Von Fritz Wolf
Ein Dokumentarfilm über die moderne Arbeitswelt, der den Zuschauern einiges abverlangt – vor allem, sich selbst ein Urteil zu bilden. (Arte, 4.09.2016, 06.25-08.00)
Als Unilever 2010 einen Neubau in Hamburg hinstellte, waren die Anforderungen an die Architekten genau beschrieben: transparent sollte das Gebäude sein, alle Formen von Kommunikation ermöglichen – und, widersprüchlich genug, den Menschen, die drin arbeiten, das Gefühl geben, nicht zu arbeiten. Eine kühle Atmosphäre aus Glas, Stahl und Beton, darin aber lagern, eingebettet wie Inseln, einige Wohnzimmermöbel; die Angestellten sollen es heimelig haben.
„Work hard, play hard“ ist der Titel eines Dokumentarfilms von Carmen Losmann, der den Kulturwandel in der Arbeitswelt beschreibt. Er betrachtet die moderne Arbeitswelt aus der Perspektive, welche Instrumente im Personalmanagement eingesetzt werden: Outdoor-Teamtraining, Assessment Center, Talentprofile, Change-Prozesse, tägliche Meetings. Wer zu viel nervös lacht, wie die Bereichsleiterin beim internen Assessment-Center, hat schlechte Karten. Und ständig wird etwas abgefragt: Kompetenz, Potential, Talent. Externe Berater lenken diese Prozesse und hantieren dabei oft mit dem Aufbau von Angstszenarien.
Das alles mit dem Ziel, aus den Mitarbeitern so viel wie möglich herauszuholen. Jeder soll selbst wie sein eigener Unternehmer agieren und die Firmenziele zu seinen eigenen erklären. Stechuhren sind abgeschafft, die Angestellten sollen sich selbst zu Höchstleistungen motivieren. Eine Beraterin formuliert im Film, sie wolle die Unternehmensziele der Deutschen Post „in die DNA der Mitarbeiter implementieren“. Und all das in diesem Management-Neusprech von Challenge und Change, von Spirit und Flow, der so dynamisch wirken soll.
„Ich sehe das Berufsleben als Spiel“, erklärt die Mitarbeiterin im internen Assesment-Center. „Es erleichtert Dinge, wenn man über sich lachen kann.“ Um herauszufinden, welches Potential in der Belegschaft steckt, haben die Verantwortlichen der Firma Schott Solar ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zum Gespräch geladen. Mit dabei: Eine Managerin der Unternehmensberatung Kienbaum und zwei Kollegen. Auf dem Papier hätten Chefs oft die korrekten strategischen Entscheidungen getroffen, erklärt sie. Und doch geht es mit dem Geschäft nicht in die richtige Richtung. Deswegen wollen die Verantwortlichen in den letzten Jahren verstärkt herausfinden, welche Persönlichkeiten ihre Mitarbeiter eigentlich haben – Stärken und Schwächen inklusive. Dabei spricht die Beraterin von einer „kritischer Masse“ an Mitarbeitern, die für Firmen relevant sind. Neben Schott Solar zeigt „Work Hard – Play Hard“ auch andere Unternehmen, wie Tower Watson, DHL, Kienbaum, Accenture, Unilever oder Endress+Hauser. Sie alle haben eins gemeinsam: Veränderung. Entweder haben sie sich durch ein neues Arbeitsplatzkonzept verändert, wollen eine neue Unternehmenskultur einführen oder einfach mehr über Ihre Angestellten wissen. Sie erarbeiten Strategien, wollen Menschen mitnehmen und Prozesse implementieren. Das große Ziel lautet überall: Optimierung. Die Arbeitswelt ist einem ständigen Wandel unterworfen. Die Farbe der Bürowände („Braun erinnert zu sehr an zu Hause“) und die Auswahl der Möbel spielen dabei ebenso eine große Rolle wie der ständige Druck, noch besser zu werden, noch mehr zu optimieren.
„Work hard, play hard“ bekam 2014 den Grimmepreis. Hier die Begründung der Jury für diesen „überaus erhellenden Film“:
Was bedeutet die Arbeit für Sie? Broterwerb? Nun. Selbstverwirklichung? Besser. Die Möglichkeit, als Unternehmer im Unternehmen die gemessenen Kennzahlen jeden Tag mit Spaß überzuerfüllen und dabei die Umsatzsteigerung und den Börsenwert stets im Blick zu haben? Gut. Sie sind entwicklungsfähig.
Willkommen in der schönen neuen Arbeitswelt, die Carmen Losmann in „Work Hard, Play Hard“ in langen Einstellungen kommentarlos sich selbst darstellen lässt. Es ist eine Welt der Berater, Sanierer und „Change Agents“, in der einerseits alles von Nutzen ist, was man messen kann, und andererseits alles zu „Challengen“, was sich dem „Cultural Change“ als Widerstand erweist. Denn der Arbeitnehmer das Humankapital ist, nachdem alle Prozesse und Strukturen revidiert und optimiert sind, der hartnäckigste Brocken, wenn es um Wachstum geht. Jeden Tag soll, muss diese Ressource sich selbst besser erschließen.
Gehört haben wir von solchen Entwicklungen: Auswüchse der modernen Arbeitswelt. „Work Hard, Play Hard“ zeigt, dass die scheinbare Ausnahmeerscheinung Basis allgemeiner Arbeitsorganisation geworden ist. Ein lukratives Tummelfeld für die Heerschar der Optimierer, Personalentwickler, Trainer, Arbeitsplatzgestalter und Firmenarchitekten, die hier vor allem auch als nimmermüde Erfinder einer totalitären Sprache für Eingeweihte auftreten.
„Nonterritoriale Arbeitsplatzkonzepte“ und die „Net-und-Nest-Etage“ sollen den Arbeitenden davon ablenken, dass er arbeitet und im Idealfall einen Zustand des ungeplanten „Flow“ geplant herbeiführen. Leitung geschieht im „Führungsstil des unterstützenden Führens – reflektiv, empathisch, wertschätzend, alert, rational und direkt“. Sprachlich hochtrabend werden Visionen, Philosophien und Kulturen beschworen, in Wirklichkeit aber geht es für den Einzelnen darum, das Leben als immerwährendes „Assessment Center“ anzunehmen – Selbstoptimierung ist erster Glaubensgrundsatz. Dirk Lütters Kamera schafft dabei Bilder, die obwohl von distanziertem und beobachtendem Gestus überdeutliche, geradezu horrorfilmartige Spannung erzeugen.
Man fragt sich, wie Carmen Losmann all diese Jünger der ständigen Verbesserung dazu gebracht hat, sich so freimütig zu äußern. Merken sie nichts von der Menschenverachtung, die ihrem geschlossenen System eigen ist? Man höre auf, sich zu wundern. Diese „Leader“ sind als Speerspitze des „Change“ eins mit ihrem Tun.