Nochmal 750 Kilometer Geduld – 15 Rettungswagen für die Ukraine

Unter­wegs in Polen. Dis­zi­pli­niert fah­ren wir – wann immer erlaubt – ziem­lich genau 110 km/h. Geduld ist Pflicht, denn die nächs­ten 750 Kilo­me­ter schei­nen kein Ende zu neh­men. Über­holt wird nicht. Die Rei­hen­fol­ge bleibt unver­än­dert.

An der Spit­ze steu­ert Lin­da Mai, die Vor­sit­zen­de des BGKs das Fahr­zeug eins. Ihr fol­gen 14 wei­te­re RTWs. Sie hat Erfah­rung, weiß, wor­auf es ankommt, und koor­di­niert das gesam­te Team über eine gemein­sa­me Whats­App-Grup­pe. Eine rol­len­de Kolon­ne, prä­zi­se orga­ni­siert.

Die Tem­pe­ra­tu­ren lie­gen unter null. In Polen wird stel­len­wei­se sogar die Fahr­bahn­de­cken­tem­pe­ra­tur digi­tal ange­zeigt. Wir sind hoch­kon­zen­triert und neh­men kaum wahr, dass wir durch ein auf­stre­ben­des Land fah­ren: Ent­lang der gut aus­ge­bau­ten Stre­cke, wei­te Fel­der bis zum Hori­zont, dann fol­gen wie­der moder­ne Logis­tik­zen­tren und Indus­trie­an­la­gen.

End­lich die Nach­richt von Lin­da: Noch 20 Kilo­me­ter bis zur ukrai­ni­schen Gren­ze. In der Kom­mu­ni­ka­ti­on zwi­schen den Fah­rern ist die wach­sen­de Anspan­nung deut­lich spür­bar – selbst bei den erfah­re­nen Fahr­zeug­über­füh­rern. Alle wis­sen: Es kann vie­le Stun­den dau­ern, bis der pol­ni­sche Zoll die Kon­trol­le abschließt. Beim letz­ten Ein­satz war­te­te das Team mehr als 13 Stun­den.

Dies­mal scheint es anders zu lau­fen. Der Stau vor der Abfer­ti­gung ist über­schau­bar. Schließ­lich ste­he ich selbst vor der Schran­ke. Es ist dun­kel. Schein­wer­fer blen­den, Schnee­ge­stö­ber peitscht gegen die Wind­schutz­schei­be. Ich stei­ge aus, tre­te an ein klei­nes Schie­be­fens­ter. Habe ich wirk­lich alle Doku­men­te abge­ge­ben?

Erleich­te­rung. Das Fens­ter öff­net sich, eine Hand reicht mir den Pass und die abge­stem­pel­ten Papie­re zurück. Kurz dar­auf ver­las­se ich die Euro­päi­sche Uni­on. Die Umge­bung erin­nert an eine längst ver­ges­sen geglaub­te Ost-West-Gren­ze.

Auf ukrai­ni­scher Sei­te geht es zum Glück schnel­ler. Nach nur zwei Stun­den sind alle Fahr­zeu­ge ein­ge­reist.

Bald ist es geschafft. Es wird emo­tio­nal. Die ukrai­ni­schen Abho­ler erwar­ten uns bereits. Hei­ßer Tee wird gereicht. Die Über­ga­be folgt einem erprob­ten Ritu­al: Jeder Fah­rer erklärt „sein“ Fahr­zeug, gibt Hin­wei­se zur Tech­nik. Dann Umar­mun­gen – im Namen all jener, die gehol­fen haben – und schließ­lich die Schlüs­sel­über­ga­be.

Noch ist es nicht vor­bei. Lin­da ruft alle zusam­men. Heu­te über­füh­ren wir für das Blau-Gel­be Kreuz Köln das 500. Fahr­zeug.
„Ich freue mich so sehr, dass unser Ver­eins­mit­glied Jür­gen Becker die­sen von ihm per­sön­lich bis hier­her gefah­re­nen, alt­ge­dien­ten Ret­tungs­wa­gen – ein Geschenk der Stadt Rem­scheid – nun an den Abho­ler über­ge­ben wird.“

Groß­ar­tig. Applaus bei eisi­gen Tem­pe­ra­tu­ren, Hän­de­schüt­teln, vie­le Fotos.

Ab jetzt tren­nen sich unse­re Wege. Die meis­ten Fah­rer keh­ren nach Polen zurück. Zufrie­den tre­ten sie die lan­ge Heim­rei­se an.

Ich gehö­re zu der klei­nen Grup­pe, die bleibt. Lin­da Mai, die Ver­eins­vor­sit­zen­de, hat gemein­sam mit ihrem Team alles vor­be­rei­tet. Nicht weit von Lem­berg bezie­hen wir unser Quar­tier. Am nächs­ten Tag war­tet ein dich­tes Pro­gramm: Ter­mi­ne bei der Bezirks­re­gie­rung, Besu­che in Kin­der­hei­men und Kitas, Tref­fen mit Vete­ra­nen.

Bevor wir über­mü­det auf unse­re Zim­mer gehen, erklärt uns Katha­ri­na die ver­schie­de­nen Alarm­si­gna­le – und wo wir uns tref­fen, falls es ernst wird. Es gibt kei­nen Zwei­fel: Wir befin­den uns in einem Kriegs­ge­biet. In einem Land, das auch unse­re Frei­heit auf­op­fernd ver­tei­digt.

Lin­da ver­ab­schie­det sich mit lei­sen Wor­ten: „Gute Nacht. Ihr seid mutig.“

Früh­stück ist um sechs.

Hin­weis: alle Fotos von Kin­dern wur­den mit aus­drück­li­cher Zustim­mung der Erzie­hungs­be­rech­tig­ten auf­ge­nom­men und für Ver­öf­fent­li­chung frei­ge­ge­ben.
Fotos von Kriegs­ver­sehr­ten wur­den mit ihrer Zustim­mung und der Geneh­mi­gung der Ärz­te auf­ge­nom­men. Und wur­den frei­ge­ge­ben .

Fotos: Lothar Dähn


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Kommentare

Eine Antwort zu „Nochmal 750 Kilometer Geduld – 15 Rettungswagen für die Ukraine“

  1. Avatar von Andy
    Andy

    Mich bewegt die Rei­he sehr. Das Enga­ge­ment muti­ger Men­schen, die ins Kriegs­ge­biet fah­ren, um Hilfs­gü­ter zu brin­gen, beein­druckt mich tief. In mei­ner “Bubble” stell­te mir und den Mädels vom Woll­kreis eine Freun­din das Werk ihres Nach­barn vor, der regel­mä­ßi­ge Fahr­ten in die Ukrai­ne vor­nimmt, um Lebens­mit­tel und Tier­fut­ter für die zurück gelas­se­nen Haus­tie­re zu brin­gen . Er zahlt das von sei­ner klei­nen Ren­te, incl
    Sprit­kos­ten. Wir vom Woll­kreis woll­ten sofort gern unter­stüt­zen, haben alle noch unse­re Bestän­de geprüft oder nach Wunsch­lis­te ein­ge­kauft. So konn­ten etli­che Men­schen in der Ukrai­ne über die Fei­er­ta­ge war­mes Essen, Kuchen und Milch­brei etc. ver­zeh­ren. Das ist oft mehr als Nah­rung, wenn man in Kel­lern oder Ubahn­schäch­ten sitzt, frie­rend. Eine hei­ße Sup­pe und ein süßes Gebäck ist Bal­sam für die trau­ma­ti­sier­ten See­len.

    Ich hof­fe und bete, dass bald ein Ende gefun­den wird 🥺

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