Wir Wermelskirchener erinnern uns – 98 Jahre Kino an der Telegrafenstraße

Wir Wer­mels­kir­che­ner erin­nern uns.
An den Gang ins Kino, der immer auch ein klei­ner Spa­zier­gang durch die Stadt war. An Aben­de, an denen man sich fein mach­te, an Nach­mit­ta­ge mit kleb­ri­gem Bon­bon­pa­pier in der Jacken­ta­sche und an die­ses beson­de­re Gefühl, wenn das Saal­licht lang­sam dunk­ler wur­de.

Und wir erin­nern uns an das Kino an der Tele­gra­fen­stra­ße.

Man­che von uns ken­nen es noch als Reichs­hal­len-Licht­spie­le, ande­re nur als Film-Eck. Wie­der ande­re sind erst vor Kur­zem nach Wer­mels­kir­chen gezo­gen und stau­nen, dass es hier ein Kino gibt, das anders ist als die gro­ßen Häu­ser in den Städ­ten rings­um. Aber egal, wann man dazu­ge­kom­men ist – die­ses Kino gehört zu unse­rer Stadt.

Schon lange bevor hier Filme liefen

Was vie­le nicht wis­sen oder längst ver­ges­sen haben: Der Saal an der Tele­gra­fen­stra­ße war schon lan­ge ein Mit­tel­punkt des städ­ti­schen Lebens, bevor der ers­te Film über die Lein­wand flim­mer­te. Bereits 1890 wur­de er gebaut – als Ort für Varie­té, Thea­ter, Tanz und gro­ße Fes­te. Unse­re Groß­el­tern erzähl­ten noch von Bäl­len, Ver­eins­aben­den und Auf­füh­run­gen, bei denen der Saal bis auf den letz­ten Platz gefüllt war.

1927 kam dann etwas Neu­es. Etwas, das die Welt ver­än­dern soll­te.

Als das Kino einzog

Am 14. Okto­ber 1927 eröff­ne­ten die Reichs­hal­len-Licht­spie­le. Wir erin­nern uns – oder haben es erzählt bekom­men – wie neu­gie­rig die Men­schen waren. Kino war kein all­täg­li­ches Ver­gnü­gen, son­dern etwas Beson­de­res. Die Lein­wand war eigent­lich eine weiß gestri­che­ne Büh­nen­ku­lis­se, die Stüh­le zusam­men­ge­schraubt, der Pro­jek­tor laut und heiß. Und trotz­dem: Es war Magie.

Die Fil­me waren stumm, aber nie still. Ein Kla­vier beglei­te­te das Gesche­hen, manch­mal schwung­voll, manch­mal dra­ma­tisch. Wer damals im Saal saß, war mit­ten­drin.

Der Tonfilm – plötzlich sprach die Leinwand

1931 wur­de aus dem Stau­nen ein ech­tes Ereig­nis: Der Ton­film kam nach Wer­mels­kir­chen. Die Zei­tung schrieb begeis­tert dar­über, und vie­le von uns erin­nern sich an die Erzäh­lun­gen: Man hör­te Stim­men, Musik, Geräu­sche – alles kam plötz­lich aus der Lein­wand. Der ers­te Ton­film hieß „Eine Freun­din so gol­dig wie Du“, und man sag­te: Jetzt ist Wer­mels­kir­chen ganz vor­ne dabei.

Menschen, die das Kino geprägt haben

Wenn wir an die­ses Kino den­ken, den­ken wir auch an Men­schen. An Leo Michel, den Film­vor­füh­rer, der über Jahr­zehn­te oben im Vor­führ­raum stand. Vie­le kann­ten ihn, auch wenn man ihn sel­ten sah. Ohne ihn hät­te man­ches Bild gefla­ckert, man­ches Band geris­sen. Er hielt das Kino am Lau­fen – tech­nisch, zuver­läs­sig, still.

Und natür­lich den­ken wir an die Fami­lie Schiff­ler, die das Kino über Gene­ra­tio­nen hin­weg getra­gen hat. Von Ewald Schiff­ler über sei­ne Töch­ter Ada und Lui­se bis hin zu Klaus und Chris­tel Schiff­ler – die­ses Kino war immer auch Fami­li­en­sa­che.

Die große Kinozeit

Nach dem Krieg, in den 1950er-Jah­ren, erin­nern wir uns an vol­le Säle. Manch­mal zu voll. Über 500 Plät­ze, und trotz­dem reich­te es oft nicht. Es wur­de eng, warm, laut – aber nie­mand stör­te sich dar­an. Kino war Treff­punkt, Aus­ge­hen, Gemein­schaft.

1952 wur­de alles moder­ni­siert. Neue Far­ben, neue Bestuh­lung, ein gro­ßer Vor­hang, ein leuch­ten­der Schrift­zug drau­ßen. Für vie­le von uns war das Kino danach „rich­tig schick“.

Breite Bilder und neue Technik

Als die Bil­der brei­ter wur­den – Cine­ma­scope hieß das Zau­ber­wort –, wur­de wie­der umge­baut. Säu­len ver­schwan­den, Bal­ko­ne wur­den gekürzt, die Lein­wand rie­sig. Wir saßen stau­nend davor und lie­ßen uns hin­ein­zie­hen in Wes­tern, Hei­mat­fil­me, Lie­bes­ge­schich­ten.

Als es schwieriger wurde

Dann kamen ande­re Zei­ten. Fern­se­hen, Video, neue Frei­zeit­an­ge­bo­te. Wir erin­nern uns, dass man plötz­lich nicht mehr auto­ma­tisch ins Kino ging. Vie­le Häu­ser schlos­sen. Auch hier stand die Fra­ge im Raum: Geht es wei­ter?

1972 über­nah­men Klaus und Chris­tel Schiff­ler das Kino. Kein leich­ter Schritt. Vie­le sag­ten damals: „Das lohnt sich doch nicht mehr.“ Ich die­ser Zeit begann auch ich das Kino regel­mä­ßig zu besu­chen.

Der Neuanfang als Film-Eck

1986 kam der muti­ge Schritt: Ver­klei­ne­rung statt Schlie­ßung. Der gro­ße Saal wur­de zum gemüt­li­chen Kino. Weni­ger Plät­ze, mehr Nähe. Eine Bar im Saal. Kei­ne Wer­bung, kei­ne Hek­tik.

Wir erin­nern uns, wie unge­wohnt das zuerst war – und wie schnell man es moch­te.

Mehr als nur Filme

Heu­te erin­nern wir uns nicht nur an Fil­me, son­dern an Begeg­nun­gen:
An das Traum­ki­no mit Kaf­fee und Kuchen.
An das Kir­chen­ki­no, das zum Nach­den­ken anregt.
An Thea­ter­aben­de, Lesun­gen, Dis­kus­sio­nen.

Und an Mon­ta­ge, die für vie­le zu einem fes­ten Ter­min gewor­den sind.

Digital – und doch vertraut

Auch hier hat sich alles ver­än­dert. Der Film kommt heu­te nicht mehr auf schwe­ren Rol­len, son­dern als Daten­pa­ket. Kein Rat­tern mehr aus dem Vor­führ­raum. Und doch ist es immer noch unser Kino.

Als 2013 der ers­te digi­ta­le Film lief, war der Saal voll. Viel­leicht auch, weil wir spür­ten: Es geht wei­ter.

Warum wir uns erinnern

Wir erin­nern uns, weil die­ses Kino Teil unse­rer Geschich­te ist.
Weil wir hier gelacht, geweint, gestaunt haben.
Weil wir als Kin­der hier saßen – und spä­ter mit unse­ren Kin­dern zurück­ka­men.

Und weil Orte wie die­ser zei­gen, dass Wer­mels­kir­chen mehr ist als Stra­ßen und Häu­ser. Es sind die Geschich­ten, die blei­ben.

Und solan­ge im Film-Eck das Licht aus­geht und die Lein­wand hell wird, erin­nern wir uns – und kom­men wie­der. Viel­leicht sogar zur aktu­el­len Vor­stel­lung oder zum nächs­ten Event.

Lutz Bal­schu­weit

Fotos: Fami­lie Schiff­ler

Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert