Den nachfolgenden Beitrag über die Diskussion über die Große Koalition in der Remscheider SPD entnehmen wir mit freundlicher Genehmigung dem Waterbölles, dem kommunalpolitischen Forum für Remscheid.
Das Nein zur Großen Koalition fiel in der Remscheider SPD sehr eindeutig aus: Bei nur einer Ja-Stimme und drei Enthaltungen gaben die rund 50 Teilnehmer/innen der Diskussionsveranstaltung gestern Abend ihrer Bundesparteiführung einen Korb und lehnten die Ergebnisse deren Sondierungsgespräche mit der CDU/CSU ab. Kaum ein gutes Haar ließen die Remscheider Sozialdemokraten an den vorverhandelten Positionen, die ihnen von der Parteispitze als zusammenfassende Präsentation der 28-seitigen Sondierungsdokumentation zur Verfügung gestellt worden war. Zu dünn, zu unkonkret, zu wenig sozialdemokratisch lauteten die Hauptargumente gegen das bisher Erreichte.
Kurzfristig war die Remscheider SPD mit ihrer Diskussionsrunde in die Räume der VHS ins Ämterhaus umgezogen. Der Fahrstuhl in die vierte Etage der Parteizentrale an der Elberfelder Straße war defekt. Und die Mühen dieses Aufstiegs wollte die Remscheider Parteiführung ihren Mitgliedern nicht zumuten. Haben diese doch mit den Mühen der Ebene schon genug zu schaffen angesichts der noch ungeklärten politischen Lage nach den Bundestagswahlen vom September.
Voller Tatendrang hatte sich die Remscheider SPD in die Oppositionsrolle auf Bundesebene eingefühlt und bei einer Mitgliederversammlung im Dezember per Brainstorming Visionen für die nähere Zukunft entwickelt. An diese auf großflächigem Papier festgehaltenen Wünsche und Erwartungen erinnerte Stefanie Bluth zu Beginn der Diskussion. Eine starke Opposition habe man sein wollen. Und nun zwingen die Umstände einer geplatzten Jamaika-Koalition und eines dringenden Bundespräsidenten-Appells dazu, sich erneut mit einer möglichen Regierungsverantwortung zu befassen.
Das alleine schreckt schon jene Gruppierungen in der SPD ab, die für eine interne Runderneuerung und Standortbestimmung in der Opposition plädieren. Selbst sie hätten sich vermutlich überzeugen lassen, wenn das in der Präsentation der Sondierungsergebnisse festgehaltene Motto für sie inhaltlich erkennbar gewesen wäre: „Eine neue Zeit braucht eine neue Politik“. Das stand in Großbuchstaben über jedem der Gliederungspunkte (Europa, Arbeit, Gleichstellung, Familie, Rente/Gesundheit, Investitionen und Klimaschutz), fein unterteilt in erreichte Positionen und in (noch) nicht erreichte.
Dieses von der Berliner Parteizentrale aufgelistete Klein-Klein trug nicht dazu bei, die möglichen größeren Würfe erkennbar zu machen, und veranlasste die Teilnehmenden auch eher dazu, eine neue Wunschliste von bisher noch nie Erreichtem aufzustellen. Oder darüber hinwegzusehen, dass einzelne beklagte Missstände auch unter der Mitregentschaft der SPD nicht ausgeräumt bzw. erst eingeleitet worden waren.
Wie dem auch sei: Die „neue Politik“ konnten die Remscheider SPD-Mitglieder darin nicht erkennen. Auch nicht ihre Funktionsträger. Das Sondierungspapier enthalte keine gemeinsame Idee, sondern spreche für weiteres Verwalten, meinte beispielsweise Landtagsabgeordneter Sven Wolf, der Lösungen für die Grundversprechen der SPD vermisste: Aufstieg durch Bildung, gesichertes Alter, bezahlbares Wohnen.
Das Soziale als Kernanliegen der Sozialdemokratie kam auch vielen anderen Diskutanten zu kurz in den Sondierungsaussagen zur Pflege, zur Gesundheit, zur Steuer, zu Arbeitsbedingungen. Aber ohne jegliche Handschrift der SPD würde man den anderen in der Sozialpolitik das Feld überlassen, meinte einer, der das Erreichte nicht ganz in Bausch und Bogen verdammen wollte.
Auch andere erkannten durchaus den einen oder anderen Punkt, der ihren Vorstellungen entsprach. Aber immer mit Einschränkungen. Europa? Angenehm ausführlich, aber wenig konkret und kein Wort zur Problematik der Flüchtlingsverteilung. Einwanderungsgesetz? Prima, aber nur für Fachkräfte. Rückkehr in Vollzeitbeschäftigung? Abhängig von Betriebsgrößen. Stabiles Rentenniveau? Verlängerung um gerade mal zwei Jahre. Investitionen in Internet, Verkehrswege und Wohnraum – ohnehin selbstverständlich, alter Hut oder nicht weitgehend genug. Mehr Steuergerechtigkeit? Fehlanzeige. Keine Regelungen gegen Missbrauch von Leiharbeit und befristeten Arbeitsverhältnissen. Und bei vielen anderen geplanten Vorhaben: Wer würde die 45,9 Milliarden Mehrkosten der avisierten Reformen letztlich bezahlen, und wie würden die Kommunen zur Kasse gebeten werden? Experte Sven Wiertz hatte einige Positionen akribisch nachgerechnet und dabei so manchen Pferdefuß gefunden.
Sven Wolf störten neben den inhaltlichen Aspekten aber auch einzelne atmosphärische Provokationen: CSU-Stichwort vom „Zwergenaufstand“ und Ablehnung von „Nachbesserungen“, obwohl es noch gar keine Koalitionsverhandlungen gegeben habe. Wolf brachte das Dilemma der SPD bei ihrer anstehenden Entscheidung pro oder contra GroKo auf den Punkt: „Wie wir es machen, machen wir es falsch.“ Wobei er deutlich darauf hinwies, dass gerade die Sozialdemokratie keine Nachhilfe in Sachen staatspolitischer Verantwortung brauche. Vor allem nicht von Kontrahenten, die eigentlich eher die personelle Erneuerung der CDU, sprich: die Ablösung Merkels, im Sinn hätten.
Auf eine personelle, strukturelle und inhaltliche Erneuerung läuft es aber auch bei der SPD hinaus, sollte sich die Remscheider Position bundesweit durchsetzen. Ein Diskutant sprach unwidersprochen von einer „schlechten Führung“ der Partei.
Die SPD-Unterbezirksvorsitzende Christine Krupp. Archivfoto: Lothar Kaiser.No GroKo: Die Unterbezirksvorsitzende Christine Krupp gab dem einzigen Remscheider Delegierten Sven Wiertz das Votum ihrer Parteigenossinnen und -genossen mit auf den Weg nach Bonn. Zur Delegiertenversammlung der SPD am Sonntag. Die Alternativen: GroKo, Minderheitsregierung oder Neuwahl. Die beiden letzteren Entscheidungen liegen dann woanders. Bei CDU/CSU oder beim Bundespräsidenten.
(Beitragsfoto: SPD-Debatte gesten Abend im VHS-Saal im Ämterhaus zur Frage der Beteiligung an einer Großen Koalition. © Foto: Lothar Kaiser)