Von Fritz Wolf
Am 30. Juli 1977 ermordeten Mitglieder der RAF den Dresdner-Bank-Chef Jürgen Ponto in seiner Villa in Frankfurt. Diese Tat sollte das Leben der damals 13 Jahre alten Julia Albrecht für immer verändern. Jürgen Ponto war ihr Taufpate. Und es war ihre Schwester Susanne Albrecht, die Brigitte Mohnhaupt, Christian Klar und sich selbst Zutritt zum Haus des besten Freundes ihres Vaters verschafft hatte, indem sie sich dort zu einem Besuch angemeldet hatte. Die RAF-Mitglieder wollten Ponto entführen, doch dann wurde er von Klar und Mohnhaupt erschossen. (HR, Do 19.05.2016, 00.05-01.25; HR So 22.05.2016, 01.00-02.20)
„Die Folgen der Tat“ bekam im Februar 2016 einen Grimmepreis. Hier die Begründung der Jury:
In „Die Folgen der Tat“ setzt sich Julia Albrecht intensiv mit dem Geschehenen auseinander. Es gelang ihr, ihre Mutter und ihren Bruder Matthias zu überzeugen, vor der Kamera über die Tat und deren Folgen für die Familie zu sprechen. Ihre Schwester Susanne selber hingegen wollte sich nicht vor der Kamera äußern. Bis heute ist der Umgang mit Susanne für die Familienangehörigen schwierig bis unmöglich.
Aufgrund der großen emotionalen Belastung geriet das Projekt immer wieder ins Stocken. Dies führte jedoch zu einer noch intensiveren Auseinandersetzung der Beteiligten mit ihren Erinnerungen und Einschätzungen. Julia Albrecht hat gemeinsam mit Dagmar Gallenmüller das Drehbuch zu „Die Folgen der Tat“ geschrieben und umgesetzt.
„Die Folgen der Tat“ ist auf den ersten Blick ein Film über die RAF und einen ihrer Morde, die die BRD in den späten 70er Jahren aufwühlten. Doch in allererster Linie – und das macht ihn zu einem einzigartigen Werk – ist es ein Film über eine Familie. Über allem steht die Frage: Wie kann ein geliebter Mensch zu einer solchen Tat, zu einem solchen Vertrauensmissbrauch, zu diesem Verlust von Menschlichkeit fähig sein?
Wer verstehen will, warum man sagt, Blut sei dicker als Wasser, warum man vielleicht versuchen kann, sich von Mutter, Vater, Schwester oder Bruder loszusagen, und warum es dennoch nie gelingen wird, einen Schlussstrich unter familiäre Beziehungen zu ziehen, sollte sich diesen Film anschauen. Eine Freundschaft kann man beenden, seiner Familie bleibt man für immer verbunden. Als Betroffene einen Film über die eigene tragische Familiengeschichte zu machen, birgt ein Risiko. Die Gefahr, sich in einem Geflecht aus Schuldzuweisungen und Rechtfertigungen, aus Zuneigung und Ablehnung zu verstricken, ist groß. Die Juristin und Autorin Julia Albrecht hat sich – unterstützt von Dagmar Gallenmüller – bewusst auf diese Gratwanderung begeben. Sie ringt mit sich und ihrem Film. Doch sie verliert nie den Halt, setzt nie auf billige Effekte.
Die langen Gespräche mit ihrer Mutter Christa, dieses Verstehen wollen, aber auch die Vorwürfe und die Zweifel sind das Herzstück dieses Films. Es ist bewegend, diese nach außen so starke Frau bei ihrem Ringen nach einer Erklärung für das Handeln des eigenen Kindes zu begleiten. Die langen, nachdenklichen, vielschichtigen Briefe des inzwischen verstorbenen Vaters Hans-Christian, aus denen zitiert wird, sind zudem einzigartige Zeitdokumente, die hier zum ersten Mal und mit der Einwilligung des Verfassers öffentlich gemacht werden. Abgeschickt hat Hans-Christian Albrecht sie nie. Vielleicht sind sie ein Symbol dafür, dass eine gewisse Sprachlosigkeit in der Familie herrschte. Aber erklärt das schon den Weg in den Abgrund?Julia Albrechts Versuch, Antworten zu finden, muss dabei eine große Leerstelle aushalten. Ihre Schwester Susanne wollte sich nicht zu den Ereignissen äußern. Und so muss die Familie – und mit ihr der Zuschauer – damit leben, dass hier die erhofften Antworten und mit ihnen vielleicht auch die Chance auf Versöhnung ausbleiben.
Die Frage, warum Susanne Albrecht diese Tat begangen hat, kann und will ihre Schwester nicht beantworten. Das muss sie aber auch nicht. „Die Folgen der Tat“ zeigt, dass der Terror neben all den auf den ersten Blick sichtbaren und so tragischen Opfern immer auch Opfer hat, die im Schatten stehen und die allzu oft vergessen werden. Es ist Julia Albrechts Verdienst, dass sie diesen Menschen eine Stimme gibt – ohne den Versuch, die Taten ihrer Angehörigen zu relativieren.
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