Michael Fabricius hat am 19. Juni in der Welt unter dem Titel “Denkende Stadt”, nein, keinen Blick in die Zukunft geworfen, sondern von einer Stadt berichtet, die heute schon Zukunft ist. Santander in Spanien. Ein Beispiel.
Denkende Stadt
Santander in Spanien ist eine echte “Smart City”. Dort bestellen Abfalleimer die Müllabfuhr, und Laternen schalten sich ab, wenn niemand vorbeiläuft. In Deutschland kaum denkbar
Parkplätze. Es ging immer um diese drei Dutzend Parkplätze rund um den Hafen. Am Kai und in den engen Gassen der spanischen Hafenstadt Santander war alles verstopft, erinnert sich der IT-Wissenschaftler Luis Muñoz. Immer wieder kreuzten die suchenden Autofahrer durch die Straßen, in der Hoffnung, dass irgendwo doch noch etwas frei werden könnte. “Wir haben ein riesiges Problem damit”, hatte ihm die Stadtverwaltung gesagt, als Muñoz 2009 das erste Mal sein Konzept einer “intelligenten Stadt” vorstellte.
Es gab aber auch andere Probleme. Die Mülleimer quollen regelmäßig über, in den Grünanlagen wurde Wasser verschwendet. Und überhaupt – der ganze Busverkehr verlief immer wieder chaotisch. Für den Experten Muñoz von der Universität von Kantabrien im Norden Spaniens war das genau die passende Aufgabe. Denn Muñoz ist überzeugt davon, dass sich durch das Sammeln von Daten und durch Digitalisierung eine ganze Stadt deutlich effizienter machen lässt.
Santander gelang es schließlich, mit den Ideen von Muñoz und mit Geld der EU-Kommission sowie verschiedener internationaler Universitäten, in der Stadt rund 20.000 Sensoren zu verteilen. Sie wurden im Boden versenkt oder auf Busse montiert, nun füttern sie eine zentrale Kontrollstelle laufend mit Daten über die verschiedenen Vorgänge in der Stadt: So werden die Parkplätze in der gesamten City jetzt wie ein einziges riesiges Parkhaus organisiert. An entscheidenden Knotenpunkten stehen LED-Anzeigetafeln, die den Autofahrern zeigen, ob es sich überhaupt lohnt, in einen Straßenzug hineinzufahren. Der Verkehr fließt seither besser. An anderer Stelle werden Energie, Wasser und unnötige Arbeit gespart.
Die 175.000-Einwohner-Stadt im Norden Spaniens ist damit der einzige in Europa bekannte Ort, der den Trendbegriff “Smart City” nicht nur benutzt, sondern ihn auch mit Leben füllt. In vielen deutschen Großstädten wird zwar seit Jahren an Konzepten gefeilt, Kooperationen und Pläne werden geschmiedet. Doch passiert ist wenig. Es ist wie mit der seit fast fünfzehn Jahren häufig beschworenen Zukunft des Menschen in selbst denkenden, automatisch handelnden “Smart Homes”, in denen Fenster, Türen und Kühlschränke unser Leben einfacher machen. Die “Smart City” mit intelligenter Verkehrssteuerung und datengetriebenem Energie-Management ist hierzulande kaum mehr als eine Fantasie. Die Stadtregierung von Santander dagegen hat jetzt vorgemacht, wie es gehen kann.
Die 32-jährige Journalistin Cristina ist begeistert: “Mit einer App kann man seinen Parkschein bezahlen – und wenn er abläuft, kann man ihn direkt verlängern, ohne extra am Automaten eine Münze einzuwerfen”, sagt sie. Parkplatz-Apps gibt es auch in Deutschland. In Santander aber werden die Park-Daten gleich auch in die Zentrale weitergeleitet. Auf einem digitalen Stadtplan ist dann unmittelbar für alle Nutzer zu sehen, ob ein Platz frei wird. Zudem stellen im Stadtzentrum 400 Sensoren unter dem Asphalt der Straßen sicher, dass Autofahrer nicht mühevoll nach einem Parkplatz suchen müssen: Per GPS und Lichtsignalen werden sie zur nächsten Parkmöglichkeit dirigiert.
Parken, Parks, Müll. Die Technikrevolution in Santander geht inzwischen weit über Verkehrsleitsysteme hinaus. An den Straßenrändern etwa zeichnen Datenboxen in Größe eines Schuhkartons Wetterdaten auf. So erfährt die Stadtverwaltung, ob die Parks der Stadt genug Regen abbekommen haben und wann frisches Wasser aus Sprengern gebraucht wird. Auch die Mülltonnen melden, wann sie geleert werden müssen. Bald sollen außerdem Sensoren an Straßenlaternen dafür sorgen, dass es nachts nur noch dort hell beleuchtet wird, wo auch jemand unterwegs ist. Wenn es klappt, so die Hoffnung, spart die Stadt Stromkosten.
Die Vernetzung funktioniert so gut, dass andere Städte lernen wollen. Erst kürzlich empfing Muñoz eine Delegation aus Singapur. Auch Vertreter aus der US-Stadt Boston und dem dänischen Aarhus haben Interesse bekundet. “In einer “Smart City” greifen alle Dienste ineinander, wenn etwas passiert”, schwärmt Bürgermeister Íñigo de la Serna. “Wenn beispielsweise irgendwo ein Schlagloch auf der Straße auftaucht, wird dort die Beleuchtung intensiviert, die Bürger werden gewarnt und der Verkehr umgeleitet.” An der Universität können Bürger Vorschläge einreichen, welchem Problem sich die Stadt als Nächstes annehmen soll.
Der Bürgermeister räumt allerdings ein, dass die schöne neue Welt auch Gefahren birgt. Die Sensoren schüren Bedenken von Datenschützern. “Es gibt ein Datenschutzgesetz, dem wir folgen müssen”, sagt de la Serna. Vor allem aber macht die digitale Steuerung die Stadt angreifbar. Hacker zum Beispiel könnten sie lahmlegen.
In Deutschland ist derzeit nicht daran zu denken, dass Computer die Bewegungsdaten etwa von Fußgängern sammeln: Eingriff in die Privatsphäre. So kommt es, dass Hamburg seit zwei Jahren über eine intelligente Straßenbeleuchtung diskutiert, aber zu keinem Ergebnis findet. Im April 2014 unterzeichnete die Hansestadt ein “Smart City Memorandum of Understanding” mit dem Softwarehersteller Cisco. Die Weichen der Hafenbahn melden jetzt, wenn sie gewartet werden müssen. Abgesehen von der Verkehrssteuerung rund um den Hafen ist aber nicht viel passiert. Man arbeitet an einem “gesamtstädtischen virtuellen Bildarchiv” und hofft, dass Fahrzeuge bald mit Ampeln kommunizieren können. Auch Berlin hat eine “Smart-City-Strategie”, allerdings auch eine große Störquelle: das Breitbandnetz ist schlecht ausgebaut, es hat riesige Lücken.
Unterdessen versuchen Projektentwickler nun, die Bewohner von Neubauten zu vernetzen. So etwa in München, am “Schwabinger Tor”: einem Neubaugebiet mit neun Gebäuden, Wohnungen für 3000 Bewohner und Büros. Wer dort einzieht, kann auf einer Smartphone-App nachsehen, ob es Angebote in lokalen Geschäften gibt, ob Nachbarn Dinge tauschen möchten oder Pakete entgegengenommen haben. Oder ob irgendwo ein verfügbares Auto eines Carsharing-Unternehmens steht. Das “Schwabinger Tor” soll autofrei sein. Anders als in Santander wird es zumindest keine Parkprobleme geben.
(© Das Beitragsbild “Innenstadt und Kathedrale von Santander” stammen vom Autor Year of the Dragon und unterliegen der Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported Lizenz.)