Fachkräfte-Nachwuchs: kurzfristig ok, mittelfristig schwierig

Den Beitrag von Georg Watzlawek entnehmen wir mit freundlicher Genehmigung dem Bürgerportal Bergisch Gladbach

Die aktuelle Lage auf dem Ausbildungsmarkt in Rhein-Berg ist gar nicht schlecht, berichten Arbeitsagentur, Handwerkerschaft und IHK bei ihrer Jahresbilanz. Grundsätzlich werde aber in der Region – wie in ganz Deutschland – viel zu wenig ausgebildet. Die Lücken, die mit dem Renteneintritt der Babyboomer unweigerlich aufreißen, können so bei weitem nicht gefüllt werden.

Die Bensberger Firma Burk & Hansen ist ein gutes Beispiel: Das Unternehmen kümmert sich um Feuchtigkeits- und Schimmelschäden an Gebäuden, hat eine gute Nachfrage und würde gerne zwei Holz- und Bautenschützer ausbilden. In diesem Jahr habe sich aber nur ein einziger Jugendlicher beworben, der demnächst ein Praktikum anfange und dann hoffentlich eine Ausbildungsstelle antrete, berichten Patrick Burk und Ralf Hansen beim Pressegespräch zur jährlichen Ausbildungsbilanz.

Ein gutes Beispiel, weil Burk & Hansen für mehrere aktuelle Trends steht: gerade für neue und unbekannte Ausbildungsberufe ist es schwierig, die Ausbildungen starten immer später im Jahr – und es gibt insgesamt viel zu wenig Nachwuchs.

Das liegt zum einen an den Jugendlichen, von denen immer weniger nach dem 10. Schuljahr direkt in eine Ausbildung starteten, berichten Nicole Jordy, Geschäftsführerin der Agentur für Arbeit Bergisch Gladbach, Markus Otto, Hauptgeschäftsführer der Kreishandwerkerschaft Bergisches Land und und Carsten Berg, Leiter Ausbildung bei der IHK Köln, bei ihrer Jahresbilanz übereinstimmend.


Fakten am Rande:

  • Mehr als 50 Prozent der Azubis in bzw. aus Rhein-Berg pendeln zu ihrer Ausbildungsstätte über die Kreisgrenze hinweg.
  • Mehr als 50 Prozent der IHK-Unternehmen können nicht mehr alle Stellen besetzen.
  • Das Durchschnittsalter bei Ausbildungsbeginn lag 2014 bei 18 Jahren, jetzt sind es 20 Jahre.

„Wir werden den Fachkräftemangel spüren“

Es liege aber auch an den Unternehmen – und hier ist Burk & Hansen eine Ausnahme: nur ein Fünftel aller Betriebe, die das grundsätzlich könnten, bilden überhaupt aus, sagt Jordy. So könne der Aderlass, der mit dem Renteneintritt der geburtenstarken Babyboomer unweigerlich komme, bei weitem nicht ausgeglichen werden.

Der in vielen Branchen ohnehin eklatante Fachkräftemangel werde sich daher noch deutlich verschärfen: „Das werden wir alle zu spüren bekommt, es wirkt sich auf das alltägliche Leben aus,“ warnt Otto. Zum Beispiel, wenn bei einem Heizungsausfall so schnell keine Installateure zur Verfügung stehen.

Schon jetzt müssten viele Einzelhändler und Gastronomen ihre Öffnungszeiten einschränken, ergänzt Berg. Jedes zweite Unternehmen im Bereich der IHK Köln könne schon jetzt nicht mehr alle Stellen besetzen.

Mehr Bewerber:innen als im Vorjahr – aber nicht genug

Dabei sei die aktuelle Lage gar nicht so schlecht, berichten die drei Expert:innen übereinstimmend. Die Zahl der Bewerber:innen liege deutlich über dem Vorjahr, die Zahl der gemeldeten Ausbildungsplätze sinke jedoch, berichtet Jordy für die Arbeitsagentur, die den besten Überblick über alle Sektoren und Branchen hinweg hat. Aber auch sie hat keine vollständigen Zahlen, weil sich nur rund zwei Drittel aller aktiven Betriebe und Jugendlichen bei der Agentur melden.

Die IHK Köln müsse zwar einen leichten Rückgang um drei Prozent bei der Zahl der abgeschlossenen Verträge im nicht-handwerklichen Gewerbe melden, sagt Berg. Angesichts der schlechten Konjunktur hätten die Experten jedoch einen noch deutlicheren Rückgang erwartet. Zudem gehe die IHK davon aus, dass bis Jahresende noch einige Verträge folgen werden. Der Ausbildungsmarkt sei aus seiner Sicht grundsätzlich solide.


Hinweis der Redaktion:

Alle Zahlen zum Ausbildungsmarkt in der Region dokumentieren wir unten.


Das sagt auch Otto für die Handwerker. Sie konnten in Rhein-Berg einen Anstieg der Ausbildungsverträge um 8,3 Prozent verzeichnen. Vor allem Berufe rund um die Energiewende – vom KFZ-Mechatroniker bis hin zum Dachdecker – verzeichneten sowohl bei Angebot wie Nachfrage eine starke Zunahme.

Aber eigentlich, so Otto, würden nicht Zuwachsraten von acht Prozent sondern von 15 bis 20 Prozent benötigt werden, um die Babyboomer-Lücke zu füllen.

Zuwächse, die realistischer Weise nicht zu erreichen sind. Dagegen stehe schon die Demographie, erläutert Jordy: auf 100 Personen in der Altersgruppe, die innerhalb der nächsten fünf Jahre in Rente geht, kommen nur 54 junge Menschen nach. Und diesen Nachwuchs umwerben nicht nur Gewerbe und Handwerk – viele junge Frauen und Männer streben nach wie vor zunächst eine akademische Ausbildung an.


Informations- und Kontaktstellen für Jugendliche / Eltern:


Konkret heißt das: Im Handwerk sind im Moment allein in Rhein-Berg 160 Ausbildungsplätze noch offen. „Ganz schön viel,“ urteilt Otto. Die Arbeitsagentur hat derzeit in Rhein-Berg 144 offene Ausbildungsstellen in der Kartei.

Früher „Gas-Wasser-Scheiße“ – heute gefragte Experten

Was also tun, um nicht ganz auszubluten? Auch hier gibt das Beispiel Burk & Hansen ein paar Hinweise. Obwohl man selbst nur neun Mitarbeiter habe sei die Firma bei den Berufsfelderkundungen immer dabei, erzählt Patrick Burk. Und auch zum „Girls Day“ der IHK haben die Schimmelexperten ihren Betrieb geöffnet. Die Mädchen seien auch gekommen, hätten Interesse gezeigt und Videos für Tiktok gedreht. Eines der Videos hatte dann auch der einzige Bewerber, den Burk & Hansen dieses Jahr hatten, gesehen und zur Kontaktaufnahme verleitet.

Genau das, betonen Jordy, Berg und Otto, müssten die Unternehmen immer wieder machen: Sich selbst und ihre Ausbildungsberufe vorstellen, in Schulen, auf Messen und bei Aktionen. „Die Jugendlichen suchen eine sinnvolle Tätigkeit, kennen aber allenfalls eine Handvoll Ausbildungsberufe und brauchen eine Orientierung“, sagt Berg. Daher sei die Berufsfelderkundung so wichtig – weil die jungen Leute dabei hinter die Werks- und Firmentore schauen könnten und auf Menschen stießen, denen ihre Arbeit Spaß mache.

Aber auch bei Eltern herrscht offenbar Aufklärungsbedarf. „Es gibt immer noch Berufe, von denen viele Eltern abraten – die sich aber in den vergangenen 50 Jahren komplett verändert haben“, sagt Jordy. „Gas-Wasser-Scheiße“ war früher ein gängiger Begriff für den Beruf, der heute „Anlagenmechaniker:in für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik“ heißt und ebenso anspruchsvoll wie gefragt ist.

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