Kristalnaach und AfD-Parteitag

Mitunter erhellt der Blick auch in die Boulevardpresse. Im Kölner Express war ein Beitrag von Wolfgang Niedecken zu lesen, dem Musiker, Maler und Frontmann von BAP. Sein Titel: Darum steht unsere Zivilisation auf dem Spiel. Niedecken setzt sich mit der aktueller Politik auseinander, wenige Wochen nach der Trump-Wahl und wenige Wochen vor dem Bundesparteitag der AfD im Kölner Maritim-Hotel.

In dem Beitrag heißt es unter anderem: “Es geht schon damit los, dass man sich über den Begriff ‘Populismus’ im Klaren sein sollte. Die Populisten, die ich meine, haben Kreide gefressen. Sie belügen die Wähler indem sie einfache Lösungen für komplizierte Probleme vorgaukeln, weil sie auf diese Weise an die Macht kommen wollen.”

“Demokratie kann etwas entsetzlich Mühsames sein, es ist eine zerbrechliche Gesellschaftsform, aber bisher ist der Menschheit noch keine Bessere eingefallen. Wir sollten sie behüten wie einen Schatz. Demokratie funktioniert nur dann, wenn sich die Wähler wirklich mit dem beschäftigen, worüber sie dann (hoffentlich) abstimmen. Politische Bildung ist unerlässlich, weil man sonst Gefahr läuft den Rattenfängern auf den Leim zu gehen. Und noch eins: Wir müssen alle deutlich mehr an einem Strang ziehen, denn genau genommen steht unsere Zivilisation auf dem Spiel. Jeder muss da anpacken, wo es Sinn macht.”

Auf dem 1982er Album von BAP gibt es ein “alptraumartiges Lied”. „Kristallnaach“ ist leider nach 35 Jahren immer noch brandaktuell. “‘It’s all in the song’ (Es steckt alles im Lied) hat Literaturnobelpreisträger Bob Dylan schon in den 60er Jahren gesagt. Und tatsächlich: Der Text von ‘Kristallnacht’ drückt wirklich alles aus, was ich als Singer-Songwriter zum AfD-Parteitag im Kölner Maritim-Hotel zu sagen habe.”

 

Kristallnacht (auf hochdeutsch)

Es kommt vor, dass ich meine, da klirrt was,

dass sich irgendwas in mich verirrt hat.

Ein Geräusch, nicht mal laut,

manchmal klirrt es vertraut,

selten so, dass man’s direkt durchschaut.

Man wird wach, reibt die Augen und sieht

in ’nem Bild zwischen Breughel und Bosch

keinen Menschen der noch was auf Sirenen gibt,

weil Entwarnung nur halb soviel kostet.

Es riecht nach Kristallnacht.
In der Ruhe vor’m Sturm, was ist das?

Klammheimlich verlässt wer die Stadt

Hon’ratioren incognito hasten vorbei,

offiziell sind die nicht gern dabei,

wenn die Volksseele – allzeit bereit-

Richtung Siedepunkt wütet und schreit,

„Heil, Halali“ und grenzenlos geil

nach Vergeltung brüllt, zitternd vor Neid,

in der Kristallnacht.
Doch die alles, was anders ist stört,

die mit dem Strom schwimmen, wie’s sich gehört,

für die Schwule Verbrecher sind,

Ausländer Aussatz sind,

brauchen wen, der sie verführt.

Und dann rettet keine Kavallerie

und kein Zorro kümmert sich drum,

der pisst höchstens sein „Z“ in den Schnee

und fällt lallend vor Lässigkeit um.

Na und? Kristallnacht!
In ’ner Kirche mit Franz Kafka-Uhr,

ohne Zeiger mit Strichen drauf nur,

liest ein Blinder ’nem Tauben

Struwelpeter vor, hinter dreifach verriegelter Tür.

Und der Wächter mit Schlüsselbund hält

sich tatsächlich selbst für ein Genie,

weil er Auswege pulverisiert

und verkauft gegen Klaustrophobie,

in der Kristallnacht.
Auf dem Markt tagt das jüngste Gericht,

unmaskiert, heut’ mit wahrem Gesicht,

werden Steine gesammelt und Messer gewetzt

auf die, die der Lynch-Mob gehetzt.

Zum Beladen, nur flüchtig vertäut,

die Galeeren stehn längst unter Dampf

wird im Hafen auf Sklaven gewartet,

auf den Schrott aus dem ungleichen Kampf

aus der Kristallnacht.
Da, wo Darwin für alles herhält,

ob man Menschen vertreibt oder quält,

da, wo hinter Macht Geld ist,

wo „stark sein“ die Welt ist,

von Kuschen und Strammsteh’n entstellt,

wo man Hymnen sogar auf dem Kamm bläst,

in barbarischer Gier nach Profit

„Hosianna“ und „kreuzigt ihn!“ ruft,

wenn man irgend ’nen Vorteil drin sieht

ist täglich Kristallnacht.

 

(© Foto: Stefan Brending, Lizenz: Creative Commons by-sa-3.0 de / 2016 BAP – Wolfgang Niedecken – by 2eight – DSC5439.jpg)