Schlagwort: Dr. Kurt Wohl

  • Zum Gedenken an Dr. Kurt Wohl (1876–1957)

    Zum Gedenken an Dr. Kurt Wohl (1876–1957)

    Ein Wer­mels­kir­che­ner Arzt – ein deutsch-jüdi­sches Schick­sal

    Am 9. Novem­ber erin­nern wir an die Reichs­po­grom­nacht von 1938 – an den Beginn der offe­nen Gewalt gegen jüdi­sche Mit­bür­ge­rin­nen und Mit­bür­ger in Deutsch­land.

    Auch in Wer­mels­kir­chen wol­len wir an die­sem Tag der Opfer der natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Dik­ta­tur geden­ken. Einer von ihnen war der Wer­mels­kir­che­ner Arzt Dr. Kurt Wohl, des­sen Lebens­weg exem­pla­risch für das Schick­sal vie­ler deut­scher Juden steht.

    Obgleich Kurt Wohl nicht direkt Opfer im Zuge der Pogrom­nacht des 9. Novem­ber 1938 war, wur­de sein Schick­sal und das sei­ner spä­te­ren Frau jedoch schon drei Jah­re vor die­sem schreck­li­chen Ereig­nis besie­gelt: Im Sep­tem­ber 1935 beschlos­sen die Nazis das Gesetz zum Schutz des deut­schen Blu­tes und der deut­schen Ehre sowie das Reichs­bür­ger­ge­setz. Bei­de Geset­ze gin­gen in die Geschich­te als Nürn­ber­ger Geset­ze bzw. als “Ras­se­ge­setz” ein.

    Ein ange­se­he­ner Arzt und enga­gier­ter Bür­ger

    Dr. Kurt Wohl wur­de 1876 in Bres­lau gebo­ren – als Jude, aber von evan­ge­li­schen Pfle­ge­el­tern groß­ge­zo­gen. Nach sei­nem Medi­zin­stu­di­um kam er 1903 nach Wer­mels­kir­chen, um die Gynä­ko­lo­gie im geplan­ten Kran­ken­haus der Stadt auf­zu­bau­en. Hier ließ er sich als Arzt für All­ge­mein­me­di­zin, Gynä­ko­lo­gie und Geburts­hil­fe nie­der.

    Er galt als hoch­ge­ach­te­ter, belieb­ter und hilfs­be­rei­ter Arzt, der sowohl Arbei­ter­fa­mi­li­en als auch die Fabri­kan­ten in Wer­mels­kir­chen und im benach­bar­ten Len­nep betreu­te. Wohl lei­te­te zudem die Sani­täts­ko­lon­ne des Roten Kreu­zes und erhielt für sei­nen Ein­satz im Ers­ten Welt­krieg das Eiser­ne Kreuz. Er war ein patrio­ti­scher, pflicht­be­wuss­ter Bür­ger – fest ver­wur­zelt in sei­ner Stadt und sei­nem Land.

    Lie­be und Aus­gren­zung

    Nach dem Tod sei­ner ers­ten Frau im Jahr 1929 ver­lieb­te sich Kurt Wohl in sei­ne Sprech­stun­den­hil­fe Klä­re Zän­der. 1930 ver­lob­ten sich bei­de, doch mit den Nürn­ber­ger Ras­se­ge­set­zen von 1935 wur­de ihnen die Ehe ver­bo­ten – eine Ver­bin­dung zwi­schen Juden und „Ari­ern“ war fort­an unter­sagt. Klä­re muss­te ihre Anstel­lung auf­ge­ben und Wer­mels­kir­chen ver­las­sen. Die Gesta­po stell­te das Paar unter Beob­ach­tung, ihre Begeg­nun­gen wur­den über­wacht und bespit­zelt.

    Aus alten Gesta­po-Brie­fen und ‑Akten, die im Lan­des­ar­chiv Düs­sel­dorf ver­wahrt wer­den sowie aus  Aus­sa­gen von Ange­hö­ri­gen von Klä­re Zän­der geht her­vor, dass das Ergeb­nis die­ser sys­te­ma­ti­schen Bespit­ze­lun­gen die spä­te­re Inhaf­tie­rung und Über­stel­lung von in das KZ Ravens­brück war. Dort war sie für meh­re­re Jah­re inhaf­tiert.

    Die Ereig­nis­se des 9. Novem­ber 1938 und die immer wei­ter zuneh­men­den Ver­fol­gun­gen und Repres­sa­li­en führ­ten schließ­lich dazu, dass Kurt Wohl sei­ne Aus­rei­se nach Nie­der­län­disch-Ost­in­di­en (dem heu­ti­gen Indo­ne­si­en) in Erwä­gung zog, wo sein Sohn arbei­te­te. Die Gesta­po ver­zö­ger­te das geplan­te Aus­rei­se­ver­fah­ren, erhöh­te Schi­ka­nen ihm gegen­über und ent­zog ihm die Appro­ba­ti­on als Arzt. Damit war der einst ange­se­he­ne Arzt und Bür­ger end­gül­tig beruf­lich und gesell­schaft­lich recht­los. Es soll­te nun noch zwei wei­te­re bit­te­re Jah­re dau­ern, bis er im Janu­ar 1940 Deutsch­land ver­las­sen durf­te.

    Flucht, Ver­lust und Neu­be­ginn 

    In Sura­ba­ja (Indo­ne­si­en) ange­kom­men, arbei­te­te Dr. Wohl ehren­amt­lich in einem Kran­ken­haus. Sein gesam­tes Ver­mö­gen und sei­ne Alters­vor­sor­ge, die er in Wer­mels­kir­chen zurück­ge­las­sen hat­te, waren für ihn unwi­der­bring­lich  an den NS-Staat ver­lo­ren: Im Jah­re 1941 wur­de er von Nazi-Deutsch­land aus­ge­bür­gert, sein Besitz beschlag­nahmt.

    Die Schick­sals­schlä­ge nah­men für Kurt Wohl jedoch kein Ende: Sein Sohn kam wäh­rend des Krie­ges bei einem japa­ni­schen Bom­ben­an­griff ums Leben. Zudem erfuhr er in der Frem­de, dass sei­ne Ver­lob­te, die er in Deutsch­land zurück­ge­las­sen hat­te, Klä­re Zän­der, Opfer wur­de von sys­te­ma­ti­scher staat­li­cher Über­wa­chung und Denun­zia­ti­on, ver­haf­tet und ins KZ Ravens­brück depor­tiert wur­de. Erst nach Kriegs­en­de kam sie frei.

    Erst vie­le Jah­re spä­ter fan­den sich die bei­den wie­der. Sie hei­ra­te­ten per Fern­trau­ung, und Klä­re konn­te nach Indo­ne­si­en aus­rei­sen. Am 23. Mai 1957 kehr­ten sie gemein­sam nach Wer­mels­kir­chen zurück – „herz­lich emp­fan­gen“, wie es heißt. Doch Gerech­tig­keit erfuhr Dr. Wohl nicht mehr: Sei­ne ein­ge­zahl­te Alters­ver­sor­gung erhielt er nie zurück.

    Erin­ne­rung als Auf­trag

    Dr. Kurt Wohl starb 1957 – in jener Stadt, die ihm für fast 40 Jah­re sei­nes Lebens Hei­mat war, die ihn einst ver­ehr­te, dann aus­grenz­te und schließ­lich ver­gaß.

    Sein Schick­sal erin­nert uns dar­an, dass Aus­gren­zung, Hass und Gleich­gül­tig­keit zer­stö­re­ri­sche Kräf­te sind. Die Reichs­po­grom­nacht von 1938 mar­kiert den Über­gang von Dis­kri­mi­nie­rung zu sys­te­ma­ti­scher Gewalt. Aus Wor­ten wur­den Taten!

    Am 9. Novem­ber geden­ken wir nicht nur der bren­nen­den Syn­ago­gen, son­dern auch der zer­stör­ten Leben und Bio­gra­fien – von Nach­barn, Freun­den und Mit­bür­gern.

    Das Geden­ken an Dr. Kurt Wohl mahnt uns, wach­sam zu blei­ben, Hass und Het­ze ent­schie­den zu wider­spre­chen und die Wür­de jedes Men­schen zu schüt­zen.

    Ehren­grab der Stadt Wer­mels­kir­chen für Kurt Wohl, Stadt­fried­hof Wer­mels­kir­chen

    Quel­len: Rede von Bür­ger­meis­ter Rai­ner Bleek, „Unver­ges­sen“ – Ver­an­stal­tung zum 9. Novem­ber 2019; Tho­mas Wint­gen u. a., „Men­schen. Fak­ten. Akten (1933–1945)“, Bei­trä­ge zur Wer­mels­kir­che­ner Geschich­te, Band 9 (1997)

    Bild: Mit freund­li­cher Erlaub­nis von Marie-Loui­se Lich­ten­berg
    Titel­bild: Mit freund­li­cher Erlaub­nis von Pfrin. S. Kan­ne­mann