Von Fritz Wolf
Florian Opitz hat zu wenig Zeit. Immerzu muss er seine mails checken. Wenn er oben auf seiner To-do-Liste eine Aufgabe abgehakt hat, sind unten fünf neue angewachsen. Er benutzt neueste Technik, die ihm helfen soll, Zeit zu sparen und je mehr Technik er einsetzt, umso weniger Zeit hat er. Ein Selbstversuch. (BR, 21.03.2017, 22.30-00.05)
Florian Opitz ist Filmregisseur und weil er weiß, dass es vielen geht wie ihm, hat er sich in einem Film auf die Suche nach der verlorenen Zeit gemacht. Dabei kann er seine Versuche, eine individuelle Lösung zu finden, schnell abhaken. Zeitmanagement-Seminare kosten viel Geld und bringen nichts. Der Burnout-Experte rät zu baldigem Ausstieg aus dem Hamsterrad. Der Zeitforscher macht darauf aufmerksam, dass Beschleunigung doch ein gesellschaftliches Problem sei.
Also macht der Autor sich auf die Suche nach den Hochbeschleunigten und den Entschleunigten dieser Welt. Gespenstisch seine Besuche in der Londoner Finanzwelt. Die Nachrichtenagentur Reuters setzt Wirtschaftsmeldungen im Sekundentakt ab, damit Finanzspieler aus kleinsten Zeitvorsprüngen Profite schlagen können. Aber auch das ist schon ein Modell von gestern. Im computergesteuerten Börsenhandel werden Kauf- und Verkaufsentscheidungen im Mikrosekundenbereich gefällt. Die Branche fährt auf Autopilot. Der Mensch kann abgeschafft werden.
Fündig wird Opitz auch bei den Entschleunigten. Ein ehemaliger Manager von Lehmann-Brothers betreibt jetzt eine gemütliche Almhütte und hat zu sich gefunden. Ein Ex-Textilunternehmer kauft in Patagonien riesige Länder, um sie der Industrialisierung zu entziehen. Beide hatten freilich ihre Schäfchen vorher schon im Trockenen und beweisen erst mal nur, dass man sich den Ausstieg auch leisten können muss. Opitz trifft auf Schweizer Bergbauern, die nicht mal eine Uhr brauchen und selbstbestimmt über ihre Zeit verfügen: die dauert freilich als Arbeitszeit von fünf Uhr morgens bis acht Uhr abends. Schließlich fährt er in den Himalayastaat Bhutan, der als einziger Staat der Welt das Bruttosozialglück als Ziel in der Verfassung stehen hat; freilich sind die Einwohner auch bitterarm.
Kronzeuge für die Beschleunigung als Systemfrage ist der Soziologie Hartmut Rosa. Er verweist auf Kapitalismus und allumfassende Wettbewerbslogik und spricht von einem sich selbst beschleunigenden System. Er formuliert auch die Schlüsselfrage des Films: warum werden eigentlich keine Alternativen mehr gedacht?
Da freilich muss auch der Film und sein Autor passen. Einen Generalschlüssel gibt es nicht. Die Beispiele aus der Welt der Entschleunigten sind kaum verallgemeinerbar. Bedingungsloses Grundeinkommen scheint dem Autor noch als einer der vielversprechendsten Modelle, aus der zerstörerischen Wettbewerbslogik herauszukommen.
Von seiner Suche nach der verlorenen Zeit erzählt Opitz in der Ich-Perspektive. Gleichwohl ist das kein Film über seine persönliche Zeitnot, sondern er öffnet den Blick auf die gesellschaftliche Ebene. Er erzählt anekdotisch und mit leichter Hand, was bei einem so schweren Stoff durchaus vergnüglich ausfällt. Manchmal stellt der Autor sich naiver als er ist und seine Fragerei kann auch nerven. Besonders sympathisch wiederum ist, dass er nicht wie einer dieser Besserwisser auftritt, die sich zunehmend in den Fernsehreportagen breitmachen. Sondern als ein Fragender, der sich seiner eigenen Widersprüche sehr wohl bewusst ist. Auf der Suche nach Einklang mit der Natur hat er viele Tonnen Kerosin mitverflogen und seinen Sohn, um den er sich doch mehr kümmern wollte, hat er während der Dreharbeiten noch weniger gesehen als sonst. Als Denkanstoß jedenfalls funktioniert der Film ziemlich gut. Die Lösung, wo wir unsere Zeit wieder herkriegen, kann nicht im Film liegen, sie muss in unseren Köpfen heranreifen.
Speed – Auf der Suche nach der verlorenen Zeit. Von Florian Opitz.
BR, 13.01.2015, 22.45 – 00.20 Uhr
http://www.speed-derfilm.de;