Wahlrecht: Warum Nicht-EU-Ausländer kommunal wählen sollten

 

Dem Vorwärts entnehmen wir das nachfolgende Interview von Kai Doering, dem stellvertretenden Chefredakteur,  mit Hussien Khedr, dem Integrationsratsvorsitzenden der Gemeinde Hiddenhausen und stellvertrende Vorsitzenden der AG Migration und Vielfalt der SPD in Nordrhein-Westfalen, als Anregung zu einer Debatte im kommunalen Feld.

Am Mittwoch ist der Vorstoß der Landesregierung in Nordrhein-Westfalen Nicht-EU-Ausländern das kommunale Wahlrecht zu ermöglichen am Widerstand der CDU gescheitert. Warum das der Integration schadet und Demokratiefeinden nutzt, erklärt AG-Migrationsvorstand Hussien Khedr.

Wie groß ist das Vertrauen von Migranten in die deutsche Politik?

Es kommt darauf an, von welchen Migranten die Rede ist. Allzu häufig entscheidet die Herkunft darüber, ob man an der Gesellschaft beteiligt ist oder nicht. Wer nicht beteiligt ist, fühlt sich ausgegrenzt und ausgeschlossen. Ihm fällt es schwer, Vertrauen aufzubauen.

Welche Möglichkeiten haben Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit überhaupt, sich politisch an der Gesellschaft zu beteiligen?

Die Möglichkeiten sind sehr unterschiedlich. Besonders macht sich das beim kommunalen Wahlrecht bemerkbar. Hier gibt es Migranten erster und zweiter Klasse. Wer aus einem Land außerhalb der EU kommt, ist vom kommunalen Wahlrecht ausgeschlossen, obwohl er vielleicht schon seit über 40 Jahren in Deutschland lebt und in die kommunale Mitgestaltung einbezogen werden müssten. Nicht-deutsche EU-Bürger, die drei Monate in Deutschland leben, dürfen dagegen bei kommunalen Wahlen wählen. Somit können sie schon aktiv in das politische Geschehen eingreifen. Eine solch starke Diskrepanz zwischen Wohn- und Wahlbevölkerung verringert die politische Legitimation gewählter Volksvertreterinnen und Vertreter und führt zu einer immer weiter ansteigenden Politik-Verdrossenheit.

Was bedeutet das für die Menschen aus Drittstaaten?

Sie arbeiten, bezahlen Steuern – bestenfalls engagieren sie sich ehrenamtlich für die Gemeinden und Kommunen, aber wenn es um kommunale Entscheidungen geht, müssen sie warten, dass andere für sie entscheiden. Wie kann ein „Wir-Gefühl“ entstehen, wenn schon in der Kommune, dem ersten Berührungspunkt und der ersten Verwaltungsebene, viele Menschen in wichtige Entscheidungsprozesse nicht eingebunden werden?

Wie sähen zeitgemäße Beteiligungsmöglichkeiten für Menschen mit Migrationshintergrund aus?

Am besten wäre ein kommunales Wahlrecht unabhängig davon, ob jemand EU-Bürger ist oder nicht. Ich plädiere für ein kommunales Wahlrecht für Menschen mit Niederlassungserlaubnis. Die Niederlassungserlaubnis wurde mit dem Zuwanderungsgesetz als Aufenthaltstitel neben der Aufenthaltserlaubnis eingeführt. Im Gegensatz zur Aufenthaltserlaubnis handelt es sich dabei aber um einen unbefristeten Aufenthaltstitel. Die Niederlassungserlaubnis berechtigt zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit, ist räumlich unbeschränkt und darf außer in durch das Aufenthaltsgesetz zugelassenen Fällen nicht mit einer Nebenbestimmung versehen werden. Im aktuellen Koalitionsvertrag  hat die nordrhein-westfälische Regierung solch ein Wahlrecht auch als klares politisches Ziel formuliert. Leider konnte es wegen des Widerstands der CDU nicht umgesetzt werden. Der Landtag von Schleswig-Holstein hat 2013 bereits den Beschluss zu einer entsprechenden Bundesinitiative gefasst und die SPD-Baden-Württemberg hat denselben Beschluss auf einem Landesparteitag 2014 gefasst. Renommierte Verfassungsrechtler sind sich im übrigen einig, dass die Einführung des kommunalen Wahlrechts durch eine Änderung der Landesverfassungen, also auch ohne die Änderung des Grundgesetzes, möglich wäre. Trotzdem sollte das Ziel aber eine deutschlandweite Lösung sein.

Vor einigen Monaten haben Sie eine Petition zum kommunalen Wahlrecht für Nicht-EU-Ausländer an den Bundestag gestellt. In der Begründung sagen Sie, solche eine Maßnahme würde auch vor einem „Wachstum der AfD“ schützen würden. Wieso ist das so?

In meiner Heimat Ägypten würden viele Menschen gerne wählen gehen. Aber dort müssen sie auf die Straße gehen, um dafür zu kämpfen. Und manchmal bezahlen sie dafür mit ihrem Leben. In Deutschland ist es andersherum. Das Wahlrecht für Deutsche oder EU-Bürger ist gesichert und trotzdem liegt die Wahlbeteiligung manchmal nur bei knapp 50 Prozent. Die Nicht-Wahlberechtigten sind von jedem Ergebnis betroffen. Sollten sie die Möglichkeit haben, zu wählen, würden sie sich mit ihrer eigenen Stimme für die demokratischen Parteien vor den rechten Parteien schützen.

Kommentare (6)

    • Schawohl
    • 19.03.17, 15:43 Uhr

    Wenn deutsche Wähler diese Parteien nicht mehr wählen, dann muss man sich die Frage stellen, warum das so ist. Vielleicht sind die etablierten Parteien aufgrund qualitativ ungeeigneter Politiker in der Spitze nicht in der Lage vernünftige Lösungen für komplexe Fragestellungen zu finden. Das wird auch durch einen emotionlal geladenen Versuch nicht besser, seinen eigenen Wählerverlust durch leicht beeinflussbare Ausländer zu erhöhen. Das gilt vor allem für Verteil-Parteien, die gerne Geschenke verteilen, die andere erarbeiten mussten. Und wenn man irgendwo zu Besuch ist, dann man entscheidet man auch nicht mit, was auf den Tisch kommt.

    Jeder, der sich selbst integriert, und damit bewiesen hat, dass er gerne Deutscher sein will, kann dann auch die deutsche Staatsbürgerschaft beantragen.

    • Sehr geehrter Herr Schawohl.

      Sie schreiben: “Jeder, der sich selbst integriert, und damit bewiesen hat, dass er gerne Deutscher sein will, kann dann auch die deutsche Staatsbürgerschaft beantragen.”?

      Wenn es so einfach wäre. Zum Beispiel möchten gerade hier in Wermelskirchen so einige gerne die deutsche Staatsangehörigkeit. Alle Voraussetzungen sind gegeben, wie Nachweise über die Sprachkenntnisse, Ausbildungsplatz, dadurch unabhängiges Leben, eigene Wohnung, Freundeskreis, Vereinsmitgliedschaften usw. Nur eine Voraussetzung nicht… Wartezeit. Was soll das bitteschön? Wie soll dann jemand die deutsche Staatsangehörigkeit beantragen?

      Es müssen viele Jahre abgesessen werden um diese zu beantragen.

      Oder haben Sie einen Tipp um diesen Vorgang zu beschleunigen?

    • Schawohl
    • 20.03.17, 15:35 Uhr

    @Herr Balschuweit: Da bin ich bei Ihnen. Darüber muss man dann im Einzelfall reden und die Bedingungen festzurren. Andere Länder haben ebenfalls Kriterien. Und die Zeit zählt dazu und das aus guten Gründen.

    Sie erwähnen Ausbildungsplatz und Freundeskreis u.ä.. Das ist sicherlich ein guter Start, aber so etwas reicht alleine nicht aus. Ich schätze, dass beispielsweise alle von “Willkommen in Wermelskirchen” betreuten “Flüchtlinge” den “Freundeskreis” nachweisen können, der ein oder andere wurde vielleicht bereits in einem Verein angemeldet und begann auch sogar eine Ausbildung. Wenn man jetzt noch ein wenig deutsch könnte, wären die Kriterien erfüllt.
    Meine Kriterien u.a.:
    Es muss sichergestellt sein, dass der Bewerber sich und seine Familie auf absehbare Zeit auch selbst versorgen kann. Eine begonnene Ausbildung, womöglich noch als Gefälligkeit oder staatlich in besonderer Weise subventioniert, reicht nicht aus.

    Ein Einwanderungsgesetz muss her. Das fordert die AfD seit Gründung 2013. Es hätte längst alles klar sein können.

  1. Herr Schawohl.

    Natürlich kann ich wie immer nur für die mir persönlich bekannten Personen sprechen und bei denen ist die deutsche Sprache schon ausreichend nachgewiesen und zertifiziert, um die deutsche Staatsangehörigkeit zu erlangen. Dafür gibt es Vorschriften, die eingehalten werden. Dieses Kriterium ist also schon erreicht.

    Zudem sind Ausbildungsplätze in Berufen mit Fachleutemangel ein sehr guter Start. Ein besserer übrigens, als Abitur und danach Kasse bei Aldi. Andere haben bereits feste Arbeitsplätze.

    Gefälligkeiten und staatliche Hilfen gibt es in dem Bereich hier keine. Falls Sie allerdings einen Weg kennen solche zu beantragen, würde mich das interessieren.

    Zur Vereinsmitgliedschaft ist noch zu sagen, dass so mancher Verein durch die neuen Bürger einen Gewinn gemacht und nicht nur ein Mitglied dazu gewonnen hat.

    Die ANERKANNTEN Flüchtlinge, oder die mit Ausbildungsduldung, von denen ich spreche, haben ein bis zu fünf jähriges Bleiberecht. Danach dann die Niederlassungserlaubnis (unbegrenzte Aufenthaltsgenehmigung) und leider erst danach eine Möglichkeit um die deutsche Staatsangehörigkeit zu beantragen.

    Meiner Meinung nach würde die frühere Möglichkeit, die deutsche Staatsangehörigkeit beantragen zu können, nur Vorteile bringen. Als ersten Vorteil das noch größere Zugehörigkeitsgefühl zu unserem Land. Identifikation. So würde “Integration”, oder wie man ein gutes Zusammenleben sonst bezeichnen könnte, beschleunigt werden.

    Ein zusätzliches Einwanderungsgesetz, unabhängig und zusätzlich zu Flucht und Asyl, wäre sicher gut.

    • Schawohl
    • 21.03.17, 1:02 Uhr

    Dieser “Fachkräftemangel” ist auf den ersten Blick eine gute Begründung für jede Art Zuwanderung.

    Ich würde mir lieber ein Wort für “zu unseren Bedingungen finden wir hier niemanden” wünschen.
    ich habe eigene Erfahrung mit Leuten, die teilweise studiert haben oder top ausgebildet waren, und hier absolut keinen Job finden konnten. Sie mussten in andere Regionen Deutschlands ziehen. Das trifft auch für viele ältere Fachkräfte zu. Sehr erfahrene Leute, jahrzehntelang in guten Positionen werden nach “internen Umstrukturierungsmaßnahmen – Ausgliederungen in immer kleiner Einheiten” irgendwann freigesetzt und kurz danach soll es dort Fachkräftemangel geben. Fachkräfte putzen im Krankenhaus – da gibt es Mangel. Warum wohl? Bestimmt nicht, weil die Arbeit zu kompliziert ist. Dem erfahrenen Arzt aus Griechenland muss man in den GmbH-Krankenhäusern weniger anbieten, als deutschen Jungärzten nach dem Studium. Alles Beispiele, die aber mit dem propagierten Mangel absolut nichts zu tun haben. Wieviele arbeitslose Jugendliche gibt es alleine in der EU? Vermutlich sind sie auch noch zu teuer. Beim Bäcker: Heute gibt es Päckchen mit Fertig-Teig und ein Ofen mit Klingel. Wenn es klingelt, holt es jemand raus. Für diese Arbeit könnte man theoretisch einen Schimpansen trainieren. Man möchte für diese Arbeit einfach möglichst nichts mehr bezahlen. Das ist das Problem. Um niedrigste Preise durchzusetzen, braucht man viele Bewerber, Konkurrenz. Dann lässt man sich als gut rechnendes Unternehmen die Ausbildungskosten in irgendeiner Form fördern, lässt sich auch noch feiern, und nach der Ausbildung wird der Azubi nicht übernommen und fällt für alle Ewigkeit ins Sozialnetz, da man für das gleiche oder weniger Geld 3 Azubis möglichst auch noch gefördert bekommt usw. Das trifft natürlich nicht für jeden zu, aber es sind eben Möglichkeiten, die sich überall auftun, bevor die Roboter übernehmen.Mag noch dauern – aber der Trend ist vorgezeichnet.

    ich schweife vom Thema ab, aber solche Zusammenhänge spielen schon eine Rolle bei der Bewertung was für “Forderungen” von wem, wann, warum unterstützt werden.

    Gerade auch unter diesen Gesichtspunkten – Zukunft – Planungssicherheit. Fragen Sie sich selbst, ob sie sicher sind, ob sie in 5 Jahren noch einen Job haben. Als Beamter vielleicht aber sonst? Warum haben wir zu wenig Kinder? Weil die Menschen kein Vertrauen in eine Zukunft haben … und Zukunft ist zuerst Job!

    Was jetzt die Staatsangehörigkeit bzw Wahlrecht angeht, sollte das der zweifelsfreie Abschluss der Integration, sogar der Assimilation sein und keinesfalls lediglich ein Ansporn (mit lebenslanger Garantie), sich weiter Mühe zu geben. Man sollte die Messlatte sehr hoch legen, damit dieses Privileg auch wertgeschätzt wird. Und natürlich auch den worst case berücksichtigen, nämlich was uns ein “Staatsangehöriger” an Aufwand und zu erbringender Arbeitsleistung kostet, wenn wir lebenslang oder zum Teil auch über Nachfolge-Generationen den Lebensunterhalt finanzieren müssen. Und das kann passieren, wenn schön beginnene Geschichten so ähnlich ausgehen, wie oben beschrieben. Kulturelle Unsicherheiten lassen wir mal ganz außen vor. Wer weiß schon wie sich der moderateste Moslem verhält, wenn wenig moderate Moslems Einfluss auf ihn nehmen …

    Komplexes Thema – wir sollten auf uns aufpassen!

    • Herr Schawohl,

      und meine Erfahrungen mit dem Fachkräftemangel begründe ich auf Kontakten zu Industriebetrieben und Handwerksbetrieben, welche keine Nachwuchs für ihre Ausbildungsplätze fanden.

      Diese kamen schon in der Vergangenheit explizit auf mich zu und fragten nach entsprechenden jungen Leuten.

      Wir haben so nun schon einige Stellen besetzen können.

      Quasi eine Win-Win-Situation.

      Man muss da glaube ich auch unterscheiden, ob jemand mit Studium einen Job oder eine Ausbildung in einem Handwerksbetrieb anstrebt, oder ob dies jemand mit Hauptschulabschluss oder Realschulabschluss macht. Die Arbeitgeber machten da ja in der Vergangenheit so ihre Erfahrungen.

      Ich weiß nicht wie sich der Arbeitsmarkt entwickelt. Bin ja kein Hellseher. Nur wenn jemand etwas im Handwerk oder der Industrie im Bedienen von Maschinen gelernt hat, dann findet er/sie auch eine Arbeit.

      Eine Staatangehörigkeit ist meiner Meinung nach jedoch kein Privileg. Es ist Zufall wo wir geboren werden. Ein Privileg machen wir höchstens selbst daraus, wenn wir anderen Menschen ihre Menschenrechte nicht zusprechen.

      Welche Ängste Sie persönlich vor Muslimen haben ist mir bekannt. Deshalb verstehe ich Ihre Reaktionen diesbezüglich. Jedoch appelliere ich weiterhin an Sie, den Menschen als Mensch zu sehen.

      Sie/Wir haben Einfluss auf ihr/unser Umfeld und sie/wir werden ernten was sie/wir Sähen.

      “Komplexes Thema – wir sollten auf uns aufpassen!”

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