…an eigenen Werten – und warum er bis nach Wermelskirchen reicht
Ein Essay von Klaus Ulinski für das Forum Wermelskirchen
Einleitung: Warum Wermelskirchen hinschauen muss
Weltpolitik wirkt oft weit entfernt. Entscheidungen in Washington, Moskau oder Brüssel scheinen auf den ersten Blick nur selten etwas mit unserem Alltag im Bergischen Land zu tun zu haben. Doch das vergangene Jahrzehnt hat deutlich gemacht, dass politische Erschütterungen in den großen Demokratien der Welt immer schneller und immer direkter bis in unsere kommunalen Parlamente wirken – und damit auch bis nach Wermelskirchen. Man denke in diesem Kontext auch nur an die Zollpolitik eines Donald Trump: Die stark exportorientiere lokale Wirtschaft in Wermelskirchen erlebt hier eine direkte teilweise existentielle Bedrohung.
Die Diskussion um genau diesen Donald Trump und seinem sogenannten „Friedensplan“ für die Ukraine legt dies auf bedrückende Weise offen. Internationale Beobachter bezeichnen den Plan als ein Dokument, das eher in Moskau als in Washington verfasst worden zu sein scheint. Ein Plan, der die westlichen Werte, die über Jahrzehnte als Fundament unserer gemeinsamen politischen Kultur galten, offenbar ohne Zögern zu opfern bereit ist. Und dieser Bruch ist kein isoliertes Phänomen. Er fügt sich ein in eine langfristige Entwicklung, deren ideologische Ausläufer auch in Deutschland spürbar sind – bis hinein in die Wermelskirchener Social-Media-Debatten und Ratsfraktionen dieser Stadt.
Die USA: Vom Hüter der Freiheit zum Partner autoritärer Interessen
Über Generationen hinweg galten die Vereinigten Staaten vielen Menschen als moralischer Anker des Westens. Die Vorstellung von Freiheit, Demokratie und Menschenrechten war nicht nur Teil der staatlichen Rhetorik, sondern wurde – trotz vieler Widersprüche – doch immer wieder zum Maßstab politischen Handelns erhoben. Mit dem außenpolitischen Kurs, wie er sich im Trump’schen Friedensplan zeigt, entfernt sich Amerika jedoch in bemerkenswerter Geschwindigkeit von diesem Selbstverständnis.
Ein Dokument, das massive Gebietsabtretungen der Ukraine an Russland vorsieht und demokratische Partner geopfert sehen möchte, wirkt wie eine Absage an jene Grundwerte, die Amerika jahrzehntelang zu einem globalen Orientierungspunkt gemacht haben. Der Eindruck entsteht, als sei man bereit, autoritäre Machtpolitik zu belohnen, solange dies den eigenen strategischen oder innenpolitischen Interessen dient.
Diese Entwicklung wirft unweigerlich die Frage auf, wie ein Land, das einst als verlässlicher Garant freiheitlicher Ideale galt, in eine solche ideologische Schieflage geraten konnte.
Der lange Schatten: Eine 40-jährige Strategie gegen aufklärerische Werte
Die Antwort liegt zu einem großen Teil in einer kulturellen und politischen Entwicklung, die bereits in den 1980er Jahren begann. Damals formten konservative Bewegungen, finanzstarke Think-Tanks, medial gut vernetzte Aktivisten und wirtschaftliche Interessen ein gemeinsames Projekt, das sich gegen jene Werte richtete, die man heute als „linksliberal“ bezeichnet. Hinter dieser Strategie stand der Gedanke, gesellschaftliche Gleichberechtigung, ökologische Verantwortung, wissenschaftliche Aufklärung und die Verteidigung von Minderheitenrechten seien Ausdruck einer bedrohlichen politischen Modernisierung.
Über Jahrzehnte hinweg gelang es diesen Kräften, mediale Debatten zu polarisieren, Zweifel an wissenschaftlichen Erkenntnissen zu säen, soziale Bewegungen zu diskreditieren und demokratische Institutionen als schwerfällig oder gar illegitim darzustellen. Das heutige Ausmaß der politischen Spaltung in den USA ist daher weniger eine spontane Entwicklung als vielmehr das Ergebnis einer lange vorbereiteten und systematisch betriebenen politischen Verschiebung.
Die Rolle der Evangelikalen: Wenn religiöser Eifer zur politischen Waffe wird
Einen erheblichen Einfluss auf diese Entwicklung hat ein Teil der amerikanischen Evangelikalen, die sich im Laufe der Zeit von einer religiösen Bewegung zu einem mächtigen politischen Akteur entwickelt haben. Innerhalb dieser Gruppe entstand ein Weltbild, das gesellschaftliche Vielfalt zunehmend als Gefahr betrachtet, wissenschaftliche Erkenntnisse mit Misstrauen verfolgt und politische Gegner moralisch abwertet, anstatt sie als Teil einer demokratischen Gemeinschaft zu respektieren.
Diese religiös aufgeladene Haltung öffnete Tür und Tor für politische Instrumentalisierungen. So wurden einzelne Führungspersonen bereitwillig als „Werkzeuge Gottes“ dargestellt, selbst wenn ihr politisches Handeln deutlich autoritäre Züge trug. Wo Politik und Glaube auf diese Weise verschmelzen, wird eine demokratische Debatte erschwert. Kompromisse erscheinen dann nicht mehr als politischer Alltag, sondern als Verrat an einer angeblich höheren Wahrheit.
Neoreaktionäre Denker und Tech-Milliardäre: Ein gefährlicher Schulterschluss
Parallel dazu entstand eine neue, kaum greifbare, aber folgenschwere ideologische Strömung: die neoreaktionäre Bewegung. Sie setzt auf das Zusammenspiel aus technokratischen Vorstellungen, radikalem Kapitalismus und offener Skepsis gegenüber demokratischen Systemen. Einige der bekanntesten Köpfe dieser Szene entstammen dem Umfeld der amerikanischen Technologiekonzerne. Sie propagieren eine Zukunft, in der der Staat wie ein Unternehmen geführt wird und politische Macht nicht durch Wahlen, sondern durch die angebliche Kompetenz weniger Eliten legitimiert sein soll.
Diese Ideen beeinflussen längst politische Debatten in konservativen Zirkeln, auf Social-Media-Plattformen und in Netzwerken, die sich als Speerspitze eines neuen Autoritarismus verstehen. Der Trump’sche Friedensplan wirkt vor diesem Hintergrund nicht wie ein Ausrutscher, sondern wie ein logisches Produkt einer politischen Kultur, die demokratische Grundsätze immer stärker infrage stellt und in ihrer Strategie nur ein einziges Ziel kennt: Macht, Geld und technologische Vorherrschaft.
Europa und Deutschland: Der Autoritarismus kommt näher
Die kulturelle und politische Radikalisierung der USA bleibt nicht ohne internationale Wirkung. Viele rechtspopulistische und rechtsextreme Bewegungen in Europa greifen amerikanische Erzählungen, Argumentationsmuster und Strategien auf. In Deutschland zeigt sich das etwa in der wachsenden Feindschaft gegenüber wissenschaftlichen Positionen, in der Verrohung politischer Sprache und in dem Versuch, demokratische Institutionen durch gezielte Angriffe zu delegitimieren.
Die zunehmende Normalisierung rechtspopulistischer Positionen in Parlamenten und kommunalen Räten ist daher keine isolierte nationale Entwicklung, sondern Teil einer globalen politischen Dynamik, die den politischen Diskurs insgesamt verschiebt.
Wermelskirchen: Die globale Krise im lokalen Spiegel
Auch Wermelskirchen ist von dieser Entwicklung betroffen. In örtlichen sozialen Netzwerken sind rechtspopulistische Narrative inzwischen regelmäßig anzutreffen, oftmals verbreitet von Menschen, die sich selbst als Teil einer „schweigenden Mehrheit“ sehen, aber längst zu lauten Sprachrohren radikaler Inhalte geworden sind. Hinzu kommt, dass sich in der lokalen Politik Gruppierungen formieren, die rhetorisch und inhaltlich immer stärker an rechtspopulistische Argumentationsstrukturen anschließen.
Der Einzug einer vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuften Partei in den Stadtrat zeigt, dass diese Dynamiken auch auf kommunaler Ebene angekommen sind. Das ist nicht nur eine Realität, sondern eine Warnung. Denn diese politischen Tendenzen sind keine spontane Laune, sondern Ausdruck jener globalen Entwicklungen, die auch in den USA demokratische Institutionen zunehmend unter Druck setzen.
Ist es zu spät? Noch nicht – aber die Zeit drängt
Unsere Demokratie verschwindet nicht abrupt. Sie ist in sich widerstandsfähig. Aber: Sie bröckelt schrittweise. Sie erodiert in dem Moment, in dem Menschen beginnen, rechtspopulistische Parolen für normale politische Aussagen zu halten oder extremistische Positionen als legitime Alternative zu akzeptieren. Sie wird schwächer, wenn Fakten an Bedeutung verlieren und moralische Verrohung zur gesellschaftlichen Routine wird.
Der politische Verrat, den wir in der amerikanischen Außen- und Innenpolitik beobachten, ist daher ein Spiegel, in dem wir uns selbst wiederfinden sollten. Er ist ein dringender Appell, das eigene demokratische Fundament ernst zu nehmen. Noch ist es nicht zu spät, aber es ist an der Zeit, entschlossen hinzusehen und klar Position zu beziehen.
Was tun? Verantwortung beginnt vor der eigenen Haustür
Die Verteidigung der Demokratie beginnt nicht in fernen Hauptstädten, sondern im Alltag einer Stadt wie Wermelskirchen. Es bedeutet, auf verlässliche Informationen zu bestehen, radikalen Behauptungen zu widersprechen und Vielfalt nicht als Bedrohung, sondern als Bereicherung zu begreifen. Es bedeutet auch, politische Debatten zu führen, ohne in Feindbilder zu verfallen, und demokratische Verfahren nicht als Hindernis, sondern als Grundlage unseres Zusammenlebens anzuerkennen.
Demokratie ist eine Kultur, die gepflegt werden muss – in Vereinen, in Schulen, in lokalen Initiativen und nicht zuletzt in unseren politischen Gremien. Dort entscheidet sich, ob wir die Aushöhlung demokratischer Strukturen zulassen oder ihnen entschlossen entgegentreten.
Schlussgedanke
Der Verrat an den Werten des Westens beginnt niemals nur in den Machtzentren der Welt. Er beginnt an den Orten, an denen Menschen schweigen, obwohl sie wissen, dass grundlegende Werte auf dem Spiel stehen. Und er setzt sich dort fort, wo demokratische Prinzipien als verhandelbar erscheinen.
Gerade deshalb müssen wir reden – auch in Wermelskirchen.
Ich wünsche Ihnen, liebe Leser, ein schönes Wochenende
Bild: Privat Klaus Ulinski


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