Gut aufgehoben?

VON WALTER SCHUBERT

Brauchen wir eigentlich eine Kanzlerin? Offenbar nicht, wie die letzte Konferenz im Kanzleramt gezeigt hat. Auf der anschließenden Pressekonferenz sitzt sie mit dickem, pampigen Gesicht am Mikrofon und verkündet, dass sie sich mit ihren Vorstellungen nicht durchsetzen konnte. 

Als Regierungschefin gibt es auch in Pandemiezeiten keine Weisungsbefugnis. Bei diesen Treffen wird über Stunden gestritten, damit anschließend jedes Bundesland macht, was es will. Man mag es auch kaum glauben, dass diese Treffen angeblich digital, als Videokonferenz, stattfinden. Ob das tatsächlich funktioniert? Und wenn wir die Kanzlerin einsparen, könnten wir auch gleich den gesamten Bundestag nach Hause schicken. 

Bei diesem kleinen intimen Kaffeekränzchen im Kanzleramt werden Dinge beschlossen, die eine unglaubliche Auswirkung auf alle Bürger haben. Kaum ein „richtiges Gesetz“ greift so sehr in unser Leben ein, betrifft alle Bereiche, von Kita über Schule, Wirtschaft bis hin zu den persönlichen und privaten Dingen. Und solch weit reichende Maßnahmen werden in unserer Demokratie ohne das Parlament verabschiedet? Ich bin weit davon entfernt, den Reichsbürgern oder den Coronaleugnern das Wort zu reden, aber ist das alles noch rechtmäßig und demokratisch? Der Bundestag wird, wenn er Glück hat, über die Maßnahmen informiert, ist aber an der Entscheidung nicht beteiligt. Ob er die Maßnahmen abnicken muss, weiß ich nicht, wäre aber auch egal. 

Ganz wichtig ist die Zahl 35. Moderator Markus Lanz sagt: „35 ist die neue 50“. Der sogenannte Inzidenzwert wurde von 50 auf 35 gesenkt. Das Belohnungswürstchen wurde also noch einmal etwas höher gehängt. Ist dieser Wert erreicht, können die Länder oder Kommunen entscheiden, ob es Öffnungen und Lockerungen gibt. Ganz kreativ, ganz individuell, jedes Land wie es mag. Das macht Hoffnung und Mut. Nehmen wir mal die schöne Stadt Hamburg. Die ist, wie man hört, auf einem guten Weg. Vielleicht hat sie bald die 35 erreicht oder ist sogar noch besser. Das wäre toll, doch was nützt es? Macht man dann in Hamburg die Geschäfte wieder auf? Das komplett „verseuchte Umland“ würde doch in Hamburg einfallen, um den Shoppingrückstand binnen Stunden aufzuholen. Nach einer Woche wäre man dann vielleicht wieder bei 60. Das Abriegeln der Freien und Hansestadt würde wohl kaum gelingen. „Dann müssten wir uns mit den Nachbarländern abstimmen“, sagt Bürgermeister Tschenscher. Sieht so ein Plan aus? Fühlt man sich da als Bürger wirklich gut aufgehoben?

Bei jeder Talkshow (und da gibt es ganz viele) werden immer mehr Dinge deutlich, die versäumt wurden. Die Verantwortung für die misslungene Beschaffung des Impfstoffes liegt möglicherweise woanders, aber bereits die einfachen Standardaufgaben gelingen bei uns nicht. Die Gesundheitsämter arbeiten noch mit Block und Bleistift, können oder wollen das einheitliche Computerprogramm nicht einführen. Hatten wir nicht ein Jahr Zeit dafür? Eine Impfterminorganisation ist in unserer Digitaldiaspora richtig schwierig und die Hilfszahlungen kommen gar nicht oder verspätet an. Angeblich ein Softwareproblem. Vielleicht lassen wir es noch ein wenig ruhen. Dann gibt es die Firmen und Geschäfte nicht mehr und man hat sich die Hilfszahlungen gespart. Wichtig sind natürlich die ganz Großen, wie Lufthansa, TUI oder VW. Da geht das ganz schnell, unbürokratisch sozusagen, wahrscheinlich sogar ohne Prüfung. Testen, testen, testen lautet eine Forderung vieler Virologen. Hört man da etwas? Ist das jetzt flächendeckend möglich? Einfach und kostenlos für alle? Auch hier Fehlanzeige.

Zu Kitas, Schulen und Homeoffice muss man nichts mehr sagen – ein Alptraum für alle Beteiligten, ohne Plan, ohne Konzept und ohne Perspektive.

Ganz wunderbar ist, dass die aktuelle Pandemiebekämpfung in ein Superwahljahr fällt. Viele Landtagswahlen und sogar die Bundestagswahl stehen in diesem Jahr im Kalender. Zunächst sind es kleine, versteckte Spitzen, die gegen den politischen Gegner gerichtet werden. Das steigert sich dann bis zur plumpen, primitiven Beschimpfung. Schön, wenn die handelnden Personen eine gemeinsame Regierung bilden. Viele Bürger werden sich angewidert abwenden.

Auch wenn ich das Glück habe, aufgrund meines Alters mit vielen Dingen nichts mehr zu tun zu haben (Kita, Schule, Arbeitswelt), fühle ich mich aktuell nicht vertreten und auch nicht so richtig gut aufgehoben. Das Vertrauen in die handelnden Personen hat mächtig nachgelassen. Ganz zufällig habe ich in diesen Zeiten gerade die Biografie über Helmut Schmidt gelesen. Komisch, wie manches so zusammen passt.

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