Der 9. November 1938 markiert einen tiefen Einschnitt in der deutschen Geschichte. In der sogenannten Reichspogromnacht brannten im gesamten Land Synagogen. Jüdische Geschäfte wurden zerstört, Wohnungen verwüstet, Menschen gedemütigt, verfolgt, verletzt und ermordet – allein aus dem Grund, dass sie Jüdinnen und Juden waren. Diese Nacht war der sichtbare Beginn der systematischen Verfolgung und Vernichtung jüdischen Lebens in Deutschland.
Auch in Wermelskirchen wurde dieses Datum erneut mit einer würdevollen Gedenkveranstaltung begangen. Um 18:00 Uhr versammelten sich zahlreiche Bürgerinnen und Bürger am Brunnen vor der Kirche am Markt, um gemeinsam zu erinnern und ein Zeichen gegen das Vergessen und gegen jeden heutigen Antisemitismus zu setzen.
Pfarrerin Sarah Kannemann verlas die Namen der aus Wermelskirchen stammenden jüdischen Bürgerinnen und Bürger, die in den Jahren der nationalsozialistischen Verfolgung entrechtet, vertrieben oder ermordet wurden. Diese namentliche Erinnerung zeigte einmal mehr: Hinter jeder historischen Zahl stehen Menschen – mit Familien, Hoffnungen und Lebensgeschichten.
Auch der neue Bürgermeister Bernd Hibst richtete Worte an die Anwesenden. Er betonte die Bedeutung des Gedenkens in der Gegenwart, besonders in einer Zeit, in der Hass, Ausgrenzung und Verschwörungserzählungen wieder lauter werden. Das Erinnern sei, so Hibst, nicht nur ein Blick in die Vergangenheit, sondern ein Auftrag an die Zukunft: Für Menschlichkeit, Respekt und demokratische Grundwerte einzustehen.
Gemeinsam wurden mehrere Lieder gesungen, darunter auch ein Lied von Dietrich Bonhoeffer, Von guten Mächten und eines auf auf Hebräisch, Hine mah tov, die der Veranstaltung einen besonders berührenden Moment der Verbundenheit und des Mitgefühls verliehen.
Die Gedenkfeier in Wermelskirchen machte deutlich: Erinnern ist kein Routineakt. Es ist ein lebendiger Prozess, in dem wir uns bewusst machen, was geschehen ist – und was niemals wieder geschehen darf.
„Nie wieder“ beginnt hier – in unserer Stadt, in unserem Alltag, in unserem Miteinander.
Hier die Rede des Bürgermeisters Bernd Hibst im Wortlaut:
Liebe Frau Pfarrerin Kannemann, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, verehrte Gäste,
wir stehen heute hier, um der Opfer der Reichspogromnacht vom 9. November 1938 zu gedenken.
In jener Nacht brannten in Deutschland die Synagogen – und auch hier in Wermelskirchen wurden jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger entrechtet, verfolgt und aus der Gemeinschaft gestoßen.
Jüdische Geschäfte wurden geplündert, Wohnungen zerstört, Menschen gejagt, gedemütigt und getötet.
Diese Nacht markierte den Übergang von Diskriminierung zu offener Gewalt – von der Entrechtung zur Vernichtung.
Und all das geschah nicht im Verborgenen, sondern mitten in unseren Städten, auf unseren Straßen, in unserer Nachbarschaft.
Heute, mehr als achtzig Jahre später, stehen wir hier – auf unserem Marktplatz, inmitten unseres Alltags.
Nur wenige Schritte von hier, an der Kölner Straße, liegen drei der insgesamt zwölf Stolpersteine in Wermelskirchen. Sie tragen Namen. Namen von Menschen, die hier gelebt haben und die Teil unserer Gemeinschaft waren.„Unvergessen” – das ist mehr als eine Erinnerung. Es ist eine Verpflichtung.
Wir gedenken der Männer, Frauen und Kinder, denen das Menschsein abgesprochen wurde. Und wir erinnern an das, was geschehen ist – weil Schweigen immer der erste Schritt ins Vergessen ist.
Wenn wir heute an diese Nacht erinnern, dann gedenken wir nicht nur des unermesslichen Leids der Opfer, sondern auch der Verantwortung, die daraus erwächst. Denn Gleichgültigkeit und Hass entstehen dort, wo Menschen wegsehen – und wo niemand widerspricht.
Gerade in einer Zeit, in der wieder Menschen wegen ihrer Herkunft, ihres Glaubens oder ihrer Meinung ausgegrenzt und bedroht werden, ist das Gedenken an den 9. November aktueller denn je.
Erinnern heißt, Verantwortung zu übernehmen.
Erinnern heißt, die Stimme zu erheben, wenn Unrecht geschieht.
Erinnern heißt, Haltung zu zeigen, wo Menschenverachtung wieder Raum gewinnt.Unsere Demokratie lebt von dem Mut, das „Nie wieder” mit Leben zu füllen – Tag für Tag, in kleinen und großen Momenten.
Wenn wir heute Kerzen entzünden, dann sind sie mehr als nur ein Licht im Dunkel.
Sie sind ein Zeichen gegen das Vergessen, gegen den Hass, gegen das Schweigen. Und sie sind ein Versprechen: Dass wir uns jeden Tag aufs Neue einsetzen – für Menschlichkeit, für Respekt, für Zusammenhalt.
Ich danke Ihnen allen, dass Sie heute hier sind und diese Erinnerung lebendig halten. Mögen diese Kerzen, diese Lieder und dieses Gedenken ein Zeichen sein für eine Zukunft, in der solche Nächte niemals wieder möglich sind.
Vielen Dank.


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