Faschistoide Tendenzen in modernen Gesellschaften
Eine Einordnung von Klaus Ulinski
In der politischen Debatte fällt der Begriff „faschistoid“ zunehmend häufiger – oft als Warnung, manchmal als Vorwurf, gelegentlich auch als Analyse. Doch was verbirgt sich eigentlich hinter diesem Begriff? Und ab wann ist eine Gesellschaftsform nicht mehr „nur“ autoritär, sondern gefährlich nah am Faschismus?
Ein Blick auf zentrale Merkmale hilft bei der Einordnung – gerade in einer Zeit, in der demokratische Prinzipien mancherorts zunehmend ausgehöhlt werden und es manch einem Demokraten fröstelt, wenn er Trump, Vance und Co. Im Auge hat und darüber hinaus unter dem frischen Eindruck des kaltschnäuzigen Lächelns eines Victor Orban steht.
Der Führer spricht – und alle nicken
Wenn in einer Gesellschaft die Meinung eines autoritären Führers zur Norm erklärt wird und jede abweichende Sichtweise systematisch unterdrückt oder diskreditiert wird, dann ist das kein demokratischer Meinungsstreit mehr. Es ist der Beginn eines Machtmonopols. Das sogenannte Führerprinzip, ein zentrales Element faschistischer Systeme, beruht auf der Vorstellung, dass ein einzelner Wille die Gesellschaft lenken soll – ohne Widerspruch, ohne Opposition.
Wenn Lüge zur Meinung wird
Ein weiteres Alarmzeichen ist die Umdeutung von Wahrheit: Wenn offensichtliche Falschinformationen als legitimer Teil der Meinungsfreiheit verkauft werden, wenn Fakten relativiert und durch „alternative Wahrheiten“ ersetzt werden, dann wird der Boden der rationalen Auseinandersetzung verlassen. In solchen Systemen wird Wahrheit zur Verhandlungssache – und damit zur Machtfrage. Wer die Deutungshoheit hat, kontrolliert die öffentliche Meinung.
Geschichte als Gefahr
Ein zentrales Element totalitärer und faschistoider Systeme ist der Umgang mit Geschichte. Kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit wird häufig als „anti-national“ diffamiert. Wer auf historische Fehler hinweist, wird nicht als Mahner verstanden, sondern als Nestbeschmutzer. Statt offener Debatte dominiert die Instrumentalisierung der Geschichte zur Stärkung nationaler Mythen – ein gefährliches Spiel mit der kollektiven Erinnerung.
Vielfalt wird zur Bedrohung erklärt
Ein besonders deutliches Zeichen für faschistoide Entwicklungen ist die Ablehnung von Vielfalt und Andersartigkeit. Ob ethnische Herkunft, sexuelle Identität, Religion oder Lebensstil – alles, was nicht der als „normal“ definierten Mehrheitskultur entspricht, wird als Gefahr für die nationale Einheit konstruiert. Es entsteht ein Bild der homogenen, „reinen“ Gesellschaft – ein zentrales Motiv klassisch faschistischer Ideologie.
Faschistoid – was heißt das eigentlich?
Der Begriff faschistoid beschreibt eine Gesellschaftsform oder politische Bewegung, die in Haltung, Struktur und Methoden dem historischen Faschismus ähnelt, aber nicht zwangsläufig alle Merkmale erfüllt. Er dient in der Politikwissenschaft als analytisches Warnsignal: Noch ist es kein voll ausgeprägter Faschismus – aber die Richtung ist bedenklich.
Dabei ist es wichtig, nicht vorschnell zu etikettieren. Faschismus ist ein schwerwiegender Begriff mit historisch klar umrissenen Inhalten. Doch gerade deshalb lohnt sich die präzise Beobachtung von Entwicklungen, die sich in diese Richtung bewegen.
Eine Mahnung an die Gegenwart
Demokratie ist kein Selbstläufer. Sie lebt von Pluralismus, Streitkultur, der Anerkennung von Fakten und der Achtung vor dem Anderen. Wenn diese Grundpfeiler bröckeln – und autoritäre Führungsansprüche, Geschichtsrevisionismus oder die Ablehnung von Vielfalt salonfähig werden – dann ist es Zeit, genau hinzuschauen.
Denn eine Gesellschaft, in der Macht zentralisiert, Wahrheit manipuliert und Andersartigkeit unterdrückt wird, ist auf einem gefährlichen Weg. Einem Weg, den die Geschichte schon einmal gegangen ist – mit verheerenden Folgen.
Beitragsbild KI-generiert mit Canva
Schreibe einen Kommentar