Ein Beitrag von Klaus Ulinski
Free-Speech-Absolutismus – nur für die eigene Seite
In den USA fordern Republikaner und rechte Netzwerke eine fast grenzenlose Meinungsfreiheit. Jede Form von Moderation, jede Kritik an Desinformation wird als Zensur gebrandmarkt. Ähnliches Muster ist auch hier vor Ort in Wermelskirchen zu beobachten: Wenn rechtspopulistische Stimmen in der Politik oder in den sozialen Medien inhaltlich hinterfragt werden, heißt es schnell, man wolle ihnen „den Mund verbieten“. Tatsächlich geht es dabei oft weniger um eine offene Debatte als um das Recht, die eigene Position unangetastet stehen lassen zu dürfen.
„Cancel Culture“ als Totschlagargument
Ob in Washington oder Wermelskirchen: Der Vorwurf, einer „Cancel Culture“ zu unterliegen, ist zum Standardrepertoire geworden. In den USA dient er dazu, konservative Politiker oder Medien gegen Kritik zu immunisieren. Hier vor Ort wird er von rechtspopulistischen Kräften bemüht, wenn ihre Parolen auf Widerstand stoßen – etwa in Debatten über Integration, Klimaschutz oder Gleichstellung. Kritik wird dann nicht als Teil demokratischer Auseinandersetzung verstanden, sondern als Versuch, legitime Meinungen zu unterdrücken. Gängige Praxis hier ist gerne auch die Blockade von nicht genehmen Personen und deren Meinungen aus bestimmten Facebook-Foren.
Misstrauen gegenüber Gatekeepern
In den USA richtet sich der Angriff auf die klassischen Gatekeeper: etablierte Medien, Wissenschaft, staatliche Institutionen. Man wirft ihnen vor, „die Wahrheit zu kontrollieren“. Auch in Wermelskirchen ist dieses Misstrauen spürbar. Fachliche Expertisen von Experten, Wissenschaft oder Presse werden in Zweifel gezogen, wenn sie nicht ins eigene Weltbild passen. In jüngsten Posts eines bekannten Wermelskirchener rechtspopulistischen Lokalpolitikers auf Facebook wurde gar eine „Abschaffung des ÖRR“ (Anm.:öffentlich rechtliche Rundfunk) „..und der GEZ-Zwangsgebühren“ gefordert. Weiter heißt es dort: „Die Verbreitung dieser ganzen Hetze (Anm.: gemeint ist hier die „Hetze“ des öffentlich rechtlichen Rundfunks)… muss beendet werden“. So entsteht ein Klima, in dem Fakten relativiert beziehungsweise geleugnet und als Lüge verdammt werden und Narrative wichtiger scheinen als belegbare Tatsachen.
Selektive Anwendung des Freiheitsbegriffs
Besonders problematisch ist die Doppelmoral: Während man sich auf die Meinungsfreiheit beruft, um eigene Positionen schrill und provokativ zu vertreten, sollen andere möglichst leise sein. In Wermelskirchen zeigte sich das zuletzt in hitzigen Debatten, in denen rechtspopulistische Stimmen lautstark ihre Freiheit einforderten – während sie Andersdenkenden dieselben Rechte nur widerwillig zugestanden.
Digitale Echokammern und lokale Wirkung
Die Dynamik verstärkt sich durch digitale Echokammern. In den USA bilden rechte Plattformen wie Breitbart, Townhall oder Daily Caller eigene Realitätsblasen. Auch in Wermelskirchen verbreiten sich über soziale Medien Narrative, die wenig mit den realen Gegebenheiten vor Ort zu tun haben, aber Ressentiments und Ängste schüren. Gerade in Wahlkampfzeiten entfalten solche Blasen enorme Wirkung – und tragen so zum Rechtsruck auch auf kommunaler Ebene bei.
Meinungsfreiheit nur für „Rechte“?
Eine bedenkliche Entwicklung zeigt sich darin, dass Meinungsfreiheit in einigen rechtspopulistischen Kreisen – nicht nur hier in Wermelskirchen – längst nicht mehr als universelles Grundrecht verstanden wird, sondern als Privileg der eigenen politischen Ausrichtung. Frei ist nur, wer „rechts“ denkt – andere Stimmen werden mit Aggression und Einschüchterung bedacht. Wer in einschlägigen Facebook-Foren von lokalen Protagonisten die Diskussion verfolgt, erkennt schnell: Kritikern wird nicht mit Argumenten begegnet, sondern mit Drohgebärden, persönlicher Herabsetzung und gezielten Versuchen, sie mundtot zu machen. Das Prinzip, dass Meinungsfreiheit immer auch die Freiheit der Andersdenkenden ist, wird so pervertiert.
Was das für unsere Stadt bedeutet
Wenn Meinungsfreiheit nur noch als Schlagwort dient, um eigene Positionen unangreifbar zu machen, dann verkommt die demokratische Debatte zur Farce. Für Wermelskirchen bedeutet das: Wir müssen besonders wachsam sein, wenn lautstarke Stimmen versuchen, Kritik als Zensur umzudeuten. Demokratie lebt nicht vom Recht, ungestört zu behaupten, sondern vom gemeinsamen Ringen um Wahrheit und Wahrhaftigkeit.
Die Frage ist: Wollen wir in Wermelskirchen eine Diskussionskultur, die Spaltung, Misstrauen und Echokammern befördert – oder eine, die Vielfalt und kritisches Denken als Stärke begreift?
Bild: Klaus Ulinski
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