in die Stadt, das Bahnviadukt hoch über den Häusern. Aber auch das wunderschöne Gebäude, in dem die öffentliche Pilgerherberge untergebracht ist, das gleichzeitig auch Museum – mit einer beeindruckenden Fotoausstellung – ist.
Am nächsten Morgen, 29.05., ging es, wieder nach einem ausführlichen Frühstück, Richtung Pontevedra. Zunächst musste der Nationalstraße 550 gefolgt werden, die ich jedoch bald verlassen durfte. Der Weg führte mich und meine Mitpilger durch eine Vorstadtsiedlung und in einem Bogen zurück zur N 550, die wir überquerten, um sie endgültig zu verlassen. Auf einem kleinen Sträßchen ging es bergauf und später auf einem sandigen Weg durch einen Kieferwald. Der Flughafen von Vigo war zu vernehmen. Auf einem anschließendem Asphaltsträßchen ging es wieder hinunter zur N 550 und nach Arcade. Der Weg gab einen herrlichen Blick auf den Rio de Vigo frei. In Arcade machte ich, wie viele andere auch, an der ersten Kaffeebude am Weg halt und genoss einen Café con Leche. Hier fielen mir an diesem Morgen die vielen deutschen Pilger auf. Weiter ging es über die Ponte Sampaio und dann gleich bergauf, um uns wieder hinunter und zum Rio Ulló zuführen. Der Weg bot an diesem Tag alles und so gelangte ich nach Pontevedra. Hier steuerte ich nicht die staatliche Herberge an, die direkt am Bahnhof liegt, sondern einige Meter weiter eine private Herberge. Den späten Nachmittag/Abend genoss ich, in der wunderschönen Altstadt, mit einem Besuch der Kirche des Franziskanerklosters und mit einem Ehepaar, das ich an diesem Tag kennen gelernt hatte und dem ich mit einem Blister Ibuprofen ausgeholfen hatte.
Am Morgen des 30. Mai, einem Dienstag, machte ich mich nach dem Frühstück wieder auf den Weg. An diesem Tag sollte ich vor der Wahl Camino Espiritual oder Central stehen. Bis zum Punkt der Entscheidung, am Ende einer Grünanlage am Rand von Pontevedra, traf ich auf genau zwei Pilger. Wo alle anderen geblieben waren, war mir nicht klar. Zumal ich am Vorabend den Eindruck gewonnen hatte, wir Pilgern hätten die Stadt gestürmt.
Da ich schon im Vorfeld die Entscheidung getroffen hatte, war klar: von hier an noch 100 Kilometer bis nach Santiago und nicht, wie auf dem Camino Portugues Central, noch 66 Kilometer. Und mit den ersten Schritten auf dem Camino Espiritual war ich wieder allein. Zunächst ging es bergan, um dann runter bis ans Meer zu kommen. In Polio schaute ich mir das dortige Monestrio von aussen an. Einge Schitte weiter kehrte ich erstmal in einer Kaffeebude ein – letzte Gelegenheit vor der bevorstehenden Bergetappe, um nach Ameteira und dem dortigen Monestrio zu gelangen. Ein Anstieg, der es in sich hatte: acht Kilometer. Jedoch wurde ich durch einen unglaublichen Ausblick auf das Meer entschädigt.
Das Monesterio von Ameitera, eine sehr alte Zisterzienser-Abtei, wird von 9 Schwestern geführt. Sie bieten Übernachtung, selbstgemachte Seifen, Likör und Marmelade an. Selbstredend auch Rosenkränze. Die Klosterkirche wirbt mit ihrer Schlichtheit für sich.
Motto des Tages : Auch Umwege, vermeintliche Umwege, sind wertvoll.
Am Mittwoch, den 31. Mai, wurden wir von freundlichen Schweizerinnen geweckt und zwar alle in der Herberge. So what! Also startete ich gegen 7 Uhr. Zunächst ging es an einem Bachlauf entlang den Berg hinunter. Ein Weg mit vielen zerfallenen ehemaligen Mühlen. – Eine Wegstrecke die mich stark an das Morvan/Frankreich und der Abbay Pierre qui Virre erinnerte. Nach etwa 7 Kilometer am Bach kam endlich die ersehnte Kaffeebude, an der ich Toastados und Kaffee zu mir nahm.
Der weitere Weg führte mich entlang eines Flusses, des Rio Umia, entlang, etwa 10 Kilometer, auf denen uns ein unglaubliches Konzert von Lurchen und Fröschen begleitete.
Dann verließ der Camino die Natur und führte uns Pilger ein kurzes Stück über Straße, um eine Bodega herum und dann endlich den Berg hinab an den Atlantik. Nun folgte der Weg dem Strand und das Wetter zeigte sich von seiner besten Seite. Nach einigen Kilometern am Strand kam dann endlich die ersehnte Brücke hinüber nach Vilanova de Arousa. Im Städchen fand sich ohne Probleme die örtliche Herberge, die in einem Sportzentrum untergebracht ist. Die Aufnahme war herzlich und es ließ sich sofort alles für die morgige Etappe mit dem Boot klären. Denn hier hat der Pilger die Wahl, die nächste Etappe mit dem Boot über das Meer und dem Rio Sar oder diese zu Fuß zu bewältigen.
Den Abend verbrachte ich im Hafen mit zwei leckeren Estrella und dem einen oder anderem Schwätzchen.
Fazit des Tages: Der liebe Gott hat uns einen wunderschönen blauen Planeten anvertraut; und, wir sind verdammt nochmal verpflichtet, ihn zu erhalten! Einen zweiten gibt es nicht!.
Am Morgen des 01. Juni zeigte sich der Hafen von Vilanova de Arousa malerisch. Eine besondere und sehr schöne Stimmung, die ein wenig ans Herz rührte. Eine Stimmung, in der ich gern einen vertrauten Menschen an meiner Seite gehabt hätte.
Wir, Dieter und ich, verabschiedeten unsere Mitpilger am Hafen, die sich entschlossen hatten, das erste Boot zu nehmen. Wir wollten das zweite Boot um 10 Uhr nehmen. Am Hafen trafen wir Alfonso, den wir am Vortag an einer kleinen Kapelle kennenlernen durften, und seine Frau Debbie. Sie luden uns spontan ein, mit Ihnen nach Hause zu fahren und dort zu frühstücken. Dieter und ich nahmen die Einladung gerne an und durften damit einen weiteren besonderen Ort kennen lernen. Nach einem ausführlichen Frühstück wurden wir wieder zum Hafen gebracht, wo das Boot auf uns wartete. Die Fahrt ging zunächst hinaus auf das Meer, vorbei an den Plattformen für die Miesmuschelzucht – Vilanova de Asoura hat die zweigrößte Miesmuschelzucht der Welt – und über den Rio Sar nach Pontecesures. Der Bootsführer machte uns auf Sehenswertes während der Fahrt aufmerksam.
Von Pontecesures gingen Dieter und ich über die Brücke nach Pedron, da auf der Flussseite von Pedron eine Kaffebude war. Nach dem Kaffee ging wir unseren Mitpilgern wieder ein Stück entgegen, da wir beschlossen hatten, einen Abstecher zum Kloster Herbron, einem alten Franziskannerkloster, zu machen.
Ein Abstecher der sich wirklich lohnte, da es sich um einen der vielen besonderen Plätze auf unseren blauen Planeten handelt, die man zu leicht übersieht. Im Kloster wurden wir von zwei Hospitaleros empfangen. Wir übernachteten in alten Klosterzellen und aßen gemeinsam ein leckeres Abendessen. – Eine Klosterführung bekamen wir auch. Dabei erfuhren wir einiges zur Geschichte des Klosters und daß im Kloster noch fünf ältere Franziskanner leben. Wie der Hospitalero sagte: “Vier davon scheintot”.
Nach einem gemeinsamen Frühstück mit den wenigen Mitpilgern, die sich ins Kloster verirrten, ging es für mich weiter zum Grab des heiligen Jakobus. An diesem Tag würde ich das Ziel Santiago erreichen.
Das Ziel? Oder, doch nur ein Zwischenziel auf dem Weg hin zu einem größeren Ziel?
Zunächst ging es zurück nach Pedro, da das Kloster ein wenig abseits des Camino liegt. Auf dem Weg nach Santiago machte ich in einem kleinen Wäldchen, am Wegesrand, eine Rast; und, wie es der liebe Gott so wollte, traf ich dort Thomas wieder, der mir in Viano de Castello zum “Springen” geraten hatte. Wir freuten uns, da keiner von uns mit einem Treffen auf dem Weg gerechnet hatte. Mit ihm waren vier weitere deutsche Mitpilger – Clara, Heike, Anja und Daniel – unterwegs. An der nächsten improvisierten Kaffebude, wenige hundert Meter weiter, machten wir Halt und unterhielten uns eine Weile. Auch wenn wir nicht die gesammte Zeit gemeinsam weiter liefen, – dafür hatten wir zu unterschiedliche Schritte – so sind wir doch gemeinsam in Santiago und auf dem Platz vor der Kathedrale angekommen. Dies war uns allen unausgesprochen wichtig.
Wie bei allen meinen Pilgerreisen auf dem Camino Santiago, war das Hineingehen in die Kathedrale etwas besonderes – ein Moment mit einem ganzen besonderem Glücksgefühl. Angekommen am Ziel, am Grab des heiligen Jakobus.
Für den Abend hatten wir uns zum Essen im Hospitario Menor, gegenüber dem Nordportal der Kathedrale verabredet.Vor dem Nordportal traf ich Dieter wieder, mit dem ich zum Kloster Herbron gelaufen war. Im Menor selbst traf ich das Ehepaar aus der Oberpfalz wieder. Alle freuten sich, die anderen, die man ein Stück des Weges begleiten durfte, wiederzusehen.
Und, was jetzt? – Am Ziel angekommen, wußte ich schon, der Camino geht weiter. Nicht einfach weiter bis zum Kap Finisterre, sondern im Alltag.
Den Camino, meinen Camino, gehe ich im Alltag! Und ja, es war nicht meine letzte Pilgerreise auf dem Camino Santiago zum Grab des heiligen Jakobus. Meines Glauben wegen, aber auch, weil der Weg mir jedesmal so wertvolle Begegnungen schenkt, die mich für eine lange Zeit in meinem Alltag tragen.
Den Samstag, 03. Juni, verbrachte ich wie geplant in Santiago de Compostela. Ich ging ins Pilgerbüro, um mir die Compostela ausstellen zu lassen, die bestätigt, dass ich den Camino Santiago gelaufen bin. Traf mich mit den Mitpilgern zu den Mahlzeiten im Hospiterio Menor und bummelte durch die Stadt. Mittags nahm ich an einer Führung, rund um die Kathedrale, der deutschen Pilgerseelsorge teil. Aber auch der Besuch des deutschsprachigen Gottesdienstes in der Kathedrale stand auf dem Programm.
Am Pfingstsonntag, 04. Juni, ging es gegen 8 Uhr von der Kaffeebude im Schatten der Kathedrale los Richtung Finisterre, dem Ende der Welt. Nochmals drei Tage laufen! Zunächst ging es raus aus der Altstadt, hinein in einen Aussenbezirk der Stadt, einem alten Aussenbezirk. Dann waren wir, meine Mitpilger und ich, auch schon aus der Stadt. Nachdem wir den ersten Anstieg bewältigt hatten, hatten wir einen wunderschönen Blick zurück auf die Kathedrale von Santiago, in der wir den heiligen Jakobus verehrten.
Es ging weiter durch einige Streusiedlungen und über Waldwege. Es waren einige Höhenmeter und steile Anstiege zu bewältigen. Kurz vor Negeira machte ich am Flussufer, etwas abseits des Weges, Rast und blickte zurück.
In den letzten Tagen durfte ich wieder einmal einige wirklich liebe und tolle Menschen kennen lernen . Sie schätzen lernen, da diese Menschen mich einfach so genommen haben, wie ich bin … Und, da bin ich wieder am Anfang meines Camino und beim Liedtext von Tim Bendzko.
Egal was ich tue. Egal wie weit ich renne. Ich nehme mich immer mit, so, wie Gott mich geschaffen hat, mit dem, was ich aus mir gemacht habe. Auf der einen Seite erschreckend, auf der anderen beruhigend. Denn so wie ich bin, ist es gut.
Am Montag ging es gegen 8 Uhr von Negreira los nach Olveiroa. Zunächst wieder über ein kleines Sträßchen und dann über breite Feldwegen über die Hochebene. Ein Trupp Italiener, die mich seit Santiago begleiteten, störten mich durch ihre laute Unterhaltung. Ich konnte sie an diesem Tag jedoch nicht wirklich abschütteln, da wir irgendwie für einander bestimmt waren, an diesem Tag. So nahm ich es im Laufe des Vormittags einfach so hin. Zumal es am späten Vormittag, nach der Alternative kurz vor Vilaserio anfing zu regnen. Wir liefen gemeinsam im zügigen Schritt auf unser Ziel zu, Oveiroa. Wie könnte es anders sein, steuerten wir gemeinsam die selbe Herberge an.
Tagesmotto: Nimm das Leben, wie es grade ist. Manchmal kann man einfach nichts ändern.
Am Dienstag, den 06. Juni, ging es auf die zweite der beiden 33-Kilometer-Etappen nach Finisterra/Finisterre. Nicht ohne ein ausgiebiges Frühstück in der Herberge. Also ging es letzlich gegen 7:15 Uhr auf den Weg. Es war kühl und bedeckt, aber trocken. Zunächst folgten wir der Straße durch die kleine Siedlung, um sie dann zu verlassen und auf Forstwegen den ersten heftigen Anstieg des Weges zu bewältigen. Entlang des Bergrückens ging es aufwärts zur nächsten Kaffeebude und Herberge; diese war nach einer Stunde erreicht. Mit dem Erreichen der ersten Kaffeebude wurde es auch sonnig und sehr angenehm.
Ich ließ bewußt den kleinen Trupp Italiener vorbei ziehen, da sie mir zu laut waren. Der Kaffee schmeckte! Und weiter. Nach zwei weiteren Stunden erreichte ich Cee; und mit der Stadt das Meer. – Ein, für den, der zuvor das Meer noch nicht gesehen hat, unglaublicher Anblick, beim Hinablaufen in die Stadt. Dort machte ich, auf dem Marktplatz, meine wohlverdiente Mittagspause.
Nach etwa einer dreiviertel Stunde machte ich mich auf die letzten 12 Kilometer bis Finisterra. Ein sehr schöner Weg, auf dem ich mir Zeit ließ und es einfach genoss, unterwegs zu sein. In Finisterra angekommen, meldete ich mich in der staatlichen Herberge und bekam die Urkunde über den Camino Finisterra.
Am Abend gegen 20 Uhr ging es dann hoch zum Kap, “dem Ende der Welt”. Am 0-Kilometerstein angekommen, überkam mich ein echtes Glücksgefühl. Die Sicherheit, bis zum Sonnenuntergangs auf dem Kap bleiben zu können. Anders als vor drei Jahren, als ich es emotional nicht schaffte.
Bis zum Sonnenuntergang ließ ich meine diesjährige Pilgerreise auf dem Camino Santiago nochmals an mir vorüber ziehen. Ich dachte an all jene, denen ich begegnen durfte, an alle, die mir wichtig sind.
Dann wurden alle, die mit mir oben auf dem Kap waren, sehr still und genossen einen wunderschönen Sonnenuntergang. Die Sonne versank langsam im Meer und mit jeder Minute wurde die Stimmung ein wenig anders. Mein Herz lief über! Wir, die wir uns auf den Camino Santiago begeben haben, haben das “Ende der Welt” erreicht. Ich denke, jeder von uns hat auf die vergangenen Tage zurück geblickt.
Das Ende der Welt ist erreicht! Der Camino geht weiter. Wer weiß, was der Weg in nächster Zeit für mich, für uns bereit hält. Der Camino Santiago wird mich sicherlich nicht loslassen! Es ist jetzt schon klar, daß ich mich irgendwann wieder auf den Weg zum Grab des heiligen Jakobus und zum Kap Finisterre machen werde. Meines Glauben wegen und auch weil ich mir sicher bin, dass ich auf dem Camino Santiago meine innere Mitte wieder finde.
“Halt an, warum läufst Du weg“ . Nein, ich bin nicht weggelaufen. Ich bin zu mir gelaufen. Rechtzeitig, zum Glück.
Die letzen Tage des diesjährigen Camino Santiago, haben mir gezeigt, wie notwendig diese Pilgerreise, zu mir und zum Grab des heiligen Jakobus, für mich war. In den letzen zwei Wochen fand ich die innere Ruhe, den inneren Einklang. Und damit das, was mir vor allem in der ersten Woche fehlte, was ich in dieser Woche nicht finden konnte.
Ich habe in den letzten zwei Wochen den Weg, die Begegnungen und die wunderbare Natur aufgesogen. Habe Kraft getankt. Nun geht der Camino in meinem Alltag weiter, wie bei all meinen vergangenen Pilgerreisen, wie bei all meinen Mitpilgern auch.