Cornelia Seng, die bereits im alten Forum Wermelskirchen für dessen Herausgeber Wolfgang Horn das „Wort zum Montag“ verfasst hat und viele Jahre Pfarrerin in Wermelskirchen war, erreicht uns heute mit einer besonderen Weitergabe: der Rede von Präses Dr. Thorsten Latzel, gehalten am 14. November 2025 im Rahmen der Initiative Circular Valley. In einer Zeit, in der ökologische Krisen, technologische Möglichkeiten und gesellschaftliche Umbrüche eng miteinander verwoben sind, setzt Latzel theologische Impulse, die weit über tagespolitische Debatten hinausgehen. Seine Gedanken führen in die Tiefe: Sie fragen nach Hoffnung, Verantwortung, Ehrfurcht und nach der Fähigkeit zur Umkehr. Mit seinem Vortrag „Umkehr ist möglich“ lädt er ein, unser Verhältnis zur Schöpfung, zu uns selbst und zu kommenden Generationen neu zu bedenken – und aus dem Glauben heraus eine geistliche und praktische Trotzkraft zu entwickeln, die Veränderung möglich macht.
Vortrag bei Circular Valley am 14. November 2025
Theologische Impulse (182) von Präses Dr. Thorsten Latzel
Das Circular Valley ist eine Initiative, die die Rhein-Ruhr-Region zum führenden Gebiet der Kreislaufwirtschaft machen möchte. Der Name nimmt Bezug auf das Silicon Valley in den Vereinigten Staaten.
Wir leben – zum einen – in apokalyptischen Zeiten.
Verheerende Waldbrände, Überschwemmungen, Artensterben, Gletscherschmelze. Sie kennen alle die Warnungen von Wissenschaftler/innen – und auch, wie wenig sie oft bewirken. Aktuell findet in Belém die – seit 1979 sage und schreibe – 30. Weltklimakonferenz statt.
Und: Wir leben – zum anderen – in faszinierenden Zeiten.
Wir haben technische Möglichkeiten wie niemals zuvor. Energie aus Sonne, Wind, Wasserstoff. KI, Robotik, Quanten- und Biotechnologie. Kreislaufwirtschaft ist dabei einer der modernen Ansätze. Wir könnten die Probleme der Zukunft technisch lösen – und werden es doch allein mit Technik nicht schaffen.
Sie kennen die Probleme wie Rebound-Effekte, Pfadabhängigkeiten, Trägheit der Systeme – und vor allem die ungleiche Verteilung von Ressourcen und des Benefits der Technologien. So dringend notwendig wissenschaftliche Warnungen und innovative Technologien sind, sie werden alleine nicht reichen.
Wir müssen tiefer graben. Weil es um fundamentale Fragen geht: Wer sind wir? Wie wollen wir leben? Was lässt uns hoffen? Was sollen wir tun? Letztlich geht es um Umkehr, Hoffnung, Mut zum Handeln, um Lebenssinn.
Und hier kommt nun die Religion ins Spiel: Fünf Impulse, wo und wie Glaube und Kreislaufwirtschaft aus meiner Sicht einander berühren.
1. Die Kraft der Verheißung
„Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.“
Das ist der wohl älteste, rund 3.000-jährige Beleg für die moderne Idee einer Kreislaufwirtschaft. Der Satz steht ziemlich am Anfang der Bibel. Interessanterweise nach der ersten kosmischen Katastrophe: der Sintflut. Gott ist hier Schützer nicht nur des natürlichen Kreislaufs, also der Jahres- und Tageszeiten, sondern auch des kulturellen, agrarischen Kreislaufs von Saat und Ernte.
Wir brauchen solche Verheißungen, echte Verheißungen, wenn es um Zukunft geht. Nicht solche Verheißungen, wie die Versprechen des Silicon Valley, in denen es faktisch um digitalen Kolonialismus und kreative Zerstörung geht. Wenige Monopolisten streiten sich um Datenmacht und seltene Erden und gehen dafür einen Pakt mit autokratischen Herrschern ein. Koste es die Demokratie oder die Umwelt, was es wolle. Und wir brauchen Verheißungen, echte Verheißungen, weil man mit apokalyptischen Szenarien niemanden bewegt.
Im Übrigen war die ursprüngliche apokalyptische Literatur – vor der Adaption durch Hollywood – selbst Hoffnungsliteratur. Weil es um Gottes Bewahrung allem anderen zum Trotz ging.
Auf einem Circular Valley kann für mich solch eine Verheißung liegen – dann, wenn es sich als Teil eines größeren Ganzen versteht. Wenn es der Bewahrung der Schöpfung dient, wirklicher demokratischer Teilhabe, und gerechten ökonomischen Prozessen. Wenn wir mit ihm gleichsam etwas zu unserer Hälfte des Regenbogens beitragen – und Gottes Verheißung leben, dass Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht nicht vergehen.
2. Ehrfurcht vor dem Leben
So lautet der ethische Ansatz von Albert Schweitzer, der vor 150 Jahren geboren wurde.
„Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will.“
Albert Schweitzer hat als Theologe, Musiker, Arzt, Pazifist Grenzen überwunden, out of the box gehandelt und seinen Glauben in einer Art gelebt, die bis heute Menschen inspiriert. Der Begriff der Ehrfurcht bezieht sich theologisch ja ursprünglich auf Gott. Doch Schweitzer überträgt ihn – vom Schöpfer auf die Schöpfung, weil alles Lebendige, von Gott Geschaffene eine Würde an sich hat.
Die Erde ist nicht allein um uns Menschen willen erhaltenswert, sondern um ihrer selbst willen. Unsere Aufgabe als Menschen ist es, ehrfürchtig mit ihr umzugehen als gute Schöpfung Gottes. Wir sind zu Gast auf einem schönen Stern. Und sollten uns auch entsprechend verhalten.
„Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will.“
Für eine Kreislaufwirtschaft braucht es daher m. E. neben innovativen Ideen und ökonomischen Lösungen auch eine andere innere Haltung – zueinander und zu unseren Mitgeschöpfen. Eine Form innerer Mystik, wie sie Albert Schweitzer in seinen Schriften entfaltet hat. Damit wir eben nicht wie Krebsgeschwüre hemmungslos auf Kosten anderer wachsen. Wir sind von Gott zur Kommunikation miteinander geschaffen, nicht zu einer selbstzerstörerischen Konkurrenz.
Ein respektvoller, ehrfürchtiger Umgang mit dem Leben anderer ist dafür ein wesentlicher, grundlegender Schritt.
3. Notwendiger Sinneswandel – oder: Umkehr ist möglich
Im Kirchenjahr stehen wir kurz vor dem „Buß- und Bettag“, am nächsten Mittwoch. O.k. Das klingt jetzt erst einmal nicht so sexy. Tatsächlich geht es bei Buße um das, was wir im Augenblick dringend brauchen – wenn wir nicht weiter auf Kosten der Schöpfung, anderer Menschen oder kommender Generationen leben wollen.
Sinneswandel. Das ursprüngliche griechische Wort für Buße lautet „metanoia“. Es meint eine radikale Neuausrichtung meines eigenen Denkens, Lebens, Handelns. Weg von dem ängstlichen Sorgen um mich selbst und meinen eigenen Bauchnabel. Weg von dem ständigen Klagen über „die anderen“ oder darüber, was „die da oben“ machen sollten. Hin zu einer geistlichen Freiheit, einem Mut zum Sein, der sich von Gottes Liebe bewegen lässt.
Ohne die Kreislaufwirtschaft jetzt gleich christlich taufen zu wollen, kann sie meines Erachtens aber Teil von solch einem tiefgreifenden Sinneswandel sein. Dass wir uns selbst nicht als Zentrum des Universums begreifen, sondern als einen Teil von Gottes Schöpfung. Wir sind nicht die ersten und nicht die letzten und nicht die einzigen. Darum sollten wir auch so leben, wirtschaften und mit den uns gegebenen Ressourcen umgehen.
4. Geistliche Trotzkraft
Was die Idee des „Circular Valley“ für mich – geistlich gesprochen – auszeichnet, das ist Trotzkraft. Geistliche Trotzkraft. Eine tiefe, innere Resilienz.
Das Circular Valley ist entstanden, weil es hier Menschen gibt, die sich nicht damit abfinden wollen, dass die Welt eben so ist, wie sie ist. Dass man „da nichts machen kann“. Die Theologin Dorothee Sölle hat einmal gesagt: „, Da kann man nichts machen‘, ist ein gottloser Satz.“ Und es ist wohl kein Zufall, dass das Circular Valley gerade hier in Wuppertal, im Bergischen Land entstanden ist.
Böse Zungen behaupten, in Wuppertal regne es neun Monate im Jahr und dann komme der Winter. Und ja, es gibt in der Tat bessere Orte zum Surfen, Sonnenbaden und Cabrio fahren. Aber hier leben eben Menschen, die von einer inneren Widerstandskraft bestimmt sind. Menschen, die wissen, was Wandel und Umbrüche bedeuten. Etwa nach der Industrialisierung. Und hier in Barmen war ein Zentrum des geistlichen Widerstandes gegen die NS-Herrschaft.
Einer der schönsten Sätze, die Martin Luther niemals gesagt hat, ist der mit dem Apfelbäumchen: „Wenn andere vom Untergang der Welt reden, pflanzen wir Apfelbäume.“ Er bringt für mich eine tatkräftige Hoffnung zum Ausdruck, die wir heute dringend brauchen. Es braucht Trotzkraft, um unseren Lebensstil und die Weise unseres Wirtschaftens grundlegend zu verändern.
So wie hier im Circular Valley, wo Sie heute gemeinsam mit vielen internationalen Partnern daran arbeiten, das Leben auf Gottes schöner Erde etwas nachhaltiger zu machen.
Und schließlich 5. Schöne Endlichkeit
Zum Geheimnis unseres Lebens gehört das Wunder, dass es Sie und mich gibt – wie auch die Unbegreiflichkeit, dass wir, Sie und ich, irgendwann einmal nicht mehr sein werden.
Mit dieser „schönen Endlichkeit“ umzugehen, ist eine zentrale Lebensaufgabe. Darum geht es – aus meiner Sicht – auch bei dem Gedanken einer Kreislaufwirtschaft. Was wir haben, machen, konsumieren und produzieren, haben wir von anderen empfangen. Und wir werden es – früher oder später – wieder an andere abgeben. Dafür sind Demut und Dankbarkeit eine wichtige Grundhaltung. Dankbar sein dafür, dass mir dieses einmalige Leben geschenkt ist. Und Demut angesichts der Grenzen meiner selbst, meines Wissens, meines Wirkens.
Demut und Dankbarkeit – das klingt wie aus einer fernen, anderen Zeit. Es beschreibt aber eine Haltung, die höchst heilsam ist, wenn es um den Umgang mit unserer Mitwelt und um die Beziehungen zu anderen geht. Wenn wir unser einzigartiges, schönes, endliches Leben hier dankbar annehmen – und uns selbst zugleich nicht zu wichtig nehmen, sondern als Teil der Gemeinschaft derer vor uns und neben uns und nach uns.
Bildnachweis: Chat GPT


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