„Göttliche Lage“. Von Ulrike Franken und Michael Loeken (Phoenix, 13.05.2017, 22.30 – 00.10 h)

Von Fritz Wolf

Über fünf Jahre lang haben die beiden Autoren ein besonderes Beispiel für den Strukturwandel im Ruhrgebiet beobachtet, vom Stahlwerk Phoenix-Ost zum Phoenix-See. Aus Industriebrache wird ein Freizeitgebiet. Ein Dokumentarfilm zum Staunen. Phoenix, 13.05.2017, 22.30 – 00.10  (gute Alternative zum normalerweise öden Samstag-Abend-Programm)  .„Göttliche Lage“ ist ein Film der Gegensätze. Hier die abgewohnte Straße im alten Dortmunder Stadtviertel Hörde. Stillgelegte Geschäfte, kleine Kioske, verfallende Fassaden. Der Stadtpolizist Wegner beobachtet das Geschehen, notiert den Verfall, plaudert mit den Anwohnern und macht sich so seine Gedanken über soziale Gegensätze. Dort die Modelle und Werbematerialien der Stadtplaner, die an die Stelle der alten die neue Stadt bauen wollen, mit neuen Menschen natürlich. Die besichtigen schon mal die Grundstücke, auf denen sie mal wohnen werden, mit Seeblick natürlich, in göttlicher Lage. Dazwischen die Kiebitze vom Bauzaun, die aus einem Theaterstück von Samuel Beckett kommen könnten und das Geschehen von der Seite kommentieren.

„Göttliche Lage“ ist eine Langzeitbeobachtung, die uns erlaubt, den Strukturwandel beim Wandeln zu beobachten. Wie etwas verschwindet und wie etwas entsteht. Phoenix aus der Asche, in vielerlei Hinsicht. Man kann zusehen, wie die Ideologie der Freizeitgesellschaft über alte Denkformen, redlich erworbene Ansprüche und insgesamt gewachsene Strukturen hinwegbügelt. Die Marketingmenschen hätten die Thomasbirne aus dem Stahlwerk gern sichtbar in den See versenkt, um den Untergang der Industrie zu symbolisieren. Dann setzt sich aber am Ende der Heimatverein durch, der möchte, dass Menschen dieses stählerne Monster noch anfassen können, im Wortsinn begreifen, wie damals sowas noch zusammengenietet wurde. Architekten reichen großartige Entwürfe ein, bis jemandem auffällt, dass es so viele Millionäre, die diese tollen Villen bewohnen könnten, in Dortmund gar nicht gibt.

Man kann es aber auch visuell begreifen, was Strukturwandel bedeutet. Da steht noch diese alte Straße mit den alten Bewohnern, den leerstehenden Wohnungen, den geschlossenen Geschäften. Ihnen wird die neue Architektur und Infrastruktur davorgesetzt: Sie verschwindet aus unserem Blick. Einem der neuen Seebewohner fällt noch auf, dass sich den neuen Restaurants am Wochenende allerlei merkwürdiges Volk herumtreibt, unter der Woche ist man unter sich. Und die Kioskbesitzerin Anna hat den Braten gerochen und ihr Geschäft noch rechtzeitig aufgegeben, ehe sie auf einem Schuldenberg sitzen bleibt; dass keiner der Neubewohner je in ihren Kiosk einkaufen gekommen wäre, dessen ist sich sicher.

„Göttliche Lage“ ist ein großartiges Lehrstück, mit wunderbarem Gespür für die sozialen Umbrüche, mit klarem Auge für das, was vor sich geht. Und weil das so offensichtlich, so öffentlich geht, kann man diesen Film auch so lesen, dass das Leben manchmal angewandter Surrealismus ist, grotesk, absurd, komisch. Ebensogut könnte hier irgendwann König Ubu auftauchen, am besten in der Stadtverwaltung, wo man Dada schon aufs Türschild schreiben könnte. Die anarchistischen Kanadagänse, die in den Planungen nicht vorgesehen waren, aber vorzeitig den See besiedeln und den Planern in den glasklaren sauberen See scheißen. Die Wildbader und Wildgriller, gegen die offenbar mit einem Massenaufgebot an Verbotsschildern auch nicht anzukommen ist. Und dann haben Stadt und Entwicklungsgesellschaft zur Eröffnung auch noch Larry Hagman einladen, den Boss aus „Dallas“, der offensichtlich schon nicht mehr weiß, was er hier eigentlich soll. Man sieht das alles, kriegt den Mund nicht mehr zu und denkt: Die Welt ist irre.

„Göttliche Lage“ ist der dritte Teil einer filmischen Dramaturgie des Ruhrgebiets, den die Autoren nun vorlegen. Erster Teil ist der mehrfach preisgekrönte Film „Losers and winners“ über die Verlagerung einer Kokerei nach China, zweiter Teil „Arbeit. Heimat. Opel“ über die Ausbildung junger Menschen bei Opel im Bochum, in einer Zeit, da sich die Schließung des Werks schon anbahnte.

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