Ein Wermelskirchener Arzt – ein deutsch-jüdisches Schicksal
Am 9. November erinnern wir an die Reichspogromnacht von 1938 – an den Beginn der offenen Gewalt gegen jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger in Deutschland.
Auch in Wermelskirchen wollen wir an diesem Tag der Opfer der nationalsozialistischen Diktatur gedenken. Einer von ihnen war der Wermelskirchener Arzt Dr. Kurt Wohl, dessen Lebensweg exemplarisch für das Schicksal vieler deutscher Juden steht.
Obgleich Kurt Wohl nicht direkt Opfer im Zuge der Pogromnacht des 9. November 1938 war, wurde sein Schicksal und das seiner späteren Frau jedoch schon drei Jahre vor diesem schrecklichen Ereignis besiegelt: Im September 1935 beschlossen die Nazis das Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre sowie das Reichsbürgergesetz. Beide Gesetze gingen in die Geschichte als Nürnberger Gesetze bzw. als “Rassegesetz” ein.
Ein angesehener Arzt und engagierter Bürger
Dr. Kurt Wohl wurde 1876 in Breslau geboren – als Jude, aber von evangelischen Pflegeeltern großgezogen. Nach seinem Medizinstudium kam er 1903 nach Wermelskirchen, um die Gynäkologie im geplanten Krankenhaus der Stadt aufzubauen. Hier ließ er sich als Arzt für Allgemeinmedizin, Gynäkologie und Geburtshilfe nieder.
Er galt als hochgeachteter, beliebter und hilfsbereiter Arzt, der sowohl Arbeiterfamilien als auch die Fabrikanten in Wermelskirchen und im benachbarten Lennep betreute. Wohl leitete zudem die Sanitätskolonne des Roten Kreuzes und erhielt für seinen Einsatz im Ersten Weltkrieg das Eiserne Kreuz. Er war ein patriotischer, pflichtbewusster Bürger – fest verwurzelt in seiner Stadt und seinem Land.
Liebe und Ausgrenzung
Nach dem Tod seiner ersten Frau im Jahr 1929 verliebte sich Kurt Wohl in seine Sprechstundenhilfe Kläre Zänder. 1930 verlobten sich beide, doch mit den Nürnberger Rassegesetzen von 1935 wurde ihnen die Ehe verboten – eine Verbindung zwischen Juden und „Ariern“ war fortan untersagt. Kläre musste ihre Anstellung aufgeben und Wermelskirchen verlassen. Die Gestapo stellte das Paar unter Beobachtung, ihre Begegnungen wurden überwacht und bespitzelt.
Aus alten Gestapo-Briefen und ‑Akten, die im Landesarchiv Düsseldorf verwahrt werden sowie aus Aussagen von Angehörigen von Kläre Zänder geht hervor, dass das Ergebnis dieser systematischen Bespitzelungen die spätere Inhaftierung und Überstellung von in das KZ Ravensbrück war. Dort war sie für mehrere Jahre inhaftiert.
Die Ereignisse des 9. November 1938 und die immer weiter zunehmenden Verfolgungen und Repressalien führten schließlich dazu, dass Kurt Wohl seine Ausreise nach Niederländisch-Ostindien (dem heutigen Indonesien) in Erwägung zog, wo sein Sohn arbeitete. Die Gestapo verzögerte das geplante Ausreiseverfahren, erhöhte Schikanen ihm gegenüber und entzog ihm die Approbation als Arzt. Damit war der einst angesehene Arzt und Bürger endgültig beruflich und gesellschaftlich rechtlos. Es sollte nun noch zwei weitere bittere Jahre dauern, bis er im Januar 1940 Deutschland verlassen durfte.
Flucht, Verlust und Neubeginn
In Surabaja (Indonesien) angekommen, arbeitete Dr. Wohl ehrenamtlich in einem Krankenhaus. Sein gesamtes Vermögen und seine Altersvorsorge, die er in Wermelskirchen zurückgelassen hatte, waren für ihn unwiderbringlich an den NS-Staat verloren: Im Jahre 1941 wurde er von Nazi-Deutschland ausgebürgert, sein Besitz beschlagnahmt.
Die Schicksalsschläge nahmen für Kurt Wohl jedoch kein Ende: Sein Sohn kam während des Krieges bei einem japanischen Bombenangriff ums Leben. Zudem erfuhr er in der Fremde, dass seine Verlobte, die er in Deutschland zurückgelassen hatte, Kläre Zänder, Opfer wurde von systematischer staatlicher Überwachung und Denunziation, verhaftet und ins KZ Ravensbrück deportiert wurde. Erst nach Kriegsende kam sie frei.
Erst viele Jahre später fanden sich die beiden wieder. Sie heirateten per Ferntrauung, und Kläre konnte nach Indonesien ausreisen. Am 23. Mai 1957 kehrten sie gemeinsam nach Wermelskirchen zurück – „herzlich empfangen“, wie es heißt. Doch Gerechtigkeit erfuhr Dr. Wohl nicht mehr: Seine eingezahlte Altersversorgung erhielt er nie zurück.
Erinnerung als Auftrag
Dr. Kurt Wohl starb 1957 – in jener Stadt, die ihm für fast 40 Jahre seines Lebens Heimat war, die ihn einst verehrte, dann ausgrenzte und schließlich vergaß.
Sein Schicksal erinnert uns daran, dass Ausgrenzung, Hass und Gleichgültigkeit zerstörerische Kräfte sind. Die Reichspogromnacht von 1938 markiert den Übergang von Diskriminierung zu systematischer Gewalt. Aus Worten wurden Taten!
Am 9. November gedenken wir nicht nur der brennenden Synagogen, sondern auch der zerstörten Leben und Biografien – von Nachbarn, Freunden und Mitbürgern.
Das Gedenken an Dr. Kurt Wohl mahnt uns, wachsam zu bleiben, Hass und Hetze entschieden zu widersprechen und die Würde jedes Menschen zu schützen.

Ehrengrab der Stadt Wermelskirchen für Kurt Wohl, Stadtfriedhof Wermelskirchen
Quellen: Rede von Bürgermeister Rainer Bleek, „Unvergessen“ – Veranstaltung zum 9. November 2019; Thomas Wintgen u. a., „Menschen. Fakten. Akten (1933–1945)“, Beiträge zur Wermelskirchener Geschichte, Band 9 (1997)
Bild: Mit freundlicher Erlaubnis von Marie-Louise Lichtenberg
Titelbild: Mit freundlicher Erlaubnis von Pfrin. S. Kannemann

