Von Fritz Wolf
Er hat Saddam Husseins Massenvernichtungswaffen erfunden, die den USA als Begründung für den Irakkrieg 2003 dienten. Er war ein kleiner Chemie-Ingenieur, den der deutsche Geheimdienst hochpäppelte. Er war Curveball. Wer war er wirklich? Ein Film versucht, es herauszufinden. (3Sat, Mo 22.05.2017, 22.25-23.55) „Krieg der Lügen“ ist ein Zeitdokument ersten Ranges. Der Protagonist des Films heißt Rafed Ahmed Alwan, auch „Curveball“ genannt. Der irakische Chemie-Ingenieur schaffte es, von US-Außenminister Colin Powell zitiert zu werden mit der Aussage, Saddam Hussein verfüge über chemische und biologische Massenvernichtungswaffen. Das war der Beginn des Irak-Krieges 2003 und es war, wie wir heute wissen, eine Lüge. Wer ist dieser Curveball?
Der Filmregisseur Matthias Bittner hat über einen Zeitraum von drei Jahren mit Rafed Ahmed Alwan gesprochen, 50 Interviewstunden, und aus dessen Sicht sieht die Sache ganz anders aus. Er ist stolz darauf, einen Beitrag zum Sturz Saddams geleitet haben. Und die Informationen, die er weitergab – es waren eben die Informationen, wie sie von den Geheimdiensten gewünscht wurden. Zehn Jahre lang war Rafed Ahmed Informant unter Kontrolle des deutschen Geheimdienstes und spielte das Spiel aus falschen und richtigen Informationen, aus Wahrheit und Lügen.
Der Film offeriert eine merkwürdige Interviewsituation. Der Protagonist verspricht, die Wahrheit zu erzählen, nichts als die Wahrheit. Und doch wissen wir, dass er mit einer Lüge berühmt geworden ist, einer Lüge, die in einen Krieg geführt hat. Der Regisseur weiß natürlich um die fragile Glaubwürdigkeit seines Protagonisten und dessen Interessen. „Was ist für Sie Wahrheit?“ ist denn auch die erste Frage, die in den Film hineinführt und die Antwort zeigt schon, dass es kompliziert werden wird: „Ich kenne viele Wahrheiten“. Und dann doch das Versprechen: „Dieser Film ist die Wahrheit.“
Was stimmt an seinen Erzählungen, was nicht? Letzten Endes kommt es darauf aber gar nicht an. Gar nicht auf die Person. Sondern auf die politischen Mechanismen, in denen Politik sich der Geheimdienste bediente und diese sich ihrer Informanten, so wie sich umgekehrt die Informanten wiederum der Geheimdienste bedienten. Curveball hat davon profitiert, bekam Wohnung, Geld, einen deutschen Pass. Das alles streitet er gar nicht ab. Stellt aber dann selbst wieder eine der entscheidenden Fragen: „Ist es wirklich möglich, dass ich kleiner Chemieingenieur so schlau bin, dass ich die Geheimdienste der Welt betrügen kann?“ Da ist etwas dran: Die Wahrscheinlichkeit ist auf seiner Seite. Er kann das nicht alles allein gemacht haben.
Man hört sich das als Zuschauer mit wachsender Skepsis an, irritiert von diesem Wechselspiel von Frage und Antwort, von ausweichenden Gegenfragen, Schulzuweisungen: „Der Geheimdienst ist eine Krake. Sie haben ihre Arme überall“. Und die Lügen über die angeblichen Massenvernichtungswaffen? Die dienten nur, den Sturz Saddam Husseins ins Werk zu setzen. Und dann, beklagt er, hätten die Geheimdienste ihn ihn fallen gelassen. Als er enttarnt wurde, lud man alle Kritik auf ihn ab, beklagt er: „Ich bin der einzige Verlierer der Operation“.
„Krieg der Lügen“ ist ein irritierender Film, der einen sehr beschäftigt, eben weil er keine einfachen Wahrheiten präsentiert, sondern fast so etwas wie ein Vexierspiel. Vermutlich weiß der Regisseur auch, dass es keine Auflösung mehr geben wird in diesem Gewirr aus Lügen, Intrigen, Halbwahrheiten, Interessen. Das Gespräch mit Rafed Ahmed Alwan, geführt in einem undefinierbaren Ort, der aussieht wie eine Kreuzung zwischen Studio und Fabrkikhalle, liefert diese Einsicht – es ist auch das Zentrum des Films. Manchmal führt der Regisseur es wie ein Verhör, dann wieder sehr vorsichtig, um seinen Protagonisten nicht aus dem Film zu schießen.
Und um nicht alle Last auf dem Gespräch abzuladen, hat der Regisseur allerlei Szenen nachinszeniert, wie man das aus anderen Dokumentationen kennt. Alles irgendwie angedeutet, schattenhaft, angeschnittene Bilder. Dazu als dritte Ebene Nachrichtenmaterial aus dem Fernsehen verschiedener Länder, alles sehr schnell und flashartig geschnitten. Da ist ziemlich viel Füllstoff in den Bildern, auch nicht wenige Manierismen. Der Film erträgt das, weil das Gespräch so unglaublich ist wie überhaupt der ganze Vorgang.
„Zeit der Lügen“ ist ein Abschlussfilm der Filmhochschule Baden-Württemberg in Ludwigsburg – und schon allein von daher eine bemerkenswerte Leistung.
„Zeit der Lügen – Curveball und der Irakkrieg “ von Matthias Bittner“, Noch in der Mediathek der ARD