„Verräterkinder“. Von Christian Weisenborn (Phoenix, 22.05.2017, 21.00-21.45, 01.30-02.15; 23.05. 08.15-09,00, 19.15-20.00)

Von Fritz Wolf

Von den Söhnen und Töchtern von Widerstandskämpfern gegen das Nazi-Regime wollte die bundesdeutsche Nachkriegsgesellschaft lange nichts hören. In den Denkmustern des Kalten Krieges war kein Platz für sie.  

Axel Smend erinnert sich genau, wie seine Mutter damals, Anfang der fünziger Jahre, verheult vom Elternsprechtag zurückkam. Axel hatte schlechte Noten in Latein und der Lehrer gab seiner Mutter zu verstehen, vom Sohn eines Verräters sei eben nichts anders zu erwarten. Der Vater, Günter Smend, hoher Offizier und Widerständler, war nach dem Attentat vom 14.Juli 1944 in Plötzensee hingerichtet worden.

So wie Axel Smend erging es vielen Söhnen und Töchtern von Widerstandskämpfern. Ihre Eltern waren hingerichtet worden, aber lange wollte die bundesdeutsche Gesellschaft nichts davon hören. Sie gerieten mit ihrer persönlichen Geschichte, mit ihrer privaten Trauer um die Eltern, in die Mechanismen des Kalten Krieges. Was haben Vater und Mutter getan? Warum haben sie sich in solche Gefahr begeben? Davon erzählt Christian Weisenborn in seinem Film „Verräterkinder“. Der Vater des Autors, der Schriftsteller Günther Weisenborn, war selbst Mitglied der so genannten „Roten Kapelle“, hatte überlebt und lange für die Rehabilitation der Widerstandskämpfer gekämpft. Aber erst 2009 hob der Bundestag die Todesurteile wegen „Kriegsverrats“ auf.

Zwischen den verschiedenen Widerstandsgruppen macht der Film keinen Unterschied. Vorrangig geht es ihm aber um die „Rote Kapelle“, von der lange Zeit ein komplett falsches Bild kursierte. Es handelte sich keineswegs um die fest gefügte Organisation, als die die Nazis sie sahen. Sie bestand aus mehreren lose verbundenen Gruppen, die Mitglieder waren sich inhaltlich in der Ablehnung des Hitler-Regimes einig. Kommunisten gehörten dazu, Adelige, Katholiken, viele Frauen. Hans und Hilde Coppi, beide aus der Kommunistischen Bewegung gehören zu den bekanntesten Mitgliedern ebenso wie Harro Schulze- Boysen und Arvid und Mildred Harnack, der so genannte Boysen-Harnack-Kreis. Sie kümmerten sich um Verfolgte und informierten auf Flugblättern und Anschlägen frühzeitig von den Verbrechen von SS und Wehrmacht. Die Gruppe umfasste etwa 150 Mitglieder, sie flog 1942 auf, 65 Todesurteile wurden vollstreckt.

Kernstück des Films sind die Interviews mit den Kindern der Widerstandskämpfer. Hans Coppi jr hat das Leben seiner Eltern als Historiker auch zum Gegenstand seiner Forschungen gemacht. Alfred von Hofacker erzählt von seinem Vater, Cäsar von Hofacker, der den Aufstand zum 20.Juli in Paris organisierte, einem Mann, der erst Nazi, dann Widerständler war. Er erinnert sich, dass die Nazis die Kinder der Hingerichteten in einem Kinderheim in Sachsen zusammenführten, dort durften sie ihre Familiennamen nicht nennen. Christian Weisenborn geht mit für diesen Film mit einigen einer Protagonisten auch an die historischen Stätten, etwa an die Gedenkstätte Plötzensee. Mit Axel Smend und Alfred von Hofacker betreten sie den Saal des ehemaligen Volksgerichtshofs, wo ihre Väter zum Tode verurteilt wurden. Dazwischen montiert der Autor Szenen mit dem hyperventilierenden Richter Roland Freisler – die Bilder zeigen aber vor allem die Würde und die Courage der Angeklagten. „Heute geht es um meinen Kopf. Morgen wird es um ihren Kopf gehen“, sagte Cäsar von Hofacker zu Freisler. Was für ein Mut.

Ein zentrales Thema von Weisenborns Film ist die Indienstnahme des Widerstands im Kalten Krieg. Die DDR nahm zunächst lange die „Rote Kapelle“ überhaupt nicht wahr, deutet sie dann später um zu einer kommunistischen Kundschaftertruppe, die Moskau per Funk mit kriegswichtigen Informationen versorgte. Hans Coppi jr hat herausgefunden, dass sein Vater nur einen einzigen Test-Funkspruch abgesetzt hat, mit tausend Grüßen an die Freunde.

Eine wichtige Rolle in der Bundesrepublik spielt der Militärrichter Manfred Roeder, der die Todesurteile gegen die Mitglieder der „Roten Kapelle“ verhängte (der Name „Rote Kapelle“ war eine Erfindung der Nazis, und anders als bei den Attentätern vom 20.Juli wurden die Prozesse geheim gehalten). Nach dem Krieg versuchten Günter Weisenborn, Adolf Grimme und Grete Kuckhoff, ihn vor Gericht zu bringen, aber da stand er schon unter den Fittichen des US-Militärgeheimdienstes CIC. Um sich selbst reinzuwaschen, entwickelte er ein Bild der „Roten Kapelle“ als einer von Moskau gesteuerten Truppe von Spionen – und Spione konnten getrost als „Landesverräter“ gebrandmarkt werden. Noch 1968 strickte der „Spiegel“ in einer zehnteiligern Serie an diesem Bild weiter. So sorgte Roeder auch nach dem Krieg noch dafür, dass die Kinder der Widerstandskämpfer gesellschaftlich diffamiert wurden. Die Anklage gegen den furchtbaren Juristen wurde von der Staatsanwaltschaft Lüneburg verschleppt, er konnte seine reichliche Pension verzehren und brachte es noch zum stellvertretenden CDU-Bürgermeister in seiner Heimatgemeinde. Die Nachfahren der Widerständler mussten in der Bundesrepublik um materielle Entschädigung kämpfen.

Geschichten mit viel geschichtlichem Hintergrund, der knapp miterzählt wird. Christian Weisenborns Film ist schlank und dicht erzählt und auch sehr persönlich seinen Protagonisten zugewandt. Die Gedanken der „Verräterkinder“, ihre Gefühle, ihre Erfahrungen in der eigenen Biographie stehen im Vordergrund, die Trauer, der anhaltende Schmerz. Sparsam eingesetzte Familienfotos konturieren ihre Väter und Mütter in wenigen Strichen, so dass man sich ein Bild machen kann. Besonders in Erinnerung bleibt ein kleiner Filmausschnitt von der Hochzeit der Weisenborns, ein schönes großes Fest – und ein Jahr später sind viele der Menschen, die da tanzen und sich vergnügen, ermordet.

Und da ist noch die Geschichte von Saskia von Brockdorff. Sie war sechs Jahre alt, als ihre Mutter in Plötzensee hingerichtet wurde. Die Mutter schrieb ihrer Tochter noch einen letzten Brief, der verschwand in den Archiven. Erst 63 Jahre später bekam die Tochter ihn in die Hand und sagt heute, ihr Leben wäre anders verlaufen, hätte sie diesen Brief als Jugendliche schon bekommen. Jetzt liest sie aus diesem Vermächtnis mit fester Stimme vor: „In mir ist eine wunderbare Ruhe und Klarheit“ schreibt Erika von Brockdorff und: „Ich habe den festen Glauben, dass mal eine Zeit kommt, wo man anders über mich und die vielen anderen denkt“. Das ist, 72 Jahre später, immer noch aktuell. Christian Weisenborns Film trägt dazu einen wichtigen Teil bei.

Verräter. Die Töchter und Söhne des Widerstands. Von Christian Weisenborn. ARD-Alpha, Mo 14.09.2015, 17.15-18.00 Uhr

www.wolfsiehtfern.de

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