„Die Kathedrale“. Von Marc Jampolsky (Arte, 05.06.2017, 15.15 – 16.45)

Von Fritz Wolf

Das Straßburger Münster ist einer der großen und eindrucksvollen Kirchenbauten Europas. Wer sich je drin aufgehalten hat, wird nicht nur die berühmte Uhr bestaunt, sondern immer mal auch wieder den Blick nach oben gerichtet haben, in den gewaltigen Innenraum oder auf die reichlich mit Skulpturen bestückte Kathedrale. Der Film „Die Kathedrale“ fügt einen erstaunlichen Kamerablick dazu, den Zuschauern nicht nur Erkenntnisse über die Baugeschichte, sondern auch ein ganz anderes Seh-Erlebnis. Selbst wenn man sich, wie die meisten, mit 2D bescheiden muss. Hier der Text, wie Gastautor Thomas Gehringer diesen Film gesehen hat (Arte, 05.06.2017, 15.15 – 16.45)

Wie schwerelos gleitet die Kamera in großer Höhe durch das Kirchenschiff des Straßburger Liebfrauenmünsters. Es scheint so, als würde man sanft durch diesen gewaltigen Raum schweben, als würden die steinernen Figuren dicht vor die Augen treten und sich umkreisen lassen. Ein dank 3D-Technologie etwas anderes Raum-Erlebnis – jedenfalls wenn man das Vergnügen hat, einen entsprechenden Fernseher und eine 3D-Brille zu besitzen. Die Mehrheit des Publikums dürfte den (kunst-)historisch interessanten und teilweise bildgewaltigen Film über den Bau des Münsters im 14. und 15. Jahrhundert als gewöhnliches 2D-Fernsehen im gewöhnlichen Arte-Programm sehen. Und ganz ohne Zusatzbrille.

Die Idee erscheint naheliegend: Damit das Erlebnis räumlichen Sehens in einem 3D-Film eindrucksvoll gelingt, braucht es einen ebenso eindrucksvollen Raum. Was könnte sich besser eignen als die gewaltigen Zeugnisse mittelalterlicher Baukunst, die Kathedralen, wahre Wunderwerke der Baugeschichte? Das Straßburger Münster war eine Weile das höchste Gebäude der Welt, aber mehr noch als die imposante Höhe des Nordturms (142 Meter) beeindrucken die Details, die unzähligen Skulpturen und Figuren, die filigrane Gestaltung von Fassade und Turm oder die gewaltige Fensterrose über dem Hauptportal. Begeistert war auch Johann Wolfgang Goethe, der sich selbst mit seinem Namenszug in der Kirche und die Kirche mit einer Huldigung an Baumeister Erwin von Steinbach („Von deutscher Baukunst“) verewigte.

Und mit einer Spielszene vom Besuch des jungen Goethe beginnt auch „Die Kathedrale“, mit dem Arte im Jahr 2012 beweisen wollte, dass sich die 3D-Technik insbesondere für den Dokumentarfilm eignet. Nach dem „Avatar“-Hype sei die Gefahr groß, dass 3D zur „Jahrmarkts-Technologie“ werde, sagte Wolfgang Bergmann, Geschäftsführer von Arte Deutschland und bekennender Fan des Wim-Wenders-Film „Pina“, damals bei der Premiere des Films in Straßburg. Bereits mehrfach präsentierte der Sender einen 3D-Abend im Programm. „Das Motiv ist natürlich nicht Masse“, erklärte Bergmann, sprich: Quote. Vielmehr verstehe sich Arte als „europäische Qualitätswerkstatt für Fernsehen“. Es werde noch Jahrzehnte dauern, bis Filmemacher das dramaturgische Potenzial der neuen Technologie ausschöpfen könnten. Da bedürfe es Aufträge wie „Die Kathedrale“, damit die Branche die notwendigen Erfahrungen sammeln könne.

Nicht ohne Risiko für das Publikum übrigens: „Es ist leichter, für Kopfschmerzen zu sorgen als für ein perfektes Bild“, sagte „Stereograf“ Thomas Villepoux, der bei der „Kathedrale“ für die 3D-Aufnahmetechnik verantwortlich war. So lieferten an einem Mini-Zeppelin befestigte Mini-Kameras Bilder aus schwindelerregender Höhe. Mit einem Kamerasystem wie bei „Avatar“ wurden sowohl die Aufnahmen vom Gebäude als auch – weniger spektakulär – die Spielszenen und Interviews mit Experten gedreht. Die Stuttgarter Firma Luxx trug die Computeranimationen bei, die das mittelalterliche Straßburg plastisch wiederaufleben lassen. Zudem hat ein französischer Architekt im Auftrag der Münster-Stiftung in jahrelanger Puzzle-Arbeit die Kathedrale als 3D-Modell geschaffen. So wächst im Filmtrick aus den alten, großformatigen Zeichnungen eine räumliche Ansicht des Bauwerks, wie sie die alten Baumeister vor Augen gehabt haben mussten, bevor sie den Plan – in 2D – aufs Pergament brachten. Eine eindrucksvolle Visualisierung mittelalterlicher Handwerkskunst.

Für den französischen Regisseur Marc Jampolsky ist die 3D-Technik „die einzige Möglichkeit einer ehrlichen Würdigung“ des Kirchenbaus im Elsass. Sein Film widerspricht der Goetheschen Darstellung, dass allein das Genie des 1318 verstorbenen von Steinbach für die Erschaffung des gotischen Prachtstücks die Verantwortung trägt. In Spielszenen werden fünf weitere Baumeister vorgestellt, die in Zeiten von Pest und Krieg und immer abhängig vom Machtkampf zwischen Kirche, Kaiser und Stadt den Bau vorangetrieben hatten: So begann erst Ulrich von Ensingen, Baumeister am Ulmer Münster und Mailänder Dom, 1399 mit dem Bau des Münsterturms. Und der Kölner Jean Hultz setzte der Kirche schließlich bis 1439 die 66 Meter hohe Turmspitze auf, mit der besonderen Spezialität von schmalen Wendeltreppen in jedem der vier Ecktürmchen. Eine Million Euro kostete die deutsch-französische Koproduktion, gefördert unter anderem von der Filmförderung Baden-Württemberg und der französischen Filmförderung CNC. Weitere 300.000 flossen in die Entwicklung des Online-Angebotes (http://kathedrale.arte.tv/), auch das ein Projekt unter Beteiligung von Firmen beiderseits der Grenze. So kann der User bei einem Spiel in die Rolle des Architekten schlüpfen, der den fehlenden Südturm errichtet. Zahlreiche, zumeist kuriose Entwürfe sind da mittlerweile zu besichtigen. Außerdem gibt es eine GPS-basierte App als Tourguide vor Ort. Lauter hübsche Spielereien also. Im Blog sind allerdings schon seit Sommer 2013 keine neuen Einträge mehr zu finden – die Halbwertzeit eines solchen multimedialen Projekts scheint doch etwas kürzer zu sein als die Lebensdauer der Kathedrale selbst.
„Die Kathedrale. Baumeister des Straßburger Münsters.“ Von Marc Jampolsky, D 2012.

www.wolfsiehtfern.de

Kommentare (2) Schreibe einen Kommentar

    • Bernd Dircksen
    • 17.07.22, 11:25 Uhr

    Sehr geehrte Damen und Herren,

    im Dezember 2020 wurde in Arte der Film.” Vatikanstadt, ein Hauch von Ewigkeit von Marc Jampolsky gesendet.. Dort wurde über die Konservatorin Frau Angela Nunez berichtete, die ein Buch von Jacobo Grimaldi vorstellet.
    Wie bekomme ich weitere Informationen oder Kontakt.

    Haben Sie die Mail Anschrift von Herrrn Jampolsky oder Frau Nunez vom Vatikanischen Archiv der Bibliothek.

    Danke

    Bernd Dircksen

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    • Grauganz
    • 18.07.22, 10:56 Uhr

    Sehr geehrter Herr Dircksen,

    der Betreiber des Blogs, dem wir den Beitrag über den Arte-Film entnommen haben, Fritz Wolf, ist zwischenzeitlich leider verstorben. Wir können Ihnen Ihre Fragen leider nicht beantworten und Ihnen allenfalls raten, sich an den ausstrahlenden Sender, Arte, zu wenden.

    Mit freundlichen Grüßen

    Wolfgang Horn

    Antworten

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