Von Fritz Wolf
Filme von Ulrich Seidl kann man mögen, muss man aber nicht. Ich mag sie nicht, weil mir nicht gefällt, wie Seidl mit seinen Protagonisten umgeht. Aber es soll sich jeder sein Urteil bilden. Wie es in österreichischen Kellern zugeht, kann man jetzt „Im Keller“ sehen. (Arte, 15.07.2016, 01.15-02.20). Davor läuft mit „Der Ball“ noch ein früherer Film des Regisseurs, der auch schon die Handschrift trägt.
Nach eigenem Bekunden von Ulrich Seidl ist die Idee, die Keller der Österreicher filmisch zu inspizieren, schon viel früher entstanden, da wusste die Welt noch nichts von Natascha Kampusch und von Josef Fritzl. Dennoch wird sein Film daran gemessen werden, wie sehr er an das Assoziations- und Skandalisierungspotential dieser beiden Kriminalfälle rührt. Und Seidl hat da gleich nach dem vollen Repertoire gegriffen und präsentiert seine Funde in den aus seinen Filmen bekannten ausgetüftelten Tableaus.
Waffennarren, altneue Nazis und Leute, die es in ihren Kellern auf ihre Art treiben, das sind seine Protagonisten. Herr Ochs, der seine Frau vermutlich nur einmal im Jahr sieht, hat sich in seinem Keller sein Nazireich geschaffen. Schaufensterpuppen in Wehrmachts-Uniformen, Hakenkreuzfahnen, unzählige Nazidevotionalien und ein Hitlerbild, das ihm seine Freunde zur Hochzeit geschenkt haben. Eine größere Freude, sagt er, habe man ihm nicht machen können. In diesen Kellerräumen bläst er gekonnt das Englischhorn und probt und feiert da auch mit der Blaskapelle. (Zwei Abgeordnete, die zu dieser munteren Kellertruppe gehören, wurden nach diesem Film aus ihrer Partei geworfen, wenigstens das).
Dann sind da noch zwei Sorten Waffennarren. Herr Lang betreibt einen Schießkeller, wäre aber lieber Opernsänger geworden, was er so ausgiebig vorführt, dass man nicht richtig weiß, was eigentlich gefährlicher wäre. Ganz harmlos ist, damit verglichen, der Herr Manfred Ellinger, der seinen Keller mit Jagdtrophäen aus Afrika ausstopft und verkündet, fast alles Getier habe er auch verspeist, das Warzenschwein sogar als Wiener Schnitzel.
Und dann ist da drittens und aufs ausführlichste das Thema Sex. Das demonstriert ein schmalbrüstiger Herr neben voluminöser Dame im zu knappen Bikini. Erst weiht er uns, dann die Dame in die Geheimnisse seines unübertrefflich kräftigen Samenstrahls ein. Ferner treffen wir noch auf die masochistische Sozialarbeiterin Frau Sabine und die biedere Domina Frau Duchek, die sich Herrin nennt, samt ihrem nackten Herrn Duchek, der gern Klo und Bad mit der Zunge reinigt. Voller Stolz besteht sie auf Liebe und führt vor, wie sie ihren Sklaven an den Hoden aufhängt.
Manche mögen das ja pikant finden oder sonstwie aufregend. Hat man aber Seidls Masche erst einmal verstanden, wird der Film ziemlich schnell ziemlich langweilig. Das Skandalon verbraucht sich schnell und hinter ihm steht nichts als Leere. Es gehört zur österreichischen Kultur, sich in menschlichen Abgründen gut auszukennen, von Johann Nepomuk Nestroy bis Siegmund Freud, von Thomas Bernhard bis Helmut Qualtinger. „Im Keller“ ist kein Beitrag dazu. Was er zu zeigen hat, muss man, um etwas von menschlichen Abgründen heute zu verstehen, nicht gesehen haben.
Da hilft auch die Figur einer Frau nicht weiter, die leitmotivisch mehrmals in den Keller geht, wo sie lebensecht aussehende Babypuppen in Kartons lagert. Die holt sie gelegentlich heraus, knutscht sie ab und spricht mit ihnen. Diese Frau Alfreda Kiebinger hat tatsächlich eine solche lebensechte Babypuppe zu Hause, sie bewahrt sich aber in ihrer Wohnung auf. Dass der Regisseur sie für den Film in unser aller Leichenkeller geschickt hat, hat er erfunden. So viel Pointe muss sein.